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Klitoris, Penis, Orgasmus: Expertin klärt über Sex-Irrtümer auf


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Expertin klärt auf
"Sex ist in unserer Gesellschaft sehr leistungsorientiert"

  • T-Online
InterviewVon Jennifer Buchholz

Aktualisiert am 14.08.2023Lesedauer: 6 Min.
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Frust im Schlafzimmer: Sexuelle Bedürfnisse und Lust von Frauen werden häufig anders wahrgenommen als die von Männern. (Quelle: IMAGO/Zoonar.com/Yuri Arcurs peopleimages.com)
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Frauen haben Sex aus Liebe, Männer zum Spaß – das ist eines der Vorurteile, gegen die Geschlechtsforscherin Louisa Lorenz ankämpft. Es gibt noch viele mehr.

Wer weiß schon, wie eine Klitoris wirklich aussieht? Oder was einen vaginalen von einem klitoralen Orgasmus unterscheidet? Kulturwissenschaftlerin Louisa Lorenz klärt in Workshops über den weiblichen Körper und die weibliche Lust auf. Im Gespräch mit t-online erklärt sie, warum wir viel zu wenig über beides wissen und räumt mit Vorurteilen und Mythen auf.

t-online: Frau Lorenz, erinnern Sie sich noch an den sexuellen Aufklärungsunterricht in der Schule? Was haben Sie da über die weiblichen Geschlechtsorgane gelernt?

Louisa Lorenz: Ja, vereinzelt. Zum Beispiel, dass ich dort nichts über die Klitoris, Lust oder Orgasmen gelernt habe. Vielmehr ging es um die Fortpflanzung – also wie die Befruchtung funktioniert.

Sie plädieren dafür, das zu ändern. Warum?

Weil Sex aus zwei Komponenten besteht, die miteinander verbunden sein können, aber nicht unbedingt müssen. Eine davon ist der Fortpflanzungsaspekt. Doch den meisten Sex haben wir nicht, um uns fortzupflanzen, sondern aus vielen anderen Gründen, wie Lust, Spaß oder dem Wunsch nach Verbindung und Nähe. Es gibt zudem geschlechterspezifische Vorurteile, wenn es um Sex geht.

Welche meinen Sie?

"Männer wollen Sex. Frauen wollen Beziehung." Dieser Glaubenssatz ist immer noch sehr verbreitet. Die Vorstellung ist im 18. und 19. Jahrhundert entstanden. Interessanterweise ging man vorher davon aus, dass es genau umgekehrt sei und Frauen diejenigen wären, die größere Lust auf Sex hätten. Ich finde, wir sollten nicht so einen Wettbewerb daraus machen, sondern einfach anerkennen, dass sexuelle Lust für alle Geschlechter eine wichtige Rolle spielt.

Louisa Lorenz
Louisa Lorenz (Quelle: Louisa Lorenz)

Körper, Sexualität, Gesellschaft

Louisa Lorenz ist Kulturwissenschaftlerin und Geschlechterforscherin. Sie beschäftigt sich überwiegend mit den Themen Körper, Sexualität und Gesellschaft. Lorenz gibt Seminare über die Klitoris sowie feministische Themen.

Ist der Blick auf die weibliche Lust also immer noch männerdominiert?

Sex einfach aus Lust und Spaß wird für Männer als viel selbstverständlicher angesehen als für Frauen. Das sieht man zum Beispiel am Umgang mit Masturbation. Für Männer ist sie gesellschaftlich normalisiert. Bei Frauen gibt es diese Selbstverständlichkeit weniger, es "zu brauchen" und den eigenen Körper als lustvoll zu erleben.

Sie veranstalten regelmäßig Workshops, in denen Sie anderen helfen, sich unter anderem mit der Klitoris auseinanderzusetzen und sich selbst besser kennenzulernen. Was sind die häufigsten Vorurteile, die Ihnen dort begegnen?

