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Homosexualität bei Teenagern: Wie Ole mit diesem Tabu lebte


Outing
Leben mit einem Tabu: Mit 15 merkte Ole, dass er schwul ist

Wenn sich ihr Kind als homosexuell outet, stürzt das viele Eltern in ein Gefühlschaos. Dabei sollte man als Mutter oder Vater aber bedenken: Das hat mein Kind auch schon durchgemacht - und oft sogar ganz schön lange. Für Teenager ist es meist nicht einfach, ihre Gefühle für das eigene Geschlecht zu akzeptieren. Viele leiden erstmal darunter, "anders" zu sein. Denn zumindest in Teilen unserer Gesellschaft ist Homosexualität immer noch ein Tabu. Auch Ole* aus Stuttgart musste das erleben.

Aktualisiert am 08.02.2013|Lesedauer: 7 Min.
t-online, Anja Speitel
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Ole merkte schon mit zwölf, 13 Jahren, dass ihn Jungs mehr interessieren als Mädchen: "Wenn ich zum Beispiel die Dr. Sommer-Seite in der 'Bravo' gelesen habe, ist mein Blick an den nackten Jungs hängen geblieben und ich konnte mich mit Schwulen, die dort Briefe hinschrieben, eher identifizieren. Das war ein komisches Gefühl, denn in der Gesellschaft wird einem als Kind ja ständig vermittelt, dass es 'normal' ist, irgendwann als Junge eine Freundin zu haben." Aus diesem Grund versuchte es Ole auch erstmal mit Mädchen. "Aber ich habe nach einigen Anläufen gemerkt, dass das nicht geht. Wirklich realisiert, dass ich schwul bin, habe ich dann so mit 15 - doch dabei fühlte ich mich als 'nicht richtig'." Das Problem, die gesellschaftliche Norm nicht zu erfüllen, begleitete den heute 24-Jährigen bis ins 20. Lebensjahr - und damit lange über sein Outing hinaus.

Homosexualität: In Teilen unserer Gesellschaft ist Homosexualität auch heute noch ein Tabu.Vergrößern des Bildes
In Teilen unserer Gesellschaft ist Homosexualität auch heute noch ein Tabu. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Oles Coming-Out überraschte seine Mutter nicht

Wenige Tage vor seinem 16. Geburtstag verkündete Ole seiner Mutter Claudia kurz und knapp: "Mama, ich bin schwul." Er konnte das Versteckspiel nicht mehr aushalten, das seine Mutter im Grunde ihres Herzens schon aufgedeckt hatte. "Ich hab’s mir schon gedacht, deshalb hat es mich nicht umgehauen. Ole war schon immer ein bisschen anders als typische Jungs: Er ist sehr sensibel und leicht verletzlich. Er versucht nicht anzuecken, wählt seine Worte sehr vorsichtig und kümmert sich gerne um andere Menschen. Er ist einfach ein ganz liebenswerter Kerl." Es tat Claudia leid, dass Ole so lange mit sich selbst um sein Coming-Out gekämpft hatte. "Ich wollte ihm dann nur noch helfen und fing an Infos zu suchen, wie man einen schwulen Jungen unterstützen könnte. Wie sollten wir am besten damit umgehen, auch anderen gegenüber? Aber ich fand damals leider kaum etwas", erinnert sich Claudia. Heute ist das anders: Es gibt den LSVD (Lesben- und Schwulenverband in Deutschland) und die BEFAH (Bundesverband der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen). An beide Verbände können sich Eltern und homosexuelle Jugendliche wenden, wenn sie Unterstützung in ihrer neuen Lebenssituation brauchen.

Für viele Eltern steht die Welt Kopf

Gudrun Held ist Vorstandsvorsitzende der BEFAH und weiß genau, was in vielen Eltern vorgeht, wenn ihr Kind seine Homosexualität Preis gegeben hat: "Wenn ihr Sohn einen Mann liebt oder ihre Tochter eine Frau, kommt für viele Eltern die Welt ins Wanken. Sie verlieren erstmal den Boden unter den Füßen. Oft sagen die Mütter: Ich verstehe mich selbst nicht mehr, meine Freundin hat einen schwulen Sohn und den fand ich immer ganz toll. Ich dachte eigentlich, ich würde viel lockerer mit dem Thema umgehen. Doch jetzt steht mein Sohn vor mir und die Welt ist kaputt." Gut sei dann, sich Hilfe bei Verbänden wie der BEFAH oder dem LSVD zu holen, um das Gefühlschaos im Gespräch zu sortieren.

