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Latenzzeit: "Kleine Pubertät" trifft Kinder im Vorschulalter


Latenzzeit
"Kleine Pubertät" trifft Kinder im Vorschulalter

02.10.2014|Lesedauer: 4 Min.
t-online, Simone Blaß
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Pubertät hat in unserer Gesellschaft den Charakter eines Schreckgespenstes. Bereits Jahre vor dieser Phase besuchen manche Eltern Vorträge, um vorbereitet zu sein. Doch jetzt taucht immer öfter der Begriff der "kleinen Pubertät" auf, die im Vorschulalter stattfinden soll. Ist das nur eine Erfindung überforderter Eltern, deren Kinder sie an den Rand der Verzweiflung bringen und die dafür eine Ausrede brauchen? Oder gibt es diese Phase wirklich? Die Elternredaktion von t-online.de ist der Frage nachgegangen.

Trotz und Rebellion - das erwartet viele Eltern nicht erst im Teenageralter.Vergrößern des Bildes
Trotz und Rebellion - das erwartet viele Eltern nicht erst im Teenageralter. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Gerade noch so süß und klein, im nächsten Moment aufmüpfig und frech und dann wieder ganz verletzlich und in Tränen aufgelöst. Beobachtet man Kinder im Vorschulalter, fühlt man sich an Teenager erinnert. Aber die Hormone können es ja nicht sein. Oder? Weiß man doch heute, dass sie bereits früh, nämlich schon in der Schwangerschaft, eine wichtige Rolle spielen und zum Beispiel Jungs in ihrem ersten Lebensjahr einen deutlich erhöhten Testosteronspiegel haben.

"Auch Mädchen machen eine solche Minipubertät durch", bestätigt Joachim Wölfle im Gespräch mit t-online.de. "Sie ist vermutlich wichtig für eine physiologische Reifung von Eizellen", so der Leiter der pädiatrischen Endokrinologie an der Universität Bonn. "Letztlich ist aber sowohl die biologische Bedeutung des Phänomens und auch des Mechanismus, der dazu führt, dass die Aktivierung bis zur Pubertät wieder ruht, nur unvollständig oder gar nicht verstanden."

Das Vorschulalter: ein Alter der Fortschritte

Die Hormone allein sind es also nicht. In der Pubertät genauso wenig wie in dieser Phase. Denn es tut sich auch etwas in der Persönlichkeitsentwicklung. Andreas Engel, stellvertretender Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, kennt das Problem: "Ein solches Verhalten ist typisch für Übergangsperioden, gehört sozusagen zu deren Stilmittel. Solche emotionalen Durchbrüche treten in manchen Phasen einfach verstärkt auf." Gerade im Alter zwischen fünf und sechs Jahren machen die Kinder enorme Fortschritte: intellektuell, motorisch und eben auch auf emotionaler Ebene. Ähnlich dem Kleinkindtrotzalter und der Pubertät.

Schon früh stellte die Entwicklungspsychologie einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen kleinen und großen Trotzalter-Phasen fest. Denn es geht immer um Abgrenzung und darum, loszulassen. Daraus ergibt sich ein Zusammenhang, der schon häufiger beobachtet wurde: Oft wird die Pubertät gar nicht so heftig, wenn das Kind bereits in den Jahren vorher erfahren hat, dass es sich entfernen beziehungsweise wieder annähern kann und darf. Dass es so angenommen wird, wie es ist.

Kinder sollen keine Abbilder der Elternwünsche sein

Darauf verlassen, dass ein trotziges Vorschulkind ein entspannter Teenager ohne große Stimmungsschwankungen wird, kann man sich jedoch nicht. Denn auch der angeborene Charakter spielt eine Rolle. "Aber das kann man positiv sehen. Gerade Trotz und Eigensinn sind die Vorstufen zur Eigenständigkeit", tröstet Engel geplagte Eltern. "Eigentlich kann man sich freuen, wenn man ein trotziges Kind hat. Es entwickelt auf Dauer Persönlichkeitseigenschaften, die in unserer Kultur sehr erwünscht sind. Sie sollen ja ein Selbstbild entwickeln und nicht nur Abbilder der Wünsche ihrer Eltern sein." Dazu müssen Kinder sich abgrenzen, vor allem gegenüber den Personen, die ihnen am nächsten stehen. So helfen sie auch diesen, sich abzunabeln.

Denn so ganz einfach ist es auch für Eltern nicht immer, wenn das Kind im Vorschulalter selbstständiger wird, sich seine Freunde allein aussucht und der Sporttrainer oder die neue Erzieherin plötzlich alles viel toller macht als man selbst. "Für Eltern ist das Gefühl, das Kind entgleitet ihnen, bedrohlich", schreibt der Professor für Kinderheilkunde Remo H. Largo in seinem Buch "Jugendjahre".

"Es macht Angst, einen geliebten Menschen loszulassen und darauf zu vertrauen, dass sich die Liebe wandelt, aber auf Dauer nicht verloren geht." Das gilt auch für Vorschulkinder. Auch sie entwickeln sich einen Schritt weit von der Familie weg. Gleichgeschlechtliche Freunde und deren Meinung sind plötzlich das Nonplusultra.

Wird das Kind sich in der Schule beherrschen können?

Es ist eine Phase, die die Entwicklungspsychologen als Latenzzeit bezeichnen und die man in der Alltagspädagogik tatsächlich die "kleine Pubertät" nennt. Nicht zuletzt deswegen, um Eltern dabei zu helfen, die Situation einzuordnen. "Alles, was man benennen kann, verliert den Schrecken", erklärt Andreas Engel. "Und das kann schon wichtig sein, denn viele Eltern befürchten, dass das jetzt jahrelang so weitergeht. Sie sind verunsichert und manche haben auch Angst, wie das erst mit der Schule werden soll, wenn das Kind seine Gefühlsausbrüche nicht im Griff hat."

Es fällt also leichter, damit umzugehen, wenn man weiß, welche tiefgreifenden psychischen Veränderungen gerade stattfinden. Das Kind sortiert Informationen neu ein, bringt sie miteinander in Zusammenhang und beurteilt sie kritischer. Es beobachtet die Eltern genau und stellt deren Autorität auch in Frage.

Zwischen dem fünften und dem sechsten Geburtstag liegen Welten

"Das ist anstrengend und durchaus vergleichbar mit der Pubertät. Eltern müssen jetzt flexibel sein", rät Engel. "Auf der einen Seite gilt es, einen eigenen Standpunkt zu haben, sinnvolle und notwendige Grenzen zu setzen. Auf der anderen Seite sollte man dem Kind aber auch die Freiheit lassen, eigene Vorstellungen zu haben."

Das bedeutet auch, Grenzen, die es bisher gab, zu überdenken. Wenn das Kind das von sich aus möchte, dann kann man ihm durchaus mehr zutrauen: allein zum Freund in der Nachbarschaft laufen, die Brötchen selbst bezahlen, kleine Straßen selbstständig überqueren - hier gibt es viele Möglichkeiten, die Eigenständigkeit in einem relativ sicheren Rahmen zu üben und damit etwas lockerer zu lassen.

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