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Jugend in Ostdeutschland wählt rechts: Emotionen statt Theorie nötig


Meinung
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Jugend wählt rechts
Das ist emotionales Versagen

MeinungEine Kolumne von Bob Blume

25.09.2024Lesedauer: 4 Min.
Demonstration der "Jungen Alternative" im Herbst 2023: Gefährlich attraktiv.Vergrößern des Bildes
Gefährlich attraktiv für junge Wähler: Demonstration der Jungen Alternative. (Quelle: IMAGO/Ipon )
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Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben gezeigt: Mit Überheblichkeit und Staatsphilosophie kann man bei Jugendlichen keine Wahl gewinnen. Es gibt aber einen Weg.

Bei der Landtagswahl in Brandenburg haben junge Wähler erneut auffallend oft ihr Kreuz bei Extremen gemacht. Mit politischer Aufklärung oder theoretischen Ansätzen wird man das Problem nicht lösen. Vielmehr müssen wir ihre Emotionen respektieren und Geschichte erleb- und fühlbar machen.

Bob Blume ist Lehrer und Autor.
Bob Blume ist Lehrer und Autor. (Quelle: privat)

Zur Person

Bob Blume ist Lehrer, Bildungsinfluencer und Podcaster. Er schreibt Bücher zur Bildung im 21. Jahrhundert und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. In seiner Kolumne für t-online kommentiert er aktuelle Bildungsthemen mit spitzer Feder. Man findet Blume auch auf Threads und auf Instagram als @netzlehrer, wo ihm mehr als 160.000 Menschen folgen. Sein neues Buch "Warum noch lernen?" ist ab sofort im Handel erhältlich.

Ich habe in meinem Leben schon oft mit jungen Neonazis gesprochen. Und bevor die voreiligen Zurückweisungen kommen: Ich weiß das, weil sie es mir selbst gesagt haben. Zum Beispiel, als ich in der Nähe von Hagen Zivildienst in einem Jugendzentrum gemacht habe. Abends kamen die Klassen, die dort auf ihrer Klassenfahrt untergebracht waren, zusammen und man sprach miteinander. Es ging hitzig zu, aber da wir – also auch die anderen Zivis – ohnehin dort waren, musste man sich arrangieren. Ein Neonazi aus Gelsenkirchen-Horst stand nach dem Abend auf und bedankte sich für die Musik, die ich zusammen mit meinen langhaarigen anderen Jungs gemacht hatte. Schon damals hoffte ich, dass diese Erfahrung vielleicht gezeigt hat, dass nicht alles schlimm ist, was anders ist. Ein vielleicht naiver Gedanke.

Momente, auf die man stolz sein kann

Viele Jahre später war ich bei einem Freund im Keller. Sehr betrunken offenbarte mir ein anderer Gast halb in Tränen, dass er sich selbst für einen Neonazi halte. Aber dass er eben keine andere Möglichkeit sehe, auf sein Land stolz zu sein. Und das sei ihm so wichtig. Ich erläuterte ihm, dass es viele, viele Momente in der Geschichte Deutschlands gebe, auf die stolz zu sein sich lohne. Aus der neueren Geschichte vielleicht die Novemberrevolution nach dem Ersten Weltkrieg, die durch den Kieler Matrosenaufstand zur Ausrufung der Republik führte und zum Ende der Monarchie.

Oder die deutsche Märzrevolution von 1848, die zwar scheiterte, aber doch dazu führte, dass die deutschen Kleinstaaten zumindest eine Verfassung bekamen. Und was heißt zumindest? Es war ein großer Wurf dieses im europäischen Zusammenhang verspäteten Deutschlands, das damals noch nicht so hieß. Oder die ostdeutsche Revolution von 1989, bei der die Menschen auch unter größter Gefahr dafür einstanden, endlich in einem gemeinsamen Land in Freiheit leben zu können. Es gäbe noch viel mehr Beispiele, aber ich hatte an diesem Abend das Gefühl, dass all diese Beispiele diesen selbst ernannten Neonazi zumindest zum Nachdenken brachten.

