Fahren oder fahren lassen? Moderne Assistenzsysteme im Auto
Stuttgart/Losheim am See (dpa/tmn) - Ein ausgebranntes Wrack in den TV-Nachrichten, zwei Tote und viele Fragezeichen - als vor kurzem bei Houston im US-Bundesstaat Texas ein angeblich führerloser Tesla gegen einen Baum fuhr, hat das einmal mehr die Grenzen moderner Assistenzsysteme aufgezeigt.
Auch wenn Namen wie "Autopilot" bereits autonomes Fahren suggerieren: Es gibt aktuell in keinem Serienauto ein System, das den Fahrer tatsächlich ersetzen kann und darf, warnt der ADAC in München.
Zwar lassen auch die allermeisten Autohersteller bislang keinen Zweifel daran, dass ihre Systeme den Fahrer nur unterstützen und keinesfalls überflüssig machen. Sie betreiben deshalb zumeist einen hohen Aufwand, um den Menschen in der Pflicht zu halten: So kontrollieren Kameras die Aufmerksamkeit und Sensoren achten darauf, dass die Hände am Lenkrad bleiben. "Doch war Autofahren noch nie so einfach wie heute", sagt Hans-Georg Marmit von der Sachverständigen-Organisation KÜS.
Auch kleine Autos fahren allein - ein kleines Stückchen zumindest
Vor wenigen Jahren waren umfangreiche Assistenten ausschließlich der Oberklasse vorbehalten. Doch mittlerweile gibt es Systeme, die laut Hersteller auf gut ausgebauten Strecken autonomes Fahren nach dem so genannten Level 2 ermöglichen, bis hinunter zu Kleinwagen wie dem VW Polo oder dem Renault Clio: Während der Fahrer stets in der Verantwortung ist und die Hände allenfalls für ein paar Sekunden vom Lenkrad nehmen darf, regelt das Auto dann automatisch den Abstand zum Vordermann, hält die vorgegebene Geschwindigkeit und folgt seiner Spur, erläutert ein VW-Sprecher.
Unterschiede zwischen einzelnen Marken und Modellen gibt es dabei neben dem Scharfsinn der Sensoren vor allem beim Einsatzspektrum: Welche Geschwindigkeitsbereiche werden abgedeckt? Funktioniert das auch bei Stop-and-Go und welche Fahrbahnmarkierungen oder Begrenzungen benötigt das System zur Spurführung? So skizzieren die ADAC-Experten in München die wichtigsten Fragen, die sie in regelmäßigen Tests auswerten.
Oder das Auto macht gleich alles selbst
Allerdings entwickeln sich diese Systeme dramatisch weiter: In Autos wie dem Tesla Model S oder dem Hyundai Ioniq 5 zum Beispiel können sie nun auf der Autobahn auch automatisch überholen, sobald der Fahrer seinen Wunsch mit dem Blinker angezeigt hat.
Mercedes kündigt für seine Top-Modelle die ersten Systeme nach Level 3 an - für die S-Klasse noch in diesem Jahr und für den elektrischen EQS folgen sie 2022. Auf der Autobahn, im Stau und bis Tempo 60 km/h darf der Fahrer die Hände dann nach Angaben des Herstellers auch dauerhaft vom Lenkrad nehmen und zum Beispiel bestimmte Nebentätigkeiten ausüben. Etwa Emails auf dem Bordcomputer beantworten oder dort Videos schauen. Kameras überwachen stetig Kopf und Augenlider, also ob der Fahrer übernahmefähig bleibt. Eine Sitzmassage für den Fahrer ist aber drin.
Er muss zwingend hinter dem Lenkrad sitzen bleiben. "Der Fahrer muss nach der Übernahmeaufforderung binnen weniger Sekunden das Auto wieder manuell steuern können", sagt Pressesprecher Koert Groeneveld. "Reagiert er nicht, wird das Auto mit einer kontrollierten Bremsung zum Stillstand gebracht." Auch etwa bei schlechter Sicht erfolgt die Aufforderung zur Übernahme. Und wenn der Verkehr wieder flüssig läuft und sich über längere Zeit kein anderer Wagen vor dem Auto befindet, schaltet der so genannte Drive Pilot ebenfalls wieder ab.
