t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeKlimaLeben & Umwelt

Ex-Shell-Manager soll EU-Klimakommissar werden: "Natur im Stich gelassen"


Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Aufschrei, Protest und Unverständnis
Personalentscheidung der EU sorgt für Knall


Aktualisiert am 04.09.2023Lesedauer: 5 Min.
Wopke Hoekstra nach seinem Vorstellungsgespräch bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel: Über seine Eignung als Klimakommissar gehen die Meinungen stark auseinander.Vergrößern des Bildes
Wopke Hoekstra nach seinem Vorstellungsgespräch in Brüssel: Über seine Eignung als Klimakommissar gehen die Meinungen stark auseinander. (Quelle: IMAGO/ROB ENGELAAR)

Die Pandemie machte ihn als Geizhals bekannt, der Krieg in der Ukraine als Kampfjet-Lieferanten. Jetzt will der Niederländer Wopke Hoekstra Klimageschichte schreiben.

Während die politische Sommerpause in Berlin noch auströpfelt, hat es in Brüssel bereits geknallt. Eine Personalie sorgt hier bei vielen für Bluthochdruck: Wopke Hoekstra, zuletzt Außenminister der Niederlande, soll EU-Klimakommissar werden.

Für den Top-Job, dessen bisheriger Inhaber nach innen wie außen um mehr Geld, Mühe und Tempo beim Klimaschutz geworben hat, ist damit ausgerechnet ein früherer Öl-Manager vorgesehen.

Vor seinem Start in der Politik war Hoekstra mehrere Jahre beim niederländischen Ölkonzern Shell tätig, ging danach zur Beratungsfirma McKinsey & Company und wurde für seine konservativ-christdemokratische Partei CDA schließlich Finanz- und dann Außenminister. Seitdem ist er auch international bekannt.

Durchwachsener Ruf

Als Fiskus-Chef zu Corona-Zeiten drängte Hoekstra die EU zwischenzeitlich an den Rand des Kollapses: Seine hartnäckige Ablehnung einer solidarischen Lastenteilung der Pandemiekosten brachte ihm den Ruf als Hardliner ein – später soll er selbst eingeräumt haben, gegenüber Staaten wie Italien und Spanien nicht einfühlsam genug gewesen zu sein.

Im Außenministerium trat er zuletzt vor allem damit in Erscheinung, der Ukraine Kampfjets vom Typ F16 senden zu wollen. Noch bevor der erste Flieger aus den Niederlanden Richtung Kiew geht, könnte Hoekstra jedoch schon nach Brüssel umgezogen sein.

Dass dort ein Platz freigeworden ist, hat der 47-Jährige den vorgezogenen Parlamentswahlen im eigenen Land zu verdanken. Der bisherige EU-Klimakommissar Frans Timmermans hat seinen Posten geräumt, um sich dort bei den Wahlen im November das Amt des Ministerpräsidenten zu erkämpfen. Das Recht, den Job in Brüssel nachzubesetzen, liegt weiter in Den Haag, wo die Übergangsregierung sich vergangene Woche für Hoekstra aussprach. Keine schlechte Wahl, findet zumindest EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die auf EU-Ebene auch eine Parteifreundin Hoekstras ist.

"Seine Regierungserfahrung wird insbesondere für die europäische Klimadiplomatie im Vorfeld der COP28 [UN-Klimakonferenz] und für die Klimafinanzierung sowie für die Umsetzung von klimarelevanten Rechtsinstrumenten von großem Nutzen sein", sagte sie am Mittwoch.

Hoekstra habe in seinem Bewerbungsgespräch in Brüssel sein Engagement für die Fortsetzung einer ehrgeizigen Klimapolitik und für die Wahrung eines sozialen Gleichgewichts bei allen notwendigen gemeinsamen Anstrengungen auf dem Weg zur Klimaneutralität betont, hieß es.

"Wie bitte?"

Doch von außen hagelt es Kritik. Vor allem bei Umweltschutzorganisationen und grünen Parteien ist der Aufschrei groß.