Auch wie man jetzt anderen gegenüber mit der Homosexualität seines Kindes umgehen soll, ist häufig ein Thema. "Ich rate immer dazu, das nicht zu verschweigen, denn dann muss man sich ständig verbiegen", sagt Gudrun Held. Als erstes gelte es, die Verwandtschaft aufzuklären. "Ansonsten muss man es nicht vor sich hertragen. Aber wenn irgendwann die Nachbarin fragt, 'Mensch, warum hat der denn noch keine Freundin?', sollte man sagen 'weil er einen Freund hat'."

Homosexualität ist keine Frage der Wahl

Eltern, die bei Gudrun Held anrufen, setzen sich mit ihrem Kind auseinander und sind auf dem richtigen Weg. "Leider gibt es auch immer noch genügend Teenager, die aus dem Haus geschmissen werden, weil sie sich geoutet haben. Das ist das Schlimmste - solche Kinder gehen oft kaputt. Denn sie haben ja nichts Böses getan, die können an ihrer Sexualität auch nichts ändern." Niemanden trifft die Schuld. "Gerade Mütter fragen sich oft, ob sie in der Erziehung ihrer Kinder etwas falsch gemacht haben", berichtet Held. Bisher lässt sich die Frage, woran es liegt, dass manche Männer Männer lieben oder Frauen Frauen, wissenschaftlich nicht beantworten. Wahrscheinlich ist eine Kombination aus genetischer Disposition sowie biologischen, psychologischen, sozialen und kulturellen Faktoren dafür verantwortlich.

Homosexualität ist daher keine Frage der Wahl und Eltern können keinen Einfluss auf die sexuelle Orientierung ihres Kindes nehmen. "Seine Liebesfähigkeit bringt jeder Mensch mit, die ist uns quasi in die Wiege gelegt. Das Kind kann nichts dafür, homosexuell zu sein. Eltern sollten versuchen zu akzeptieren, dass ihr Kind homosexuell ist, denn sie werden es nicht ändern können. Diese Jugendlichen brauchen Unterstützung, um neues Selbstbewusstsein zu sammeln und offen leben zu können", rät Held. "Ganz wichtig ist, mit dem Kind im Gespräch zu bleiben. Wenn die erste Reaktion auf das Outing nicht gut war, kann man sich beim Kind entschuldigen. Es wird sehr gut verstehen, dass man sich erstmal mit dem Gedanken auseinandersetzen muss. Denn die Jugendlichen brauchen meist auch ganz lange, bis sie sich selbst so akzeptieren können."

Auf der Suche nach der eigenen Identität

In der Pubertät gleicht das Leben einer Baustelle: Der Körper verändert sich, die Gefühle fahren Achterbahn. Man ist kein Kind mehr, aber auch noch kein Erwachsener. Wo gehöre ich hin? Diese Unsicherheit prägt das Gefühlschaos aller pubertierenden Jugendlichen - aber natürlich ganz besonders jener, die bemerken, dass sie homosexuell sind. "Die Jugendlichen haben keine Identifikationsmöglichkeit. In Schulbüchern und anderen Medien tauchen ja immer nur Vater, Mutter und Kind auf. Im Märchen heiratet die Prinzessin den Prinzen", gibt Gudrun Held zu bedenken. Deshalb kommt das Gefühl "falsch" zu sein bei homosexuellen Teenagern häufig hoch. "Wenn sich Jugendliche an mich wenden, rate ich ihnen beim LSVD nach einem Jugendtreff in ihrer Nähe zu fragen. Da sehen sie: Ich bin gar nicht allein. Das hilft, diese schwierige Identifikationsphase besser durchzustehen", weiß Gudrun Held. "Und sie sollten sich in ihrem Freundeskreis umgucken, ob da welche sind, die wirklich zu ihnen stehen. Vielleicht kann auch der Vertrauenslehrer in der Schule helfen - denn homosexuelle Menschen werden gemobbt, das dürfen wir nicht wegreden", gibt die BEFAH-Vorsitzende zu bedenken. Darum ist es so wichtig, dass zumindest die Eltern hinter ihrem Kind stehen.