Aus- und Einparken - das macht Ihr elektronischer Chauffeur
Noch weiter gehen die elektronischen Helfer heute bereits auf dem Parkplatz. Dort rollen die Autos zumeist auf privatem Terrain und damit außerhalb der Straßenverkehrsordnung. Auch das Tempo ist niedriger und die Situationen sind besser zu kontrollieren - daher übernimmt die Elektronik dort immer öfter das Ruder.
Wo Lenk- und Rangierhilfen längst Standard sind, die Sensoren den Fahrbahnrand nach ausreichend großen Lücken scannen und das Auto dann fast von alleine ein- oder ausparken kann, gibt es mittlerweile vermehrt auch eine Art Fernbedienung. Viele BMW-Modelle oder der neue Kia Sorento zum Beispiel rollen nach Angaben der Hersteller auf Knopfdruck auch dann aus der Parklücke, wenn der Fahrer gar nicht im Auto ist. "So gehören die Gymnastik zum Einsteigen in engen Garagen oder der Lackschaden an der Tür des Nachbarn der Vergangenheit an" heißt es bei den BMW-Entwicklern.
Die neue S-Klasse will automatisiertes Valet-Parking bieten: In speziell ausgestatteten Parkhäusern kann man die Luxuslimousine in der Zufahrt abstellen, aussteigen und davonlaufen. Der Wagen absolviert selbst den Weg zu seinem Stellplatz. "Und nach seinem Termin holt man ihn mit der App einfach wieder zurück, so dass er abfahrbereit im Übergabebereich wartet", beschreibt ein Mercedes-Sprecher das gemeinsam mit Bosch entwickelte Prozedere.
Nicht nur mehr Komfort - auch ein Plus an Sicherheit
Die elektrischen Helfer erleichtern aber nicht nur alltägliche Herausforderungen, die jeder Führerscheinanfänger in der Fahrschule trainiert. Sondern sie kommen vor allem in ungewohnten Situationen zum Tragen. Das gilt natürlich in erster Linie für kritische Momente: wenn die Stabilitätskontrolle einen Wagen trotz überhöhten Tempos, rutschiger Fahrbahn, zu heftiger Bremsung oder falschem Lenkeinschlag einfängt und in der Spur hält.
Es gilt aber auch, wenn man plötzlich mit einem Anhänger rangieren oder seinem SUV durchs Gelände fahren muss. Der sogenannte Trailer-Assist etwa im VW Tiguan bugsiert das SUV auch mit Hänger am Haken punktgenau auf den Hof, und die All Terrain Progress Control etwa im neuen Land Rover Defender bringt als eine Art von Tempomat für Feld, Wald und Wiese auch Novizen sicher über die Wüstenpisten in Namibia.
Der Fahrer wird weniger gefordert - das ist nicht nur positiv
Doch die schlauen Helfer haben auch ihre Schattenseiten. Denn mit dem Aufstieg der Assistenzsysteme, ihrem wachsenden Einfluss und ihrer zunehmenden Verbreitung ist ein schleichender Niedergang der fahrerischen Qualitäten zu befürchten. So, wie sich seit dem Durchbruch des Smartphones und seines digitalen Adressbuchs heute niemand mehr Telefonnummern merken kann, so könnten Autofahrer auch das Rangieren verlernen, fürchtet Hans-Georg Marmit.
Er rät vor allem Fahranfängern dringend, sich nicht allzu sehr auf die Assistenten zu verlassen. "Denn auch wenn es mittlerweile selbst in vielen Kleinwagen Rückfahrkameras und Einpark-Roboter gibt, sind die vor allem in den Gebrauchtwagen, mit denen die meisten Führerscheinneulinge in den Verkehr starten, noch längst kein Standard", mahnt der Experte und empfiehlt deshalb ein paar zusätzliche Trainingseinheiten in der Fahrschule oder auf dem Verkehrsübungsplatz.
Und auch vermeintliche Routiniers seien gut beraten, ihre Fähigkeiten zu wahren. "Man muss nicht auf spektakuläre Unfälle wie zuletzt mit dem Autopiloten von Tesla schauen, um die Grenzen der Systeme zu erkennen: Solange sie den Menschen nur unterstützen und nicht ersetzen können, muss der Fahrer den Wagen auch fahren können", sagt Marmit. "Und dafür braucht er eben nicht nur einen Führerschein, sondern buchstäblich ein bisschen Erfahrung."