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Flutkatastrophe: Klimaschutzversäumnisse – warum musste es soweit kommen?


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Hochwasser und Klimakrise
Die Flutkatastrophe deckt die Versäumnisse der Politik auf


Aktualisiert am 17.07.2021Lesedauer: 5 Min.
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Aufräumarbeiten im Westen beginnen: So prekär ist die Lage in den besonders betroffenen Gebieten der Flutkatastrophe. (Quelle: t-online)
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Die Retter und Helfer in den Überschwemmungsgebieten haben schwere Tage hinter sich. Sie sind die Heldinnen und Helden, die vielerorts Schlimmeres verhindert haben. Aber weshalb musste es so weit kommen?

Noch bevor der Dienstwagen von Ministerpräsident Armin Laschet ankam, rollten Panzer durch die Straßen von Hagen. Der Starkregen der vergangenen Tage hatte die nordrhein-westfälische Stadt nahe Dortmund besonders hart getroffen. Soldaten rückten an, Polizei und Feuerwehr waren im Dauereinsatz.

Ihnen gehörte beim Ortstermin am Donnerstag der Dank des Ministerpräsidenten. Schon vor dem ersten Tropfen seien die Verantwortlichen vorbereitet gewesen. Vielleicht besser als Laschets Regierung.

Regenmenge nicht der einzige Faktor

Denn hinter der Flutkatastrophe lauert die Klimakrise. Und damit nicht nur die Frage, ob die Landesregierung genug tut, um das Klima zu schützen. Sondern auch, ob sie mit den bereits spürbaren Folgen umzugehen weiß. Ob aus einem Starkregenereignis eine Hochwasserkatastrophe wird, hängt nämlich von mehreren Faktoren ab: Die Niederschlagsmenge ist zwar ein entscheidender, aber nicht der einzige.

Besonders problematisch wird es dann, wenn die Wassermassen nicht versickern können. Regnet es tagelang, können die Böden so durchtränkt sein, dass sie kein zusätzliches Wasser mehr aufnehmen. Auch lange Dürreperioden verhindern, dass die Böden effektiv Wasser speichern. Der Überschuss kann zur Flut werden. Wie aufnahmefähig der Boden ist, hängt jedoch auch davon ab, wie er genutzt wird.

Ikea und Obi als Flutrisiko

"Wenn wir immer weiter Wiesen, Weiden und Äcker mit Gebäuden und Straßen versiegeln, fließt das Wasser verstärkt an der Oberfläche ab, die Gefahr von Hochwassern steigt," sagt Andreas Rienow, Geograph an der Ruhr-Universität Bochum. Er denkt an die Neubaugebiete, Ikeas, Obis und riesigen Warenhäuser der Onlinehändler, die überall aus dem Boden zu wachsen scheinen. Denn Nordrhein-Westfalen ist die Königin unter den Bodenversieglern.

Rund ein Viertel der Flächen sind dort laut Umweltbundesamt für Verkehrs- oder Siedlungszwecke bebaut; elf Prozent so, dass fast gar kein Wasser mehr in den Boden gelangt. Nur in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen ist noch weniger aufnahmefähiger Grund. "Das sind Flächen, die wir eigentlich dringend brauchen, um die Folgen des Klimawandels abzufedern", sagt Geograph Rienow.

Bodenversiegelung in Städten: Auch solche Flächen, die recht natürlich aussehen, können versiegelt sein. "Im Bonner Hofgarten sieht man erst einmal eine grüne Wiese," erklärt Geograph Rienow, "aber darunter fährt die U-Bahn – keine Chance für Regenwasser, direkt in den Boden einzudringen."

Immer mehr Flächen versiegelt

Nach Angaben des zuständigen Landesamtes für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz wurden im Jahr 2019 täglich etwas mehr als acht Hektar an Boden zusätzlich versiegelt. "Das ist jeden Tag eine Fläche von durchschnittlich elf Fußballfeldern", gibt Rienow zu bedenken, "jeden Tag!" Daran ist auch Armin Laschet nicht ganz unschuldig.

In seiner Antrittsrede vor den Landtagsabgeordneten in Düsseldorf sprach Laschet schon 2017 davon, die Wirtschaft "entfesseln" zu wollen. In Bezug auf die Flächennutzung in seinem Land bedeutete das grünes Licht für Flächenfraß.

Flächenfraß verhindern: Bis zum Jahr 2030 will die Bundesregierung den Flächenneuverbrauch deutschlandweit auf weniger als 30 Hektar pro Tag senken. Für 2050 gibt die EU sogar ein Ziel von "Netto-Null" vor – dann sollen gar keine neuen Flächen mehr bebaut, sondern solche verdichtet oder recycelt werden, die bereits Siedlungs- oder Verkehrszwecken dienen.

Das Ziel der vorherigen rot-grünen Regierung, die Nutzung noch unbebauter Flächen stetig zu reduzieren, wurde ersatzlos gestrichen. Stattdessen erleichterte man den Bau von Industrie- und Gewerbegebieten auf der grünen Wiese.

Auch Zustand der Gewässer zählt

Dirk Jansen hat die Landesregierung daraufhin verklagt. "Jede überbaute Fläche geht als potenzieller Wasserspeicher verloren", sagt er am Telefon. Jansen leitet den Bereich Umwelt- und Naturschutzpolitik beim NRW-Landesverband der Umweltorganisation BUND. Auch er musste infolge des Hochwassers der vergangenen Tage seinen Keller eimerweise wieder trockenlegen. Für den Aktivisten trägt Laschet eine Mitschuld am Ausmaß der Flutkatastrophe.

