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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Reisen Winter in Norwegen: One-Night-Stand im Schneehotel
"Vergessen Sie, dass Sie in einem Hotel sind. Sie sind auf und da müssen Sie durch", beschwört Kåre Tannvik seine Gäste, während er ihnen an seiner Eisbar einen eisgekühlten Aquavit anbietet. Um ihn zu trinken, braucht man Handschuhe. Denn der Becher ist aus Eis, ebenso wie die Theke. Dann bekommt jeder seinen Schlafsack, der bis zu minus 30 Grad warm halten soll und sucht sich sein Zimmer aus.
Zwei tunnelartige Gewölbe führen zu den 20 Schneekammern, die nur mit einem Vorhang voneinander getrennt sind. In der Mitte ein mit Eisblöcken gerahmtes Bett, über dem Kopfende kunstvolle Eisschnitzereien, angefertigt von chinesischen Künstlern aus der Stadt Harbin. Geschlafen wird mit Mütze, und hat man sich erst einmal in den Schlafsack eingemummelt, ist es auch wirklich nicht kalt.
Nur komisch irgendwie. Denn der Schnee schluckt alle Geräusche und ein bisschen fühlt man sich wie in einer Gruft. Dafür wird es nicht kälter als minus vier Grad, während die Temperaturen draußen auf minus 25 Grad sinken. Der Schnee isoliert.
2006 hat Kåre sein Schneehotel bei Kirkenes im Norden Norwegens erstmals gebaut. Heute übernachten dort von Ende Dezember bis Mitte April rund 2700 Gäste. Kirkenes (ausgesprochen Chirkenes) liegt rund 1400 Kilometer Luftlinie nördlich von Oslo >>
im Bezirk Finnmark und ist Norwegens nordöstlicher Außenposten an der Grenze zu Russland. "Die Beziehung zu den Russen waren eigentlich immer gut", sagt Kåre. Und seitdem Norweger und Russen, die nahe der Grenze wohnen, ohne Visum in die grenznahen Gebiete der anderen Seite dürfen gibt es einen regen Austausch.
Die Russen kommen gern zum Einkaufen. Besonders begehrt sind Windeln, die sogar im teuren Norwegen noch billiger als in ihrer Heimat sind. Kirkenes war und ist bis heute vor allem eine Bergbaustadt. Bis 1996 arbeiteten mehr als tausend Menschen in der großen Eisenerz-Mine. Als sie geschlossen wurde, investierte die Regierung viel Geld in die Region, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Als Kåre, der viele Jahre als Dokumentarfilmer bei Expeditionen in der Arktis und Sibirien arbeitete, vor zehn Jahren sein Tourismusunternehmen Radius Kirkenes gründen wollte, rannte er daher offene Türen ein. "Die gaben mir einen Stift und fragten mich, wo ich Land haben will", erzählt er. Er bekam 62000 Quadratmeter. >>
2006 wurde die Mine dann wieder eröffnet, heute herrscht Aufbruchsstimmung. Öl- und Gasfirmen haben sich angesiedelt und bereiten sich vor, die noch unerschlossenen arktischen Rohstoffvorkommen auszubeuten.
Schneemobil, Hundeschlitten und Polarlichter
Auch für Touristen ist das nördlich des Polarkreises gelegene Kirkenes Ausgangspunkt für zahlreiche touristische Aktivitäten - auch im Winter. Vor allem wenn Ende Januar die Polarnacht zu Ende ist und sich die Sonne jeden Tag ein paar Minuten länger zeigt. Abenteuerlustige können mit dem Schneemobil über die gefrorenen Fjorde düsen, mit dem Hundeschlitten durch verschneite Wälder gleiten oder das Polarlicht suchen, das in diesem Jahr besonders stark ist, weil der aktuelle Sonnenzyklus zu Ende geht und daher besonders viele Sonnenteilchen auf die Erdatmosphäre treffen. Das Lichterspektakel ist bis April zu sehen. Voraussetzung ist allerdings ein klarer Himmel.
Nach dem Abendessen im geheizten Restaurant des Schneehotels geht es mit dem Bus zur Nordlicht-Jagd ins Pasviktal, das sich wie ein Keil zwischen Russland und Finnland schiebt und die Heimat von 15 Braunbären ist. Doch leider ist die Wolkendecke zu dicht. Erst bei der Rückfahrt zeigen sich grünliche Lichtspuren am Nachthimmel.
Am nächsten Morgen sind die Erfahrungen gemischt. Manche haben in ihren Schneezimmern gut geschlafen, anderen war es zu unheimlich. Doch für alle war die Nacht ein Erlebnis. Kåre erzählt, dass sich seine Gäste auch schon in die zwar ausgeschaltete, aber noch warme Sauna geflüchtet haben. Und ein Besucher aus dem Morgenland habe ihn einmal ernsthaft gebeten, doch die Temperatur in den Zimmern etwas höher zu drehen. Immer wieder muss der Schnee-Hotelier mit falschen Erwartungen kämpfen. So auch bei der Amerikanerin, die gleich eine Woche gebucht hatte, nach ihrer Ankunft aber sichtbar geschockt und froh war, als er ihr ein Hotelzimmer in Kirkenes besorgte. "Das hier ist ein One-Night-Stand und kein Hotel, in dem man länger bleibt", betont Kåre. >>
Ein Stück hinter dem Schneehotel suchen ein paar Rentiere den gefrorenen Boden nach Fressbarem ab, dahinter sind die über hundert Alaska-Huskies untergebracht, jeder in einer mit Stroh ausgelegten Hütte. "Die fühlen sich bei minus 25 Grad am wohlsten", erzählt Michael Decker, der als Hundeschlittenführer bei Radius Kirkenes begonnen hat. Strecken bis zu 200 Kilometer Länge pro Tag bewältigen die verschmusten Energiebündel ohne Probleme. Als sie eingespannt vor dem Schlitten darauf warten, dass es endlich los geht, sind sie kaum mehr zu halten. Dann darf das Sechsergespann endlich durch den tiefen Schnee rennen, den Schwanz freudig nach oben gestellt und immer dem Anführer nach.
Heute kümmert sich Michael um die Königskrabben-Safaris. Die bis zu zehn Kilogramm schweren Monsterkrabben stammen ursprünglich von der Kamtschatka-Halbinsel im äußersten Osten Russlands. In den 1960er-Jahren wurden sie in Murmansk ausgesetzt und verbreiteten sich rasant. Ihr Fleisch gilt zwar als Delikatesse, aber die Allesfresser sind längst zur Plage geworden und zerstören das ökologische Gleichgewicht. Mit einem Schlitten, gezogen von einem Schneemobil, bringt uns Michael auf den zugefrorenen Longfjord. Dort zieht er einen Drahtkorb mit gefangenen Krabben aus einem Eisloch, tötet sie fachmännisch mit einem Messerstich und bringt seine Gäste mit dem Fang zur alten und einsam im verschneiten Wald gelegenen Farm Namdalen. Dort werden die Krabben mit etwas Salzwasser dampfgegart und serviert. Um an das saftige und zarte Fleisch zu kommen, das in den Beinen und Scheren steckt, hat Michael jedem eine normale Schere neben den Teller gelegt. Während seine Gäste die Krabbenschalen knacken schwärmt der Maschinenschlosser aus Karlsruhe von der unberührten Natur und seinem einfachen Leben ohne fließendes Wasser. Seit gut zwei Jahren lebt er hier. Zurück will der 30-Jährige nicht: "Ich fiebere schon darauf hin, wenn ich nach sieben Jahren endlich Norweger werden kann."