Strom weg, Lucke abgetaucht Griechische Verhältnisse bei Günther Jauch
Alles begann mit einem Stromausfall: Günther Jauch musste den Start seiner Sendung am Sonntagabend um knapp zwanzig Minuten verschieben. In Berlin herrschte Dunkelheit. Wie passend zu einer Diskussion um Griechenland, die EU und die Frage: Wie soll ein praktisch zahlungsunfähiges Land gerettet werden, das nicht gerettet werden will? Oder will es doch?
Um 22.04 Uhr war es soweit: Günther Jauch moderierte seine Sendung an. Hinter ihm und der ARD lagen Minuten des Bangens, ob die Talkshow überhaupt auf Sendung gehen würde. In Teilen Berlins war der Strom ausgefallen, auch im Gasometer, weshalb die ersten Minuten der Diskussion ohne Einblendungen oder Einspieler funktionieren mussten. Jauch hingegen funktionierte gut, erklärte charmant die unverschuldete Panne und leitete vom Stromausfall in Berlin auf die Stromknappheit in Griechenland über. Und so begann der Jauch-Talk mit "griechischen Verhältnissen", wie der Gastgeber selbst eingestand.
Wo war Bernd Lucke?
Womit wir beim Thema wären: die Schuldenkrise Griechenlands. Die wohl bemerkenswertesten Aussagen waren die, die ein Mann für sich behielt. Ein Mann, dessen Art das sonst nicht ist, der sich aber in den letzten 25 Minuten kein einziges Mal mehr zu Wort meldete: Bernd Lucke, AfD-Chef, und eigentlicher Befürworter des Ausstiegs Griechenland aus der Euro-Zone.
Nun stellt sich die Frage, warum er nicht mehr zu Wort kam. Wollte ihn Jauch nicht mehr einbinden? Konnte sich Lucke nicht mehr in die Diskussion einschalten? Wurde er auch bewusst von den Kameras umgangen – denn selbst zuhörend wurde er nicht mehr eingeblendet? Oder wollte Lucke schlicht nichts mehr sagen, weil er gemerkt hatte, dass die anderen Diskustanten zwar keineswegs einer Meinung waren, aber alle wohl ziemlich sicher nicht für einen Ausstieg Griechenlands aus der Euro-Zone stimmen würden?
Lucke hatte zu Beginn der Sendung noch dazu beigetragen, den Wahlsieg des Spargegners und Syriza-Chefs Alexis Tsipras besser einzuordnen. Er habe sich zwar darüber gefreut, dass sich die Griechen gegen das politische Establishment und die Sparzwänge der EU erhoben hätten.
Dass Tsipras aber eine Politik betreiben wolle nach dem Motto 'Egal, was man nun in der Finanzpolitik unternehmen, Deutschland und die EU zahlen', sei nicht in Ordnung. "Schließlich ist Griechenland die ursprüngliche Staatsverschuldung gegenüber privaten Gläubigern freiwillig eingegangen. Und an diese Verträge muss sich das Land halten."
"Vernichtungsschneise des Kürzungsdiktats"
Den Rest der Sendung überließ Lucke jedoch den anderen Gästen. Da waren zum einen die beiden Streithähne aus der Politik: Wolfgang Bosbach (CDU) und Katja Kipping (Linke). Bosbach erklärte: "Tsipras kann nicht ernsthaft erwarten, dass die Steuerzahler anderer Länder zahlen, was er seinem Land versprochen hat." Kipping hielt ihm in deutlichen Worten entgegen, dass Deutschland und die EU – und es schien, als ob sie Griechenlands dramatische wirtschaftliche Lage alleine der aktuellen deutschen Regierung in die Schuhe schieben wollte – "eine Vernichtungsschneise des Kürzungsdiktats" durch Griechenland gezogen habe.
Es entstand eine mehr als halbstündige Debatte um die Frage, was Griechenland in die Situation geführt habe, in der das Land heute steckt. Am eigentlichen Thema ("Der Euro-Schreck - wohin führt die Griechen-Wut?"), das sich mit der Zukunft des Landes auseinander setzen wollte, ging diese allerdings vorbei. Es brauchte die beiden Journalisten in der Runde, um die Diskussion wieder auf Kurs zu bringen.
Anja Kohl, ARD-Börsenexpertin, erklärte zunächst das Wahlergebnis als einen "demokratischen Hilfeschrei". In einem Land, in dem 1,3 Millionen von 3,6 Millionen Erwerbsfähigen arbeitslos seien, die Jugendarbeitslosigkeit bei über 40 Prozent liege und faktisch ein Drittel der Bevölkerung von Armut bedroht sei, "bestimmt Armut die Realität". Man müsse einen Weg finden, dieses von Kipping angeprangerte "soziale Chaos" aufzulösen.
"Dann hätten wir ein neues Land"
Kohl und ihr Kollege, der Deutsch-Grieche Michalis Pantelouris, postulierten einen Schuldenschnitt für Griechenland unter kontrollierten Bedingungen. Ein teilweiser Schuldenerlass sei unumgänglich. Man dürfe Griechenland nicht mehr einfach nur Geld zur Verfügung stellen, es zum Sparen und zur Rückzahlung der Kredite zwingen. "Wir müssen den Griechen Geld geben, damit sie einerseits Schulden zurückzahlen können, andererseits aber in die Infrastruktur und sozialen Sicherungssystem investieren."
Und Kohl erklärte, dass bei der aktuellen Arbeitslosigkeit nicht mehr genügend Menschen in die Sozialkassen einzahlen, weshalb sich die finanziellen und sozialen Probleme in einigen Jahren nur noch potenzieren werden. Man müsse Griechenland dazu bewegen, ein neues Steuersystem einzuführen, in dem auch die Reichen besteuert werden, in dem Steuern tatsächlich gezahlt werden und in dem Steuergelder an den richtigen Punkten auch wieder investiert werden. "Dann hätten wir ein neues Land", pflichtete Pantelouris ihr bei.
Dieses "neue Land" hätte aber einen Preis: circa 40 Milliarden Euro deutsche Steuergelder. Einzig: Der Preis, den nicht nur Deutschland zahlen müsste, würde Griechenland tatsächlich aus dem Euro aussteigen, läge weit höher. Viel höher. Inklusive weltweiter Rezession, Unternehmenspleiten, Abwertung des Euros, Verlust der Kaufkraft und einer neuen Bankenkrise, die derjenigen aus dem Jahr 2008 in kürzester Zeit nahe käme. Würde Griechenland aus dem Euro rausfallen, hätte Berlin ein viel größeres Problem als einen Stromausfall an einem Sonntagabend.