Denn unverbaute Bereiche und offene Landflächen seien als Wasserpuffer unverzichtbar. "Vor allem wenn Starkregenereignisse wie diese Woche in NRW und Rheinland-Pfalz durch den Klimawandel tendenziell immer häufiger auftreten", so Jansen. Hinzu komme der mangelhafte Gewässerschutz. "Da sieht es auch zappenduster aus in Nordrhein-Westfalen", sagt er.

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Es geht Jansen um zugebaute Auen, Flussbegradigungen und -kanalisierungen, die dazu führten, dass sonst ruhige Flüsse bei Starkregen zu reißenden Gewässern anstiegen. Laut letzter Bestandsaufnahme des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums ist der allergrößte Teil der insgesamt 50.000 Kilometer Fließgewässer im Land noch immer nicht in dem guten ökologischen Zustand, den die EU vorschreibt.

Auch die Wälder könnten mehr

Auch bei der Forstwirtschaftspolitik wirft Jansen der Landesregierung kurzsichtiges Handeln vor. "In der Gegend um Hagen haben wir riesige Fichten-Monokulturen, wo der Borkenkäfer zugeschlagen hat, und die gerade abgeerntet worden sind. Da rauscht das Wasser so die Hänge runter, statt einzusickern, und nimmt Oberboden und Geröll noch mit."

Zwar wurden laut Landeswaldbericht 2019 schon einige Flächen aus der forstwirtschaftlichen Nutzung herausgenommen. Die Vorgabe des Bundes, dass zehn Prozent des Waldes für natürliche Entwicklung bereitgestellt werden soll, will Nordrhein-Westfalen so aber nicht übernehmen.

Die Regierung setzt darauf, dass die Hälfte der Fläche auch reiche und will sich "langfristig" an diesem 5-Prozent-Zielwert orientieren. "Dabei merken wir auch jetzt wieder, dass die ökologische Funktion des Waldes im Vordergrund stehen muss, nicht die Holznutzung", sagt Jansen. Die Landesregierung setze dabei aber genau die falschen Anreize.

Die Kommunen sollen es richten

Im Umweltministerium von NRW sieht man sich nur bedingt in der Pflicht. "Aufgrund der unterschiedlichen Ausgangssituationen und Betroffenheit der Kommunen kann es keinen pauschalen Lösungsweg geben," schreibt der Pressesprecher des Ministeriums Christian Fronczak auf Anfrage von t-online. Vor allem die Kommunen müssten mehr tun.

Sie sollen als "verantwortlich handelnde Akteure" die Risiken durch klimawandelbedingtes Extremwetter "lokal bewerten, Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel planen und umsetzen." Das Ministerium stehe ihnen mit Rat und Fördergeldern zur Seite.

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Klimaschutz in NRW

Außerdem ist man stolz darauf, als erstes Bundesland ein Klimaanpassungsgesetz zu haben. Es ist seit Anfang Juli in Kraft und soll Städte und Kommunen in NRW gegen die Folgen des Klimawandels widerstandsfähiger machen. Auch Armin Laschet kam bei seinem Ortstermin in Hagen darauf zu sprechen. Das Gesetz treffe Vorbereitungen "genau für solche Lagen" wie das katastrophale Hochwasser.

"Das Gesetz ist vollkommen unverbindlich", kritisiert Umweltaktivist Jansen. Außerdem seien die Kommunen bei dessen Umsetzung und Finanzierung größtenteils auf sich gestellt. "Die tragen schon die Hauptlast in Sachen Klimaschutz, machen viel für die Energiewende, werden aber vom Land geradezu alleingelassen. Das jetzt alles den Kommunen zuzuschieben, ist ein übles Schwarzer-Peter-Spiel."

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Keine Kursänderung

Auch Armin Laschet forderte bei seinem Besuch im katastrophengebeutelten Hagen zwar mit Nachdruck "mehr Tempo beim Klimaschutz". Unterstrich dann aber schnell, dass es dabei hauptsächlich national, europäisch und weltweit schneller vorangehen müsse – der Klimawandel entstehe ja nicht in einem Bundesland, so Laschet. Außerdem sei Nordrhein-Westfalen "eins der Länder, das am meisten tut, um gegen den Klimawandel zu kämpfen".

Dabei kommt in Deutschland gerade der NRW-Regierung eher keine Vorreiterrolle im Klimaschutz zu: Zuletzt ordnete sie für das dichtbesiedelte Flächenland einen Mindestabstand zwischen Wohnhäusern und Windkraftanlagen an, der doppelt so groß ist wie für den Kohle-Tagebau. Und auch bei den Verhandlungen zum Kohleausstieg bremsten Laschets Minister.

Auf die Frage des WDR am Donnerstagabend, wie denn die nordrhein-westfälische Landesregierung plane, angesichts der Flutkatastrophe beim Thema Klima einen Gang hochzuschalten, fasste Ministerpräsident Laschet das Vorgehen seiner Regierung dann so zusammen: "Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik."

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Andreas Rienow, Ruhr-Uni Bochum
  • Telefonat mit Dirk Jansen, BUND
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