"Falschgepolter": Ole wurde gemobbt

"In der Schule hatte ich nicht viele Freunde", erinnert sich Ole. "Die meisten haben über mich gelästert oder mir wurden Wörter wie 'Falschgepolter' oder 'Schwuchtel' hinterher gerufen - schon bevor ich mich geoutet habe." Oft litt er unter Schlafstörungen und zog sich in sich selbst zurück. Besonders schlimm wurde es dann in der Lehre, die Ole mit 17, also ein Jahr nach seinem Outing begann: Ständige Hiebe der Kollegen führten dazu, dass er kurz vor der Abschlussprüfung alles hinschmiss.

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Heftige Selbstfindungsphase

Von da an machte Ole die Nacht zum Tag und trieb sich in der Stuttgarter Schwulenszene rum - denn in seiner kleinen Gemeinde im Einzugsgebiet der Baden-Württembergischen Hauptstadt gab es keine Jugendtreffs für Homosexuelle. "Das war meine zweite Pubertät", resümiert er heute. "Ich musste mich aus meinem Doppelleben befreien. Endlich konnte ich schwul sein, ohne dass etwas passiert." Seine Eltern machten sich hingegen Sorgen, dass Ole abrutscht: "Ole war zu einem Freund gezogen und flippte völlig aus. Er schlief unter Tag und feierte nachts. Um eine neue Ausbildungsstelle kümmerte er sich deshalb natürlich nicht. Klar, da gab es viel Streit zwischen uns. Es war schwer, ihm trotz dieser heftigen Phase dennoch zu signalisieren, dass wir hinter ihm stehen. Heute weiß ich, dass es nur eine Selbstfindungsphase für ihn war - er wollte sich ausleben, frei wie ein Vogel sein, nachdem er ja vorher bei uns auf dem Dorf nicht schwul sein durfte", sagt Claudia.

Schwule und Lesben sind nicht integriert

In vielen Staaten dürfen gleichgeschlechtliche Paare die Ehe eingehen - in Deutschland nicht. Hierzulande schimpft sich die "Ehe" Homosexuelle "Verpartnerung". 2011 lag die Zahl der Verpartnerungen laut Statistischem Bundesamt bei 27.000. Dazu kamen noch 40.000 eingetragene Lebenspartnerschaften. Das Recht, homosexuelle Lebensgemeinschaften einzugehen, trat erst im August 2001 in Kraft. Eigentlich unvorstellbar in einem aufgeklärten Land, dass Schwule und Lesben immer noch nicht dieselben Rechte haben, wie Heterosexuelle: "Sie kriegen nicht das gleiche Steuerrecht, dürfen kein Kind adoptieren und haben teilweise nicht dieselben Karrierechancen", entrüstet sich Claudia. "Ich habe zwei tolle Kerle als Söhne, aber der eine wird benachteiligt, nur weil er eine andere Sexualität hat. Das ist eine Ungerechtigkeit sondergleichen."

Tatsächlich finden sich Schikanen, die nicht so ganz verständlich sind. Warum liegt zum Beispiel die Bearbeitungsgebühr für eine Verpartnerung im Vergleich zur Eheschließung bis um den 2,5-fachen Satz höher? "Und dann kommt es sogar vor, dass Homosexuelle noch nicht mal das Trauzimmer nutzen dürfen", empört sich Claudia. "Das war mein schlimmstes Erlebnis: Zwei Schwule, die sich einen kalten Nebenraum herrichten und nach dem 'Akt' sofort wieder besenrein zurückgeben mussten." Darum kämpfen Schwulen- und Lesbenverbände für eine Ergänzung des Gleichheitsartikels im Grundgesetz. Damit niemand mehr wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden darf. "Ich wünsche mir, dass es in unserer Gesellschaft bald kein Thema mehr ist, wie die Liebesfähigkeit eines Menschen aussieht", sagt Gudrun Held. "Hauptsache sie lieben und hassen nicht!"

Endlich angekommen

"In der Gesellschaft muss sich noch ganz viel tun. Auch wenn ich heute dank der großen Unterstützung meiner Familie so gut mit mir selber klar komme, traue ich mich zum Beispiel immer noch nicht, mit meinem Freund Hand in Hand die Königstraße in Stuttgart langzugehen. Dann kommen nur wieder fiese Bemerkungen wie 'schwule Sau' oder 'scheiß Schwuchteln'. Man fühlt sich so beobachtet", erzählt Ole, der jetzt kurz vor seinem Großen Staatsexamen als Altenpfleger steht. Wahrscheinlich auch aufgrund seiner guten Leistungen, wird er dort endlich akzeptiert. "Wenn ein Kollege fragt, was ich am Wochenende mache, kann ich sagen, dass ich etwas mit meinem Freund unternehme - das ist eine wahre Befreiung."

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