Wir beschäftigen uns mit zwei Hauptthemen: Der Anatomie – wie sieht die Klitoris aus? – und der Kulturgeschichte – wie kommt es, dass viele so wenig darüber wissen? Viele Menschen verbinden mit dem Begriff Klitoris diesen äußeren kleinen Knubbel. Sie wissen nicht, dass die Klitoris im Inneren des Körpers weitergeht und genauso groß wie der Penis ist. Es sind zwei Organe, die sich gegenseitig entsprechen und funktionieren auf die gleiche Art und Weise. Das Einzige, worin sie sich unterscheiden, ist die Form: beim Penis ist das Gewebe eher nach außen gekehrt, bei der Klitoris ist der Großteil des Gewebes innenliegend. Die sich gleichende Anatomie von Klitoris und Penis verdeutlichen, dass sich die Lust und Erregung sowohl bei Frauen als auch bei Männern nicht grundsätzlich unterscheiden. Das überrascht viele im Workshop. Und dann geht es oft um Vorurteile, die gesellschaftlich bedingt sind oder weitere Wissenslücken.

Die da wären?

Zum Beispiel die G-Fläche.

Was ist das?

Viele Menschen kennen das eher unter dem Begriff "G-Punkt". Aber der Begriff ist missverständlich, denn eigentlich ist es kein Punkt, sondern eben eine Fläche. Es handelt sich dabei um die Prostata. Die kennen die meisten nur vom Penis, aber das gleiche Gewebe gibt es auch bei der Klitoris. Wenn man mit einem Finger in die Vagina geht, kann man an der oberen Seite, also Richtung Bauch, eine raue Fläche spüren, wohingegen der Rest der Vaginalwand ganz weich und glatt ist. In der Prostata und den umliegenden Drüsen wird auch das Vulva-Ejakulat – was manche vielleicht eher als Squirting kennen – produziert.

Welche Themen bekommen in Ihren Workshops noch den Raum, den sie verdienen?

Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit klitoralem und vaginalem Orgasmus. Dass es sich dabei um zwei unterschiedliche Orgasmusarten handelt, trifft nicht zu. Einen vaginalen Orgasmus, wie ihn sich viele vorstellen, gibt es in der Form nicht. Das bedeutet natürlich nicht, dass sich Orgasmen nicht unterschiedlich anfühlen können. Das tun sie durchaus und das ist auch bei Menschen mit Penis der Fall. Anatomisch betrachtet sind Klitoris und Vagina nicht zwei voneinander abgetrennte Organe. Alles ist miteinander verbunden. Eine kategorische Unterscheidung zwischen vaginalem und klitoralem Orgasmus ist also Quatsch. Das ist wichtig, zu verstehen.

Warum ist das Quatsch?

Durch die reine Stimulation der Vagina, wie zum Beispiel beim Geschlechtsverkehr durch das Einführen des Penis, kommen die meisten Frauen nicht zum Orgasmus. Sie brauchen die direkte Stimulation der Klitoris, genauso wie die meisten Männer auch eine direkte Stimulation des Penis benötigen, um zu kommen. Aber viele Menschen stressen sich, weil sie glauben, ein vaginaler Orgasmus sei etwas, das sie können oder erreichen müssten. Sex ist in unserer Gesellschaft oft sehr leistungsorientiert.

Aber der Leistungsdruck trägt sicher nicht allein dazu bei, dass keine Lust auf Sex aufkommt?

Das stimmt. Es gibt auch soziale Faktoren. Dazu zählt die Verantwortung für die Verhütung. Frauen übernehmen immer noch einen viel größeren Anteil dafür als Männer. Diese unausgeglichene Belastung kann dazu führen, dass Frauen eher Nein zu Sex sagen.

Welche Themen können Frauen und auch Männer noch hemmen?

Andere Faktoren sind sexualisierte Gewalt und Übergriffe oder "slut shaming", also dass Frauen, die sexuell sehr aktiv sind, als Schlampe abgewertet werden. All diese Punkte können dazu führen, dass Frauen weniger leicht ja zu Sex sagen als Männer. Auch die Vorstellung davon, was "richtiger Sex" ist, müsste sich ändern. Damit meinen wir meistens Penis in Vagina. Aber diese vaginale Stimulation mit dem Penis ist nur eine von vielen Möglichkeiten, wie man Sex und einen Orgasmus haben kann.

