Ringen um Austrittsabkommen Theresa Mays Optionen für den Brexit schwinden
Alle warten auf Theresa Mays Plan B für den Brexit. Viele Möglichkeiten hat die Premierministerin nicht mehr. Die Verhandlungsbereitschaft ihrer Partner scheint ausgereizt.
Am Nachmittag muss die britische Premierministerin Theresa May erneut vor das britische Parlament treten: Diesmal geht es um die Erklärung über einen "Plan B" für das durch das Unterhaus abgelehnte Brexit-Abkommen. Dass die Regierung dabei einen konkreten Vorschlag dazu macht, wie der Deal eine Mehrheit im Parlament bekommen könnte, ist unwahrscheinlich.
Im besten Fall ist mit einem Fahrplan für die Konsensfindung zu rechnen. Danach müssten möglicherweise Nachverhandlungen mit Brüssel anstehen. Erst dann könnte erneut über den Deal abgestimmt werden. Ein großes Streitthema ist der "Backstop", die Grenzregelung zwischen Nordirland und EU-Mitglied Irland. Berichten zufolge zieht May eine bilaterale Lösung in Betracht, um ihre Chancen zu erhöhen. Irland schließt derartige Verhandlungen jedoch aus.
Was hat Theresa May vor?
Offiziell heißt es, May will mit der Opposition und den Rebellen in der eigenen Partei bei Gesprächen eine Einigung suchen. Doch es gibt Zweifel daran, ob sie das wirklich ernst meint.
Bislang sieht es nicht danach aus, als würde May von ihren roten Linien abweichen. Nur die Brexit-Hardliner in der Tory-Partei zeigten sich zufrieden mit den Gesprächen – sie wünschen nichts sehnlicher herbei als einen chaotischen EU-Austritt. Eine Mehrheit der Abgeordneten will dagegen den "No Deal" unbedingt verhindern. Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour-Partei will sich an den Gesprächen deshalb gar nicht beteiligen, solange May einen Brexit ohne Abkommen nicht vom Tisch nimmt.
Beobachter glauben, dass May noch immer auf Zeit spielt und hofft, dass ausreichend Abgeordnete ihrem Deal doch noch zustimmen werden, wenn das Land nur nahe genug an den Abgrund rückt und sich keine der vorgelegten Alternativen als mehrheitsfähig erwiesen hat.
Wie geht es jetzt weiter?
Nachdem May am Montagnachmittag ihren Plan B vorgestellt hat, soll am 29. Januar im Unterhaus über den Fahrplan debattiert und abgestimmt werden. Die Abgeordneten haben dabei die Möglichkeit, die Beschlussvorlage zu ändern. Herauskommen könnte dem Politikwissenschaftler Jack Simson Caird von der Denkfabrik Bingham Centre zufolge, dass das Parlament im Februar über eine ganze Reihe verschiedener Optionen abstimmt, um herauszufiltern, welche Änderungen oder Alternativen für das Brexit-Abkommen mehrheitsfähig sind.
Welche Möglichkeiten bleiben den Briten?
Ein großer Teil der Opposition wünscht sich eine engere Anbindung an die EU, als bisher vorgesehen. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Zollunion und möglicherweise auch im Binnenmarkt dürfte daher thematisiert werden.
Außerdem wird der "Backstop", die Garantie für die offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und EU-Mitglied Irland, erneut für Diskussionen sorgen. Die Brexit-Hardliner in Mays konservativer Partei und auch die nordirische DUP, von der ihre Minderheitsregierung abhängt, verlangen, dass die Regelung aus dem Abkommen entfernt wird oder zumindest ein einseitiges Kündigungsrecht für London vereinbart wird. Die britische "Sunday Times" berichtete am Wochenende über die Möglichkeit eines bilateralen Vertrags zwischen Großbritannien und Irland, um einen der größten Streitpunkte im Brexit-Drama zu umgehen. Damit könnte sie Kritikern entgegenkommen und ein wesentliches Problem auslagern. Einziges Hindernis: Irland will in derartige Gespräche nicht eintreten. Das sagte Europaministerin Helen McEntee dem Staatsrundfunk RTE.
Auch die Idee, die Entscheidung über den Brexit-Deal dem Volk vorzulegen, hat ihre Anhänger im Unterhaus. Für ein zweites Referendum wäre aber eine Verschiebung des Austrittsdatums am 29. März notwendig. Der müssten alle EU-Staaten zustimmen. Im Mai allerdings stehen Europawahlen an. Ist Großbritannien dann noch Mitglied der EU, müssten die Briten sich daran beteiligen. Im Juli tritt das neugewählte Parlament zusammen, deshalb wäre eine Verlängerung nur bis Ende Juni sinnvoll.
Kann ein Austritt ohne Abkommen noch verhindert werden?
Das Parlament kann ein "No Deal"-Szenario nur verhindern, indem es sich auf eine Alternative dazu einigt. Das Austrittsdatum 29. März ist im EU-Austrittsgesetz festgeschrieben, es bräuchte also eine Gesetzesänderung, um ein unbeabsichtigtes Herausschlittern aus der EU zu vermeiden.
Bislang sieht es nicht danach aus, als würde sich für irgendeinen alternativen Plan eine Mehrheit finden lassen. Daher spricht vieles dafür, dass Großbritannien den Austritt noch einmal verschieben muss, um Zeit zu gewinnen. Dafür wäre aber die Kooperation der Regierung notwendig.
Was kann die Europäische Union noch beitragen?
Die EU hält sich nach der Ablehnung des Brexit-Deals zurück und beteuert öffentlich immer wieder, es sei nun an Großbritannien, einen Lösungsvorschlag zu machen. Hinter den Kulissen brüten aber auch in Brüssel alle über einen Ausweg aus der Sackgasse.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker telefonierte nach offiziellen Angaben diese Woche mit fast allen europäischen Hauptstädten und am Freitag schließlich auch mit Premierministerin May. Wenn die beiden irgendeinen Fortschritt machten, dann drang davon zumindest nichts nach außen.
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Die gängige diplomatische Sprachregelung ist nun: Sobald es einen im britischen Unterhaus konsensfähigen Vorschlag gibt, wird sich die EU damit befassen. Eine Verlängerung der zweijährigen Austrittsfrist über den 29. März hinaus wird nicht ausgeschlossen, ebenso wenig wie neue Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zu Großbritannien, wenn London zum Beispiel doch eine Zollunion will. Die Europäische Union signalisiert Einigkeit. Es ist jedoch kein Geheimnis, dass die Mitglieder unterschiedliche Interessen haben – etwa aufgrund der wirtschaftlichen Verstrickungen mit Großbritannien oder der innenpolitischen Lage im eigenen Land.
- Nachrichtenagentur dpa
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