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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fliegen mit Kindern Soll man Kindern Beruhigungsmittel für die Urlaubsreise geben?
Wenn Familien mit Kleinkindern Urlaubspläne schmieden, heißen die Ziele oft Familienhotel in Österreich, Ferienwohnung an der Ostsee, Bauernhof in Südtirol, Campingplatz am Gardasee. Gut erreichbar, nicht zu weit weg. Doch manchmal soll oder muss es eine Fernreise sein. Manche Eltern schwören bei Flügen auf Beruhigungsmittel für Kinder - andere lehnen dies rigoros ab.
Wir fliegen mit unserer zweijährigen, sehr aktiven Tochter im Juli nach China. 14 Stunden Flug, für diesen Flug brauche ich dringend ein Beruhigungsmittel was auch wirkt (Homöopathische Kügelchen, Baldriantropfen oder Fieberzäpfchen nützen überhaupt nichts)" - so lautet der eindringliche Aufruf von "JulyBaby" in einem Internet-Forum. Weiter heißt es da: "Unser letzter Flug im Oktober von Miami zurück war Horror, sie war fertig ich war fertig und die Mitreisenden haben mich gehasst. Hat jemand von euch mit Beruhigungsmitteln Erfahrung. Bin im Juni noch bei der Kinderärztin und hoffe auch von ihr Hilfe zu bekommen, weil ich nicht die Kraft habe im 7. SSM meine Tochter zu bändigen."
Die Community reagiert, wie beispielsweise Mandek auf eine ähnliche Anfrage: "Niemals Beruhigungsmittel für einen Einjährigen! Wo soll das denn hinführen? Spiel mit ihm, tobe mit ihm. Sorg dafür, dass er müde ist während des Fluges. Aber bitte keine Medikamente. So etwas ist unverantwortlich (in dem Fall)."
Doch andere haben ganz praktische Tipps parat. Namen von zum Teil verschreibungspflichtigen Beruhigungsmitteln kursieren, die angeblich sogar Kinderärzte verschreiben oder Anlaufstellen in den USA werden weitergegeben, wo diese Präparate frei zugänglich sind.
Medikamentennamen kursieren
Medikamente, deren Namen in Foren kursieren und frei verkäuflich sind enthalten den Stoff Dimenhydrinat. Andere - schneller und stärker wirkende - wie Scopolamin, Cinnarizin, Meclozin oder Metoclopramid sind verschreibungspflichtig. Die meisten Medikamente bringen als Nebenwirkung starke Müdigkeit mit sich. Es gibt Tabletten, Zäpfchen, Pflaster und Kaugummis mit den Wirkstoffen.
Einige Eltern empfehlen natürliche Mittel wie Ingwer, Bachblütentropfen oder homöopathische Kügelchen wie Cocculus aus der Apotheke.
Kinderärzte sind entschieden dagegen
Das Thema hat zwei Aspekte: Zum einen Unruhe, Nervosität, Aufregung, zum anderen Übelkeit, die sogenannte Reisekrankheit - beides kann eine Reise zum Horrortrip werden lassen.
Kinderarzt Ulrich Fegeler ist selbst Vater und bringt seine Reiseerfahrung mit ein, wenn er zum Thema "Betäubungsmittel für Kinder" sagt: "Ich bin völlig dagegen. Meiner Meinung nach gibt es auch kein Argument dafür." Klare Worte, die der Sprecher des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte im Netz findet. "Ich bin selbst Langflieger mit Kindern und weiß, die Fluglinien haben sich inzwischen auf Familien eingestellt. Familien mit Kleinkindern erhalten Plätze im Familienbereich, etwas mehr Platz, spezielle Sitze in der Nähe einer Art Spielecke."
Wichtig sei viel mehr, bei Kleinkindern und Säuglingen den eigenen Rhythmus beizubehalten. "Gerade für Säuglinge ist das ja kein Flieger in der Luft, sondern lediglich ein anderer Raum." Ein Grund dafür: Bei Säuglingen ist der Gleichgewichtssinn noch nicht komplett ausgeprägt. Vor allem die natürlichen Schlafzeiten einzuhalten, helfe, den Flug gut zu überstehen.
Wichtig ist der Rhythmus des Kindes
Fegelers Tipp daher: "Sie müssen gar nicht aus ihrem Rhythmus gerissen werden. Es genügt, für jedes Kind ein Spielzeug dabei zu haben. Die Größeren lesen, die Kleineren brauchen ein Bilderbuch, die Säuglinge brauchen ihren normalen Rhythmus."
Eine einzige Ausnahme kennt der Kinderarzt, nämlich Reiseübelkeit bei Autofahrten: "Wenn, dann brauchen Kinder etwas gegen Erbrechen, das empfiehlt sich vor allem bei langen Autofahrten für manche Kinder, die hier empfindlich reagieren. Doch nach meiner Erfahrung sind die Kinder auch nach Einnahme dieser Medikamente den ganzen Tag platt, denn auch diese Mittel haben beruhigende Wirkung. Dann beginnt der Urlaub nicht gut."
Was das Innenohr mit der Übelkeit zu tun hat
Kurven, Auf und Ab, Turbulenzen im Flieger, Wellengang auf See - das wirkt auf den Gleichgewichtssinn im Innenohr. Übelkeit ist die Reaktion des Körpers auf diese Fehlmeldungen. Von dieser Art der Übelkeit sind vor allem Kinder zwischen zwei und zwölf Jahren betroffen, Mädchen stärker als Jungen. Oft hilft schon, die Kinder auf dem Beifahrersitz Platz nehmen zu lassen, die veränderte Perspektive stärkt das Gleichgewichtsorgan, Kurven werden erst gesehen und so wird verhindert, dass sie sich im Magen bemerkbar machen. Für Busfahrten gilt: Der beste Sitzplatz für empfindliche Personen ist über der Vorderachse, denn hier sind die Auf- und Abbewegungen am geringsten.
Größere Kinder können als "Beifahrer" mit Aufgaben betraut werden, wie Navigationsgerät bedienen, Mautgebühr bezahlen oder Musik auswählen.
Expertentipp für Flugreisen: "Bei Start und Landung etwas zum Schlucken und Ohrentropfen, um die Ohren wieder frei zu bekommen, das sollte man nicht vergessen, das kann man auch prophylaktisch geben."
Nervöse Mütter übertragen Ängste
Denn das eigentliche Problem bei Reisen liegt oft nicht bei den unruhigen Kindern, sondern bei den nervösen Eltern. "Häufig wird von Müttern die eigene Angst und Aufregung auf die Kinder abgeschoben und übertragen."