Aus für Straßburg? Österreichs Kanzler Kurz fordert radikalen Umbau der EU
Vor der Europawahl fordert Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz umfassende Reformen für die Europäische Union. Unter anderem plädiert er für klare Sanktionen bei Vertragsmissachtungen.
Eine kleinere EU-Kommission, ein stärkerer Fokus auf die Außenpolitik und das Ende des EU-Standortes Straßburg: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hat sich wenige Wochen vor der Europawahl für eine tiefgreifende Reform der EU ausgesprochen. "Es braucht einen neuen Vertrag mit klareren Sanktionen gegen Mitglieder, die Schulden machen, Strafen für Länder, die illegale Migranten nicht registrieren und durchwinken, sowie harte Konsequenzen bei Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit und die liberale Demokratie", sagte der Chef der konservativen ÖVP österreichischen Medien.
Zudem solle künftig nicht jedes Land wie bisher automatisch einen EU-Kommissar stellen dürfen. "Es gibt bereits heute mehr Kommissare als Aufgabenbereiche. Jedes Mal, wenn es in Europa ein Problem gibt, schlägt man eine neue Behörde vor", sagte Kurz. Dem 32-Jährigen schwebt stattdessen ein "faires Rotationssystem" vor. Das EU-Parlament solle derweil komplett von Straßburg nach Brüssel übersiedeln.
Einen inhaltlichen Schwerpunkt möchte Kurz künftig bei der Außen- und Sicherheitspolitik setzen. Eine gemeinsame Armee sei dagegen keine Option. "Staaten werden nicht bereit sein, die Entscheidung für die Entsendung der eigenen Soldaten in Krisengebiete an Brüssel abzugeben."
Unsicherheiten schaden europäischer Wirtschaft
Für notwendig hält Kurz eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Union. Nach dem Scheitern des Handelsabkommens TTIP sollten mit den USA neue Grundlage geschaffen werden. "Wir erleben die Unsicherheit mit den Amerikanern, die Unsicherheit mit dem Brexit, eine geopolitisch herausfordernde Situation mit Russland. Das schadet unserer Wirtschaft massiv."
Kurz verfährt mit seinem umfangreichen Vorstoß ähnlich wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der Anfang März einen "Neubeginn für Europa" forderte und zahlreiche Ideen zur Weiterentwicklung der EU präsentierte. Macrons Plan beinhaltete unter anderem die Gründung einer europäischen Agentur für den Schutz der Demokratie und eine Reform der Wettbewerbspolitik. Macron forderte zudem eine gemeinsame Grenzpolizei und eine europäische Asylbehörde.
Kurz begründet seinen Vorstoß mit den vielen Veränderungen in der Europäischen Union seit dem Abschluss des Lissaboner Vertrags, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat. "Wir hatten eine Schuldenkrise, eine Eurokrise, die Migrationskrise, die Klimakrise, das Brexit-Chaos." Der aktuelle Vertrag sei daher nicht mehr zeitgemäß.
Kurz und Söder warnen vor Spaltung Europas
Bereits am Vormittag hatte sich der 32-Jährige gemeinsam mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder für eine Stärkung der EU ausgesprochen. Beide haben vor einer Spaltung Europas gewarnt. "Dieses Europa ist gefährdet. Es beginnt, an einigen Stellen zu zerbröckeln, weil einige Spalter es auseinander treiben wollen", sagte Söder nach einem Treffen mit Kurz in Wien.
Kurz erklärte, dass es eine starke Mitte brauche, weil sowohl von Rechtsaußen als auch von Links Gefahr drohe. Beide lehnten daher etwa eine Zusammenarbeit mit der AfD ab. Kurz koaliert allerdings mit der rechten FPÖ, die für rechtsextremistische Rhetorik und personelle und inhaltliche Verbindungen in den organisierten Rechtsextremismus bekannt ist.
Mit Blick auf die anstehende Europawahl vom 23. bis 26. Mai sprachen sich Söder und Kurz dafür aus, dass der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber bei einem Wahlsieg nächster EU-Kommissionspräsident werden soll. Der Spitzenkandidat, der das beste Ergebnis in Europa erziele, habe auch einen klaren Führungsanspruch, sagte Söder. "Wir unterstützen unseren Spitzenkandidaten voll und ganz und ich bin froh, wenn Manfred Weber am Ende nicht nur die Wahl gewinnt, sondern nächster Kommissionspräsident wird", sagte Kurz.
Signale Orbans und Salvinis kontraproduktiv
Dass Kurz in Österreich mit der rechten FPÖ eine Regierung bildet, die auf europäischer Ebene gerne mit der AfD und der rechten Lega von Italiens Innenminister Matteo Salvini zusammenarbeiten will, kommentierte Söder nicht. "Was Österreich entscheidet, muss Österreich selbst wissen. Das ist eine Entscheidung der Bundesregierung. Wir haben in Deutschland genügend mit der AfD zu tun, daher kümmern wir uns in erster Linie um die AfD, sie zu stellen und zu bekämpfen."
Söder betonte erneut, dass ihm das Treffen von Matteo Salvini und Viktor Orban am Donnerstag nicht gefallen habe. Das Treffen und die Signale seien kontraproduktiv. Orban und Salvini hatten sich an einem Grenzzaun zu Serbien getroffen. Salvini warb dabei für seine Europäische Allianz der Völker und Nationen, der sich auch die Partei der Französin Marine Le Pen nach der Europawahl anschließen will. Die Mitgliedschaft von Orbans Partei Fidesz in der EVP ist derzeit ausgesetzt. Er ist für seine harte Anti-Migrationshaltung, Demokratieabbau in Ungarn und antisemitische Kampagnen bekannt.
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Kurz machte derweil deutlich, dass er die Ostsee-Pipeline "Nord Stream 2" auch weiterhin für ein gutes Projekt hält. EVP-Spitzenkandidat Weber hatte zuletzt erklärt, als Chef der EU-Kommission den Bau der Ostsee-Pipeline blockieren zu wollen. Kritiker der Pipeline befürchten, dass Russland zu viel Einflussmöglichkeiten durch den Bau erhalte.
Kurz sagte, dass er Verständnis für die unterschiedlichen Positionen habe, als österreichischer Bundeskanzler aber bei diesem Thema die österreichischen Interessen vertrete. Vor allem die FPÖ vertritt in Österreich eine ausgeprochen kreml-freundliche Linie. Außerdem beteiligt sich der teilstaatliche österreichische Energiekonzern OMV an "Nord Stream 2". Die Pipeline soll bis Jahresende fertig sein.
- Nachrichtenagentur dpa