"Wie bitte? Hoekstra nach Europa? Für Klima und Natur? Ein ehemaliger Shell-Mitarbeiter, der die [niederländische Fluggesellschaft] KLM ohne nachhaltige Bedingungen mit Milliarden unterstützt hat, der die Stickstoffkrise aufgebauscht und damit die Natur im Stich gelassen hat, sollte keinen so wichtigen Posten bekommen", schrieb Andy Palmen, Geschäftsführer von Greenpeace in den Niederlanden, auf dem Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Auch die Direktorin der niederländischen Klimaorganisation Both Ends, Danielle Hirsch, scheint wenig davon zu halten, Hoekstra dieses Portfolio anzuvertrauen. Er lasse sich bei sensiblen Umweltthemen zu stark von konservativen Kräften beeinflussen, schrieb sie auf X und verwies darauf, dass Hoekstra die Selbstverpflichtung seiner Partei aufgekündigt hat, die Stickstoffemissionen in den Niederlanden bis 2030 zu halbieren. Andere Umwelt-NGOs zweifeln vor allem an seiner Expertise – ein Herz fürs Klima habe er bislang nicht bewiesen.

Aus Deutschland kam die wohl deutlichste Kritik vom Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner. "Fossile Lobbyisten gehören nicht in die Politik", monierte dieser auf X. Eine ähnlich lautende Petition gegen Hoekstras Ernennung der Bürgerbewegung DeGoedeZaak haben derweil bereits mehr als 38.000 Menschen unterschrieben (Stand: 3.9., 10:00 Uhr).

Sie fordern einen Kandidaten, der Klimaschutz ernst nehme. "Obwohl Hoekstra weder Wissen, Können noch den Willen hat, gegen eine totale Klimakatastrophe vorzugehen, wird ausgerechnet er als EU-Kommissar nominiert", so die Organisatoren der Unterschriftenaktion.

Brüssel als politisches und persönliches "Rettungsboot"

Auch in den Reihen von Hoekstras eigener Partei regt sich Kritik. Aus Sicht einiger Parteigenossen sei die Position in Brüssel das "erste Rettungsboot" für Hoekstra, der befürchten muss, in der anstehenden Wahl weder Ministeramt noch Mandat halten zu können. Zuletzt lag seine CDA in Umfragen bei weniger als 3 Prozent – der schlechteste Zustimmungswert, den die ehemals mächtige Partei je erzielt hat.

Viele Niederländer sähen die Nominierung als Fahnenflucht des ehemaligen Vorsitzenden einer angeschlagenen Partei, schrieb die Zeitung "de Volkskrant". Ein Deal, den Hoekstra mit einem scheidenden Ministerpräsidenten im Hinterzimmer vereinbart habe. Hoekstras Kandidatur könne für die EU-Kommissionspräsidentin nur dann Sinn ergeben, wenn sie von den Umständen in den Niederlanden nichts wisse, so die Zeitung.

Wenige Worte von Hoekstra

Hoekstra selbst reagierte auf die Kritik nur sehr knapp: Als Finanz- und Außenminister habe er bereits Berührung mit Klimapolitik gehabt. Es sei eben "eines der großen Themen unserer Zeit". Am Freitag trat er von seinem Amt als Außenminister zurück und reichte seine Entlassungspapiere beim niederländischen König Willem-Alexander ein. Als Grund gab er in einem Post auf der Plattform X an, sich auf seine "wahrscheinliche neue Rolle als EU-Klimakommissar" vorbereiten zu wollen.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Mit Blick auf mögliche Wissenslücken könnte etwas helfen, dass Ursula von der Leyen plant, den umfassenden Klima-Zuständigkeitsbereich auf EU-Ebene aufzuspalten, den Vorgänger Frans Timmermans noch allein abgedeckt hatte. Mit kürzerer Aufgabenliste müsste Hoekstra nicht ganz so viel aufholen.

So soll der neue Klimakommissar vor allem nicht mehr die Verantwortung für die ressortübergreifende Klima-Agenda der EU, den Green Deal, übernehmen. Dieser Bereich soll Maroš Šefčovič zufallen, dem parteilosen Stellvertreter der Kommissionspräsidentin, dem Hoekstra unterstellt sein soll.