Fällt es Frauen wirklich schwerer als Männern, über Lust und ihre Bedürfnisse im Bett zu reden?

Ich denke, dass es für beide schwer ist über Sex zu sprechen, weil wir insgesamt alle sehr wenig Übung darin haben. In meiner Arbeit beobachte ich jedoch, dass Angebote, sich aktiv mit Sexualität zu beschäftigen, mehr von Frauen wahrgenommen werden als von Männern. Ich denke aber nicht, dass es daran liegt, dass Männer sich weniger dafür interessieren.

Woran liegt es dann?

Unter anderem an der gesellschaftlichen Erwartungshaltung an Männlichkeit. Das Reden über Sex ist leider immer noch sehr schambehaftet. Für Männer ist es sehr tabuisiert, über Unsicherheiten oder Ängste zu sprechen. Erwartungen an Penisgröße, Erektionsfähigkeit und Durchhaltevermögen, all das hat sehr viel mit Leistung und wenig mit Lust zu tun. In der Gesellschaft besteht noch immer das Bild eines "richtigen Mannes", der immer kann und dabei immer erfolgreich ist. Das ist ein total unrealistisches Bild und macht es Männern schwer, Fragen zu stellen, Unsicherheit zu zeigen, ihre Wünsche zu äußern. Weil das sofort eine Bedrohung darstellt, kein "richtiger Mann" zu sein. Unsere gesellschaftliche Vorstellung von Sex macht zudem auch Männern ein sehr beschränktes Angebot, was ihnen Lust bereiten soll.

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Was meinen Sie damit?

Praktiken wie zum Beispiel die Prostata-Massage wären für viele Männer interessant. Doch gerade heterosexuelle Männer haben diesbezüglich oft Hemmungen, weil sie Angst davor haben als schwul zu gelten. Dabei hat das ja eigentlich gar nichts miteinander zu tun.

Was können Frauen für ihre sexuelle Befriedigung tun?

Ein wichtiger Grundstein ist, sich mit der eigenen Anatomie auseinanderzusetzen. Wenn wir verstehen, wie unsere Genitalanatomie aussieht, können wir uns gezielter mit diesem Körperteil beschäftigen: Es ansehen und anfassen. Und wenn wir wissen, wie Erregung funktioniert und wie die Anatomie aussieht, können wir diese Empfindung besser zuordnen.

Also sollte jeder sich bewusst nackt vor einen Spiegel stellen?

Das kann eine gute Idee sein. Außerdem würde ich jede Person dazu ermutigen, mit Masturbation zu experimentieren – sofern man Lust darauf hat. Es muss nicht unbedingt immer orgasmusfokussiert sein. Vielmehr geht es ums Ausprobieren – was gefällt mir, was ist für mich erregend? Vielleicht gibt es auch Situationen, wo mir etwas wehtut. Oder ich merke, was für mich normal ist und was nicht. Dieses Wissen ist auch für Sex mit einer anderen Person sehr wichtig.

Und wie können ihre Partner dazu beitragen?

Es ist wichtig, sich von den verbreiteten Glaubenssätzen zu befreien. Befriedigung bedeutet nicht immer, einen Orgasmus zu haben. Sie sollten ihre Vorstellung, was Lust und Sex bedeuten kann, erweitern. Und zudem darauf achten, worauf sie in diesem Moment Lust haben und sich nicht an einem vorgefertigten Skript entlang hangeln, also knutschen, ausziehen, Vorspiel (fummeln oder Oralverkehr), dann vaginaler Geschlechtsverkehr, erst Orgasmus Frau, dann Orgasmus Mann. Ende. Das ist quasi der Ablauf, den wir alle kennen. Es kann helfen, sich klarzumachen, dass Sex auch ganz anders ablaufen kann und dafür offen zu sein, darüber zu reden und gemeinsam zu gucken: "Worauf habt ihr jetzt in diesem Moment Lust?". Wichtig ist auch zu wissen, dass sich Lust immer wieder ändern kann. Das ist ganz normal.

Vielen Dank, Frau Lorenz.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Louisa Lorenz
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