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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Von der Diktatur versehrt Dieses Reiseziel ist ein günstiger Geheimtipp auf dem Balkan
Lange war das kleine Land Albanien Europas Nordkorea, hermetisch abgeschottet. Das Ende des Regimes kam schleichend nach dem Tod des Diktators Enver Hoxha. Das ist jetzt fast 30 Jahre her. Und doch sind die Wunden der Vergangenheit noch spürbar. Nicht in Tirana, der geschäftigen Hauptstadt, mit ihren hippen Restaurants und den teuren Autos. Wohl aber im Gespräch mit den Menschen – und auf dem Land.
Inhaltsverzeichnis
- Diktator Hoxha – noch überall präsent
- Ein Land setzt seine Hoffnung auf Europa
- Auf dem Land spürt man die Armut
- Touristen als neue Hoffnung
- Die Geschichte Albaniens reicht weit zurück
- Albanien als erster atheistischer Staat
- Die prächtige Stadt Butrint erkunden
- Gjirokaster – Unesco-Weltkulturerbe und Geburtsstadt von Hoxha
- Auf den Spuren des Freiheitshelden Skanderbeg
Die Straße ist schmal, kurvenreich, und der Bus holpert über Schlaglöcher. Unter uns fließt die grünblaue Vjosa, einer der letzten ungezähmten Flüsse in Europa. Auf der anderen Seite stapeln sich grün bepelzte Berge – eine Urlandschaft. Ein Bauer führt seine Kuh am Strick wie in einem der Grimmschen Märchen, Ziegen weiden am Straßenrand, und zwischendurch lugen wie riesengroße Champignons Bunker zwischen Grashalmen hervor. Hoxha, Albaniens Diktator, hat das ganze Land mit solchen Bunkern überzogen.
"Die Partei will Menschen ohne Köpfe schaffen"
Artur Karami – dunkle Augen, dichter schwarzer Haarpelz – hat in Düsseldorf seinen Magister in Germanistik gemacht und unterrichtet in Tirana angehende Pfleger und Krankenschwestern in der deutschen Sprache. Er war zwölf, als das Regime stürzte, und er erinnert sich mit Stolz daran, dass der Aufstand in seiner Stadt begann. In der eigenen Familie hatte er die Macht des Regimes zu spüren bekommen. Als sein Onkel nach dem Wehrdienst über die Grenze nach Griechenland floh, wurde seine Großmutter von der Geheimpolizei bedrängt, den Sohn zu verraten.
"Die Partei wollte Menschen ohne Köpfe schaffen", sagt Artur bitter, „Menschen, die nicht denken“. Und die gibt es seiner Meinung nach in Albanien immer noch – oder schon wieder. Denn seit kurzem beobachtet der 41-Jährige immer öfter Männer, die Plakate mit Hoxha-Fotos hochhalten. "Das hätte es vor ein paar Jahren nicht gegeben", ärgert er sich.
Diktator Hoxha – noch überall präsent
Und wir sehen mit Staunen, dass Bücher des Diktators überall zum Verkauf stehen, im Buchladen an der Oper, beim Bücherstand am Kanal, auf dem Markt in Kruje. Nach einem Gang durch den Bunker, der als BunkArt zu einem Museum umgewandelt wurde und in dem die Gräuel des Regimes mit nahezu buchhalterischer Genauigkeit aufgelistet werden, ist uns diese Gelassenheit im Umgang mit Hoxhas Gedankengut noch unverständlicher.
Ein Land setzt seine Hoffnung auf Europa
Dabei ist der Wandel Programm. 2009 schon hat Albanien einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt, seit 2014 ist es Beitrittskandidat, und die EU unterstützt den Reformprozess auch finanziell mit insgesamt 650 Millionen. Allerdings sieht sie noch Handlungsbedarf, was Rechtsstaatlichkeit, Schutz der Grundrechte und der Umwelt betrifft. Auch die immer noch grassierende Korruption ist ein Hinderungsgrund für den baldigen Beitritt.
Auf dem Land spürt man die Armut
Zwar sind die Preise im Land für unsere Verhältnisse niedrig, aber der Großteil der Albaner verdient auch wenig. Im Durchschnitt gerade mal 300 Euro. Da fragt man sich schon, woher das Geld für die dicken Autos kommt, an deren Steuer vorwiegend junge Männer mit coolen Sonnenbrillen sitzen. Auf dem Land werden die Autos bescheidener. Am Straßenrand bieten Verkäufer gegrillten Mais oder frisch geerntete Früchte an.
Auf manchen Äckern sehen wir Bauern, die noch mit uraltem Gerät ihre Äcker bestellen und Strohbündel auf dem Rücken nach Hause tragen. Und selbst auf die Autobahn verirren sich Pferdekarren. Viele Felder liegen brach, die meisten Bauern besitzen kein Land, haben nur Nutzungsrechte auf oft sehr kleinteiligen Parzellen. In den Dörfern verfallen die schönen alten Steinhäuser, die jungen Leute ziehen weg – nach Tirana oder gleich ins Ausland.
Touristen als neue Hoffnung
Dafür kommen die Touristen. Zum Beispiel nach Berat. Die Stadt der 1000 Fenster ist ein beliebtes Ziel, und die Festung mit der schönen Dreifaltigkeitskirche und dem Onufri-Museum sollte man sich nicht entgehen lassen. Die farbsatten Werke des berühmten Ikonenmalers könnten viele Geschichten aus alter Zeit erzählen. Rundum Verkaufsstände mit Selbstgemachtem, Gehäkeltem, Gestricktem. Kauffreudige und an der Kultur des Landes interessierte Touristen helfen den Menschen von heute dabei, irgendwie über die Runden zu kommen.
