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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Zum Tod von Jacques Delors Der kleine Sonnenkönig
Jacques Delors war ein großer Europäer und trieb die Einigung beispielhaft voran. Er war ein pragmatischer Sozialdemokrat wie Helmut Schmidt, der ihn schätzte, und wäre überhaupt gut als Deutscher durchgegangen.
Zu den Merkwürdigkeiten der europäischen Einigung gehört es, dass ein Brite und zwei Franzosen das Projekt vorangetrieben haben. Der Brite war Winston Churchill, der im September 1946 in Zürich ein flammendes Plädoyer hielt: "Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa errichten. Nur auf diese Weise werden Hunderte von Millionen hart arbeitender Menschen in die Lage versetzt, jene einfachen Freuden und Hoffnungen wiederzuerhalten, die das Leben lebenswert machen." Sind das nicht wunderbare Sätze?
Der eine Franzose war Jean Monnet. Er hatte die Idee, dass die westeuropäische Schwerindustrie, unter Einschluss der deutschen, in der Montanunion integriert werden sollte. So wurde sie zum Vorläufer der Europäischen Union. Die Verdienste wurden damals Maurice Schumann zugeschrieben, dem französischen Außenminister. Monnet mag es egal gewesen sein, er war ja kein Politiker, er war Unternehmer.
Der zweite Franzose war Jacques Delors, der Inbegriff eines Pragmatikers, der von 1985 bis 1995 zehn Jahre lang, Präsident der Kommission der Institution war, die damals noch "Europäische Wirtschaftsgemeinschaft" hieß. Niemand verkörperte Europa so unnachahmlich wie er. Niemand brachte sie weiter und schneller voran. Er konnte es, weil er das Vertrauen der Regierungschefs genoss.
Delors war Diener der Sache
Helmut Schmidt, der sich für den größten Wirtschaftsfachmann auf Gottes Erdboden hielt, respektierte Delors immerhin. François Mitterrand förderte ihn, damit Frankreich – das sich als politische Vormacht in Europa verstand – auch in Brüssel die Schalthebel bediente.
Delors war etwas, was französischen Politikern eigentlich fremd ist: ein Diener der Sache, die ihm wichtig war. Er hätte das Zeug gehabt, Nachfolger Mitterrands zu werden – wollte es aber nicht. Lieber als in Paris war er in Brüssel und blieb dort die überragende Autorität in Wirtschafts- und Finanzfragen. Lieber überwand er das, was damals die "Eurosklerose" hieß, schuf den Binnenmarkt und sorgte für die Voraussetzungen zur Währungsunion, die er schon in den Blick nahm, als andere noch nicht mal daran dachten.
Von Gemüt und Temperament her wäre Delors als Deutscher durchgegangen. Er stammte aus einer katholischen Arbeiterfamilie und war beeinflusst von der katholischen Soziallehre, wie es die CDU in ihren Anfängen auch war. Er durchwanderte zunächst christliche Kleinparteien – in Deutschland gab es nach dem Krieg die feine gesamtdeutsche Volkspartei, aus der ehrenwerte Männer wie Erhard Eppler und Johannes Rau hervorgingen.
Jacques Delors wollte viel ausrichten.
Wie die beiden Deutschen entschied sich Delors dann für die Sozialistische Partei. Im Grunde war Delors ein Sozialdemokrat vom Stamme Schmidt, denn er setzte sich für berufliche Fortbildung ein und für die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg aus kleinen Verhältnissen. Zu seinen Brüsseler Errungenschaften gehörte nicht zufällig die Gemeinschaftscharta für die sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer.
Für Delors war die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft der ideale Nährboden. Hier konnte er reformieren, hier konnte ihm niemand das Wasser reichen. Die Staats- und Regierungschefs mischten sich noch nicht wie heute in mikroskopische Belange ein. Die Kommission war klein und fein, das Europäische Parlament gab es erst seit 1979 und suchte noch nach seinem Platz im Gefüge. Der Präsident war eine Figur aus eigenem Recht. Es lag an ihm, wie viel er ausrichten wollte.
Jacques Delors wollte viel ausrichten. Auch deshalb hielt er sich aus der französischen Innenpolitik heraus. Sein Trauma war die Zeit als Finanz- und Wirtschaftsminister im Kabinett Mitterrand, wo ihn der Chef zur Austeritätspolitik verdonnerte, als das sozialistische Experiment – erheblich mehr Ausgaben als Einnahmen – gescheitert war. Deshalb regierte Delors in Brüssel lieber wie ein kleiner Sonnenkönig.
Delors Idee wurde Wirklichkeit: Der Euro
Ungewöhnlich war auch, dass Delors 1989 sofort für die deutsche Wiedervereinigung eintrat. Damit unterschied er sich von Mitterrand, der noch im Herbst 1989 die DDR besuchte, als würde sie noch viele Jahre lang existieren. Am Ende ließ sich der französische Präsident von Kanzler Helmut Kohl versichern, der Prozess der europäischen Einigung werde weitergehen, und dann ließ er der Geschichte gnädig ihren Lauf.
Was Jacques Delors schon lange zuvor durch den Kopf gegangen war, wurde nunmehr Wirklichkeit: der Euro als Währungseinheit. Wäre es nach ihm, und übrigens auch Helmut Kohl, gegangen, wäre die politische Einigung Europas hinzugekommen. Aber das war mit François Mitterand nicht zu machen, geschweige denn mit Margaret Thatcher.
Jacques Delors gehört zum Besten, was Europa passieren konnte. Gut so, dass er 2015 zum Ehrenbürger Europas ernannt wurde. Hochgeehrt ist er heute im Alter von 98 Jahren gestorben.
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