Gleichzeitig spürte ich das Befremden, als ich einige Tage später mit einem alten Klassenkameraden in Berlin sprach. Philosophiestudent, links und der Meinung, Nationen seien grundsätzlich schädlich. Mag sein, aber das wäre eine andere Diskussion.

Da hilft keine Philosophie

Aber, und das ist der springende Punkt: Wenn jemand, aus welchen Gründen auch immer, das Bedürfnis hat, stolz zu sein, seine Heimat zu lieben oder dergleichen, dann braucht man diesem Menschen nicht mit philosophischen Gedankengängen zu kommen. Denn Theorien werden nie gegen Emotionen gewinnen.

Es geht vielmehr darum zu zeigen, dass Deutschland mehr ist als Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Und zwar nicht, indem dies ausgespart wird, natürlich nicht. Die Studienfahrten ins Konzentrationslager Natzweiler-Struthof im Elsass, in dem die unterschiedlichsten "Feinde" der Nationalsozialisten ermordet wurden, haben einen starken Effekt auf die Schüler. Nicht, weil man moralisieren müsste. Sondern weil der Horror sich aus der Sachlichkeit ergibt, mit der hier Menschen getötet wurden.

Geschichte muss erfahrbar sein

Was ergibt sich daraus? Die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zeigen nicht nur ein Erstarken der AfD, sondern in besonderem Maße, wie sehr die jungen Leute sich zu dieser rechtsextremen Partei hingezogen fühlen. Viel wurde über TikTok und andere Gründe geschrieben (auch in dieser Kolumne). Dies ist sicherlich richtig. Aber nun auf die böse, verführbare Jugend zu schimpfen und ihnen politische Entscheidungsgewalt abzusprechen, führt überhaupt nicht weiter. Genauso wenig übrigens wie das Anliegen, einfach Demokratie noch einmal genau zu erklären. Es ist auch ein emotionales Versagen.

Demokratie kann man nicht (nur) erklären, Geschichtsbewusstsein erwächst nicht über ein Arbeitsblatt. Geschichte wie Demokratie kann man erleben. Und man muss sie erleben. Das bedeutet für Schulen nicht nur, das Fach Geschichte zu stärken, das auch. Denn in Zeiten, in denen es immer weniger Zeitzeugen gibt, müssen die Orte besucht werden, die vom Schrecken, aber auch von den Erfolgen der deutschen Geschichte berichten. Nicht auf platte, oberflächliche Art. Und sicher auch nicht, indem man die deutsche Geschichte zu einem Heldenmythos umdeutet, wie die AfD es mit ihrer "erinnerungspolitischen Wende" vorhat. Sondern indem man Geschichte erfahrbar und erlebbar macht und über sie diskutiert. Und eben auch zeigt, dass man keine Rechtsextremen wählen muss, nur weil man sein Land liebt.

Wir brauchen Orte des Austausches

Am Wochenende war ich auf dem Fußballplatz, besser gesagt: Ich stand daneben. Zusammen mit anderen Familien befreiten wir die Ränder des Kunstrasens von Moos. Man kam ins Gespräch, tauschte sich aus. Über die Fußball spielenden Kinder, aber auch über Corona und die schwierige Aufarbeitung. Man hatte unterschiedliche Meinungen, ja. Aber man respektierte sich, sprach auf Augenhöhe, versuchte den anderen zu verstehen. Auch das ist Demokratie: Orte der Begegnung, Orte des Austausches, an dem jeder seine Meinung sagen kann, ohne sofort in einer Schublade oder der Kommentarspalte zu verschwinden.

Es braucht mehr solche Austauschorte. Einen gibt es schon, in den die Kinder und Jugendlichen jeden Tag gehen: die Schule. Es wäre Zeit, dass in genau diese Orte investiert wird, damit die Extremen nicht noch weiter Zulauf erhalten. Damit die jungen Menschen Freiräume zum Austausch haben und lernen, auch schwierige Probleme und Konflikte zu lösen. Und damit die Botschaft: Ihr seid uns nicht egal, wir hören euch. Aber dafür müsste man wollen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Meinung
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