Die Geschichte Albaniens reicht weit zurück
Die Griechen waren in Albanien, die Illyrer und natürlich die Römer. Apollonia, heute eine Ruinenstadt, wurde 588 v. Chr. gegründet und war bis 500 n. Chr. eine wichtige illyrische Hafenstadt und einer der Ausgangspunkte der Via Egnatia. Es war wohl ein Erdbeben, das die Geschichte der Stadt beendete. Heute ist Apollonia ein archäologischer Park, und im Museum sind einige der wichtigsten Funde zu sehen. Aus den Steinen des großen Theaters wurde im 14. Jahrhundert die Klosterkirche erbaut. Wir haben Glück und erwischen ein Zeitfenster zwischen zwei Besuchergruppen. Drinnen flackernde Kerzen, meditative Stille, ein Moment zum Innehalten.
Albanien als erster atheistischer Staat
Unter Enver Hoxha, der Albanien zum ersten atheistischen Staat der Welt ausrief, wurden Kirchen und Moscheen zerstört oder zumindest zweckentfremdet. Von dem Kahlschlag haben sich manche Orte bis heute nicht erholt. Nicht so Korce, wo sich seit 1995 die prächtige Auferstehungs-Kathedrale erhebt, erbaut mit finanzieller Hilfe Griechenlands. Und in Tirana entsteht gerade die größte Moschee des Balkans, die einmal 4500 Gläubigen Platz bieten soll. Finanzielle Unterstützung für den Riesenbau mit vier Minaretten kommt auch aus Erdogans Türkei. Noch gibt es keinen religiösen Extremismus in Albanien, religiöse Toleranz ist Alltag, wir sehen auch kaum Kopftücher.
Die prächtige Stadt Butrint erkunden
Butrint nimmt uns mit in eine Zeit, als es Festspiele gab und Bäder, eine Prachtstraße und Villen. Die Ruinenstadt ist Unesco-Weltkulturerbe. Auch die Christen haben hier sehenswerte Spuren hinterlassen. Alles lässt sich auf schattigen Wegen erwandern, und trotz der vielen Touristen haben wir zwischendurch das Gefühl, allein zu sein mit der Geschichte. Nur das berühmte Löwentor, durch das alle müssen, die hinauf wollen zum höchsten Punkt, ist ein Nadelöhr.
Es ist kein Löwe mit Hörnern, der hier zu sehen ist, sondern der Angriff eines Löwen auf einen Stier. Und ein Stier gehört auch zum Gründungsmythos von Butrint. Demnach wollte Helenos, ein Sohn des Priamos, nach der glücklichen Flucht aus Troja in der Bucht vor dem heutigen Butrint einen Stier opfern. Das Tier entkam, brach aber am Ufer tot zusammen. So kam Butrint zu dem Namen, der soviel bedeutet wie verwundeter Stier. Vor der Festung weht stolz die albanische Flagge.
Gjirokaster – Unesco-Weltkulturerbe und Geburtsstadt von Hoxha
Wie Butrint ist Gjirokaster, die Stadt mit den schiefergrauen Dächern, Unesco-Weltkulturerbe. Hier wurde Enver Hoxha geboren, sein Geburtshaus ist heute Heimatmuseum. Die Einrichtung stammt aus den 1950er-Jahren, Fotos zeigen den jungen Hoxha und den alten Diktator. Nicht nur er stammt aus Gjirokaster, auch der Literaturnobelpreisträger Ismail Kadare kommt aus dem Örtchen, das von einer gigantischen Festung überragt wird.
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Heute sind in den Gängen Kanonen und andere Waffen ausgestellt. Die Gänge sind verwirrend, der Ausblick vom Festivalgelände ist faszinierend. Man schaut weit übers Land und in die Berge. Auch in Gjirokaster wird neu gepflastert und viel gestrichen. Das Städtchen macht sich hübsch für die vielen Touristen, die in den Souvenirläden stöbern oder in den kleinen Restaurants entspannen. Sie sind gern gesehen in Albanien.
Auf den Spuren des Freiheitshelden Skanderbeg
Unser letzter Besuch gilt dem Mann, auf den sich Enver Hoxha so gern berufen hat, Albaniens Freiheitshelden Skanderbeg. Ihm begegnet man nicht nur in Tirana, wo er vom Sockel aus den gleichnamigen Platz überwacht, sondern vor allem in Kruje, wo Hoxhas Tochter in der alten Festung das Skanderbeg-Museum hingestellt hat, das 1982 eröffnet wurde.
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Auf Monumentalgemälden werden die Taten des Helden gefeiert – auf einem davon hat sich Pranvera Hoxha als Gattin verewigt. Ihr Vater inszenierte sich als direkter Nachfolger des Freiheitshelden, der Albanien von den Osmanen zu befreien half. Als wir die Monumentalgemälde betrachten, erschüttert ein Erdbeben das Museum. Es wirkt wie ein Symbol.
Weitere Informationen
Anreise: Der Mutter-Teresa-Flughafen von Tirana wird von verschiedenen deutschen Flughäfen und Fluglinien angeflogen.
Veranstalter: Albanien wird als Reiseland immer beliebter. Viele Veranstalter wie Studiosus oder Dertour bieten Rundreisen durchs Land. Zehn Tage Albanien und Nordmazedonien kosten beispielsweise bei Studiosus mit Flug, Transfer und HP ab 1664 Euro. Eine große Auswahl albanischer Hotels findet sich bei Veranstaltern wie TUI und FTI.
- Reiseredaktion srt