Schnell erklärt Wie sich Theresa May den Brexit vorstellt
Wie soll der Brexit aussehen? Premierministerin Theresa May will eine Grundsatzrede halten. Aber die bisherige Position der britischen Regierung stellt die EU überhaupt nicht zufrieden.
Brüssel drängelt seit Monaten. Die Europäische Union will eine klare Ansage von der britischen Regierung, wie der Brexit und die künftige Partnerschaft beider Seiten aussehen soll. Denn davon hängt viel ab, vor allem für die Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Doch noch immer hat die Regierung nur erklärt, was sie nicht will: Die Regeln, wie sie jetzt gelten. Aber: Was dann?
Ihr wollt raus, ihr müsst euch Gedanken machen, wie das gehen kann, heißt in etwa die Position der anderen EU-Staaten. Am heutigen Freitag nun will Premierministerin Theresa May endlich ihre Position in einer Grundsatzrede erläutern.
Was will die britische Regierung?
Kurz gefasst: London wünscht sich mehr Selbstbestimmung und weniger Regeln. Gleichzeitig soll der Handel zwischen EU und Großbritannien so "reibungslos" wie möglich sein. Auch Finanzdienstleistungen wollen die Briten weiter in der EU anbieten.
Konkret heißt das, London will den Binnenmarkt verlassen, weil auch die Freizügigkeit von EU-Arbeitnehmern garantiert wird. London will die Zollunion verlassen, weil deren Mitglieder Zölle für Waren aus anderen Ländern gemeinsam regeln; eigene Handelsabkommen zum Beispiel mit den USA sind damit ausgeschlossen. Und London will nicht mehr der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterworfen sein.
Nur Nachteile soll das alles nicht haben, der Handel mit der EU soll nicht leiden.
Wie es gelingen soll, dass zwischen dem britischen Nordirland und Irland auch weiter eine offene Grenze besteht, aber unterschiedliche wirtschaftliche Regeln gelten, muss London noch erklären. Es ist eine der schwierigsten Fragen.
Wie will London seine Ziele erreichen?
Im Gespräch ist der sogenannte "Drei-Körbe-Ansatz" – also unterschiedliche Regeln für unterschiedliche Branchen.
Freien Warenverkehr soll es für einzelne Branchen geben, zum Beispiel für die Autoindustrie; Großbritannien würde sich in diesen Bereichen freiwillig EU-Recht unterwerfen.
In anderen Bereichen sollen nur gemeinsame Ziele mit der EU vereinbart werden, beispielsweise in Sachen Arbeitnehmerrechte. Beide Seiten sollen die jeweiligen Regeln gegenseitig anerkennen.
In anderen Feldern, etwa der Landwirtschaft und Fischerei, will sich London Berichten zufolge dagegen ganz frei machen vom Regelwerk der EU.
Was entgegnet die EU?
Die Reaktion aus Brüssel auf diese Erwägungen ist eindeutig: "Pure Illusion" nannte EU-Ratspräsident Donald Tusk die Ideen aus London und EU-Unterhändler Michel Barnier schloss sich gleich an.
Das Körbe-Modell ist für sie "Rosinenpicken" – man nutzt Vorteile von Zollunion und Binnenmarkt, ohne sich den Regeln zu unterwerfen. Tusk und Barnier halten den ganzen britischen Ansatz für unrealistisch: "Es kann keinen reibungslosen Handel außerhalb der Zollunion und des Binnenmarkts geben", sagt Tusk. "Reibung ist eine unvermeidliche Nebenwirkung des Brexit."
Was will die britische Opposition?
Labour-Chef Jeremy Corbyn will anders als die Regierung eine neue Zollunion mit der EU, um die Wirtschaft zu schützen und Zollkontrollen an der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindern. Dafür erhält er Zuspruch von Wirtschaftsverbänden und Experten. Außenminister Boris Johnson dagegen schäumte, Corbyns Pläne würden Großbritannien den Status einer Kolonie der EU verleihen.
Wie geht es in Großbritannien weiter?
Auch EU-freundliche Konservative wollen eine Zollunion und wollen dies per Gesetz erzwingen – was auf eine Rebellion gegen May hinauslaufen könnte. Die abtrünnigen Konservativen rechnen nach den jüngsten Äußerungen Corbyns mit weitgehender Unterstützung der Opposition und einer Mehrheit im Parlament.
Medien spekulieren schon, May könnte mit Rücktritt drohen, um eine Niederlage zu verhindern. Eine entsprechende Abstimmung wird aber nicht vor Ostern erwartet.
Und was plant die EU?
Tusk will nächste Woche seinen Vorschlag für die künftigen Beziehungen machen und sie sich auf dem EU-Gipfel in drei Wochen absegnen lassen. Worauf es mit all den Wenn und Aber aus London hinausläuft, hat Unterhändler Barnier bereits angedeutet: Mehr als ein Freihandelsabkommen werde es wohl nicht.
Denkbar seien prinzipiell alle Modelle, und je mehr Pflichten und Regeln London akzeptiere, desto freier könne der Handel sein. "Es ist immer auch möglich, ein ambitionierteres Modell zu wählen und in der Zollunion zu bleiben", sagte Barnier am Donnerstag. "Aber das würde die richtige Balance von Rechten und Pflichten bedeuten.
Wie ist der Zeitplan?
In Mays Rede soll es um eine Vision für die Zukunft gehen; um das Verhältnis zwischen EU und UK nach einem Brexit. Bis dahin wird aber noch Zeit vergehen, auch Großbritannien möchte eine Übergangsphase. Dafür hat die EU die Formel: "Status quo ohne Stimmrecht" geprägt. Es soll also bis Ende 2020 alles bleiben, wie es ist; EU-Regeln gelten weiter in Großbritannien, auch solche, die erst neu geschaffen werden; nur hätte UK kein Stimmrecht mehr in den EU-Institutionen, wenn es im Frühjahr 2019 ausgetreten sein wird. Das ist das Angebot der EU.
Auf dem EU-Gipfel am 22. und 23. März soll die Übergangsphase beschlossen werden. Im Oktober, vielleicht auch erst Ende des Jahres, soll dann geklärt werden, wie das künftige Verhältnis aussehen soll.
- dpa
- Eigene Recherchen