Als Klimakommissar wäre der ehemalige niederländische Außenminister dennoch unter anderem das Gesicht der Europäischen Union bei der nächsten UN-Klimakonferenz, die ab Ende November in Dubai stattfinden wird. Der Kontext für diesen Gipfel gilt als extrem herausfordernd, da bislang kaum Fortschritte bei den Minderungszielen zum CO2-Ausstoß gemacht worden sind. Einen Neuling wie Hoekstra dorthin zu schicken, scheint gewagt.

Loading...
Loading...

Die personelle Trennung zwischen EU-Klimachefposten und Green-Deal-Manager dürfte aber auch taktischer Natur sein. Denn: Die europäische Parteienfamilie EVP, zu der Hoekstras CDA gehört, hatte in den vergangenen Monaten wiederholt versucht, zentrale Elemente des Green Deals zu demontieren. Ihm diesen dennoch anzuvertrauen, hätte wohl noch stärkeren Widerstand erzeugt. Doch auch so müssen Hoekstra und von der Leyen sich auf einiges gefasst machen.

Auch Abgeordnete auf den Barrikaden

Ob der Niederländer demnächst tatsächlich als Klimachef in Brüssel Platz nehmen kann, entscheidet nämlich das Europaparlament. Hier muss sich Hoekstra im September vorstellen und mindestens zwei Drittel des für Klima- und Umweltangelegenheiten zuständigen Ausschusses überzeugen.

"Letztendlich läuft es auf die Frage hinaus […]: Es gibt zwei Strömungen in Europa, eine, die Gas geben will, um Umweltverschmutzung und Armut zu bekämpfen und den Planeten zu retten, und eine, die meint, man müsse auf die Bremse treten, um die Dinge zu retten. Für welche Strömung entscheidet sich Hoekstra?", fasste Ausschussmitglied Mohammed Chahim die bevorstehende Entscheidung im Gespräch mit der niederländischen Tageszeitung "AD" zusammen.

Schärfer ging die ebenfalls aus den Niederlanden stammende EU-Abgeordnete Sophie in t'Veld der Partei Volt den Klima-Kandidaten an. "Hoekstras wichtigste europäische Leistung besteht darin, dass er die Italiener während der COVID-Krise schwer beleidigt hat. Darüber hinaus ist er nicht gerade ein Meister des Klimaschutzes. Was macht ihn so geeignet als Kandidat?", schrieb sie auf X.

Für den Fall, dass Hoekstra nicht im Europaparlament bestehen kann, gäbe es für die Kommissionspräsidentin noch eine andere Option, ihm zu einem Posten zu verhelfen. Denn auch Margarete Vestager, aktuell EU-Wettbewerbskommissarin, ist auf dem Sprung.

Die Dänin hofft, im Herbst als neue Direktorin zur Europäischen Investitionsbank wechseln zu können. Notfalls könnte Hoekstra dann ihren Job übernehmen – und müsste sich statt mit Klimabremsern innerhalb und außerhalb der eigenen Parteienfamilie dann vor allem mit der Macht der großen Tech-Konzerne in Europa auseinandersetzen.

Verwendete Quellen
  • tagesspiegel.de: "Deutschland will EU-Partnern nicht helfen"
  • politico.eu: "How Wopke Hoekstra became Europe’s bond villain"
  • rtlnieuws.nl: "Hoekstra: 2030 'niet heilig' voor halveren stikstofuitstoot"
  • nos.nl: "Milieuorganisaties missen klimaatervaring bij kandidaat-EU-commissaris Hoekstra"
  • ad.nl: "Verzet in Europarlement tegen Hoekstra op klimaatpost in Brussel"
  • politico.eu: "Dutch ‘bond villain’ heads to Brussels"
  • climatechangenews.com: "EU nominates Wopke Hoekstra as top climate diplomat"
  • politico.eu: "Vestager goes for top job at European Investment Bank"
  • campagnes.degoedezaak.org: "Geen fossiele bestuurder als eurocommissaris"
  • euractiv.de: "Niederlande: Neue Anti-Establishment-Partei liegt in Umfragen vorne"
  • devolkskrant.nl: "Onvrede binnen CDA over voordracht Hoekstra als Eurocommissaris: ‘Als pas opgestapte CDA-leider stap je niet in de eerste reddingsboot’"
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



TelekomCo2 Neutrale Website