Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Influencer mit radikalen Positionen Gift für die Jugend
Viele Jugendliche hören Podcasts und nutzen soziale Medien. Dabei lernen sie viel. Doch es gibt auch eine Kehrseite: Einige Finanzpodcasts setzen auf radikale Positionen – weil es gut klickt.
Vorige Woche wurde ich von einem Schüler der 8. Klasse angesprochen, ob ich den Podcast "Hoss und Hopf" kenne. Ich bejahte und erschrak: Denn ich höre den Podcast, der seit Monaten einen hohen Rang in den deutschen Podcastcharts einnimmt, zwar nicht, kenne aber die beiden Protagonisten von einer anderen Plattform. Es ist schlicht unmöglich, TikTok zu nutzen, ohne an den Aussagen der beiden Männer vorbeizukommen. Diese beiden Männer verbreiten ein radikales Denken, das aus den USA nach Deutschland herüberschwappt und den Weg in rassistische Haltungen ebnet.
Ihre Beliebtheit bei TikTok lässt jetzt auch die Zahl ihrer Podcast-Abrufe in die Höhe schießen. Und mit einer Mischung aus "politisch inkorrekten" Aussagen, unterhaltsamen Thesen und zitierfähigen Kurzaussagen kann man es auf dem chinesischen Portal zu einem Millionenpublikum schaffen. Dass TikTok aber auch schöne Geschichten schreiben kann, zeigte die bis dahin unbekannte deutsche Sängerin Nina Chuba, die mit dem Song "Wildberry Lillet" über TikTok auf Platz 1 der Single Charts sprang.
Zur Person
Bob Blume ist Lehrer, Blogger und Podcaster. Er schreibt Bücher zur Bildung im 21. Jahrhundert und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. In seiner Kolumne für t-online kommentiert er aktuelle Bildungsthemen mit spitzer Feder. Man findet Blume auch auf Twitter und auf Instagram, wo ihm mehr als 100.000 Menschen folgen. Sein Buch "10 Dinge, die ich an der Schule hasse" ist im Handel erhältlich.
Hier geht's zu Blumes Instagram-Auftritt.
Die hässliche Seite zeigt sich in den radikalen Positionen dieser beiden Influencer. Um sie besser zu verstehen, muss man ein wenig ausholen.
In der amerikanischen Diskussion rund um finanzielle Bildung, die meistens außerhalb der Schule stattfindet, hat sich eine Ideologie durchgesetzt, die man libertär nennen kann. Grob gesagt: Je weniger Staat, desto besser, am besten gar keinen Staat mehr, sondern nur noch privat finanzierte Gewalten. Eine Art Anarcho-Kapitalismus, wie sie auch vom neu gewählten argentinischen Präsidenten Javier Milei propagiert wird.
Individuum als Welt-Mittelpunkt
In diesem System ist finanzieller Erfolg auch gleichzeitig Ausweis maximalen persönlichen Verdienstes. Nicht umsonst ist Elon Musk für viele Libertäre das große Vorbild. Gleichzeitig steht alles, was sozial ist, im Verdacht, die persönliche Freiheit zu beschneiden. Der große Erfolg libertären Denkens erklärt auch, warum so viele Amerikaner eine gesetzliche Krankenversicherung für Sozialismus halten.
In diesem libertären Weltbild steht also das Individuum im Mittelpunkt: ich, ich, ich. Und dieses Ich muss sich aus dem System befreien, um zum Spieler des eigenen Lebens zu werden. Jeder wird da zu seinem eigenen Hauptdarsteller, der niemanden neben sich toleriert und bloß nicht "Systemmedien" vertraut, wie zum Beispiel dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Und genau hier wird es gefährlich, denn von "Systemmedien" zu "Altparteien" ist es nicht weit. Nicht umsonst ist der Europaabgeordnete und gerade auf TikTok dauerpräsente Maximilian Krah nicht nur Rechtspopulist, sondern ein durch und durch Libertärer (mit einem paradox rückwärtsgewandtem Frauenbild).
Mix aus Finanzen, Esoterik und libertärem Denken
In der Totalindividualisierung und Ablehnung jeglichen sozialen Handelns spielt Gleichberechtigung keine Rolle. Kein Wunder: Das, was man ist, verdient man auch. So gehen scheinbar objektives Finanzwissen, männlich dominierte Esoterik und libertäres Denken eine unheilige Allianz ein und sickern in das Denken von Schülerinnen und Schülern, denen Podcasts wie "Hoss und Hopf", TikTok-Videos und Personen alle bekannt sind. Sie denken über sie nach, finden die scheinbar intellektuellen Gedanken interessant. Und währenddessen sind diese Kanäle den meisten Erwachsenen, vor allem aber den Lehrern, unbekannt.
Das wäre genau das ihr Erziehungsauftrag. Allen, denen an einem Zusammenleben gelegen ist, in dem Solidarität und Empathie auch weiterhin eine Rolle spielen, müssen sich des schwer fassbaren Problems bewusst werden, das millionenfach in das Denken der Kinder und Jugendlichen diffundiert. Ja, auch der Kinder. Denn gerade heute erst sprach mich ein Fünftklässler an, ob ich diesen Finanztypen von TikTok kenne. Ja, sagte ich. Und ich halte ihn für gefährlich. Warum, darüber werde ich bald im Unterricht reden. Und das sollten wir alle tun.
- Eigene Meinung