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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kinderfotos auf Facebook "Schatz, hör' auf, die Kinder zu posten!"
Auf dem Töpfchen, beim Kindergeburtstag oder als Nackedei am Strand - viele Eltern posten in sozialen Netzwerken Fotos ihrer Kinder in allen Lebenslagen. Doch Experten warnen vor
In sozialen Netzwerken sind viele Kinder schon kurz nach ihrer Geburt präsent. 71 Prozent der Mütter in Deutschland laden noch vor dem zweiten Geburtstag von Sohn oder Tochter deren Fotos in sozialen Netzwerken hoch. Das ergab eine internationalen Studie des Softwareherstellers AVG, für die mehr als 2200 Frauen befragt wurden.
Das ist nur scheinbar eine harmlose Möglichkeit, Verwandte, Freunde und Bekannte an freudigen oder witzigen Momenten im Leben des Kindes teilhaben zu lassen. Viele Eltern scheinen sich über mögliche Folgen ihrer Social-Media-Aktivitäten nicht im Klaren zu sein.
Facebook-Aufruf der Polizei entfacht heftige Debatte
Um das zu ändern, veröffentlichte die Polizei Hagen im vergangenen Jahr einen Facebook-Aufruf mit dem Text "Hören Sie bitte auf, Fotos Ihrer Kinder für jedermann sichtbar bei Facebook und Co zu posten! – Auch Ihre Kinder haben eine Privatsphäre!"
Den Polizisten war aufgefallen, wie viele private Kinderfotos online frei zugänglich sind. Mit der Aktion habe man Eltern für das Problem sensibilisieren wollen, sagt Tino Schäfer, Pressesprecher der Polizei Hagen, im Gespräch mit t-online.de.
Wie sehr das Thema Mütter und Väter bewegt, zeigt die enorme Resonanz auf den Appell: Aktuell wurde er 16,7 Millionen Mal gelesen und mehr als 280.000 Mal geteilt. Zudem bekam er über 150.000 Likes und 5000 Kommentare (Stand 22. Juli 2016). Kein anderes Posting der Dienststelle hat laut dem Polizeihauptkommissar bisher eine solche Reichweite erreicht und eine so lange anhaltende Diskussion entfacht.
Auch das Kinderhilfswerk fährt aktuell eine Kampagne, die darauf aufmerksam macht, dass auch Kinder ein Persönlichkeitsrecht im digitalen Raum haben. Hierzu zählt auch das Recht am eigene Bild. Eltern verantwortungsbewusst mit den Fotos ihrer Kinder umgehen.
Privatsphäre der Kinder wahren
Schäfer rät Eltern, keine Fotos ihrer Kinder in sehr privaten Situationen – etwa in der Badewanne – zu posten. Wer trotzdem darauf nicht verzichten will, solle unbedingt in den Privatsphäre-Einstellungen den Kreis derer eingrenzen, die das Foto sehen können – auf eine kleinstmögliche Gruppe wie enge Freunde und Verwandte.
Aber Vorsicht: 100-prozentige Sicherheit bietet auch das nicht. Denn Facebook-"Freunde" können Bilder speichern und weiter versenden. Abgesehen davon, dass nicht jeder Nutzer den Überblick darüber behält, mit wem er im Social Web befreundet ist.
Missbrauch der Fotos ist möglich
Eine Folge des sorglosen Postens: Jahre später könnten zum Beispiel Aufnahmen im schulischen Umfeld auftauchen und die inzwischen herangewachsenen Kinder beschämen, warnt Schäfer. Denn wo die Bilder im Laufe der Zeit blieben, sei kaum vorhersehbar.
Noch schimmer: Immer wieder bedienten sich auch pädophil veranlagte Menschen fremder Kinderfotos für ihre Internetseiten. Im Zweifelsfall sei es besser, ausschließlich neutrale Bilder auszuwählen oder die Kinder von hinten zu fotografieren.
Unterschiedliche Ansichten prallen aufeinander
Die Kommentare auf den Aufruf machen deutlich: Über das Thema wird noch immer heftig debattiert. "Kinderbilder haben da [bei Facebook, Anmerkung der Redaktion] nichts zu suchen!", schreibt etwa ein Internetnutzer.
Anderen Lesern des Postings war offenbar gar nicht bewusst, dass ihre Bilder von Dritten "geklaut" werden können. Sie bekunden, den Zugriff darauf künftig begrenzen zu wollen. Das findet aber nicht jeder notwendig: "Ich ziehe meinen Kindern für Urlaubsfotos künftig einen blickdichten Kartoffelsack über den Kopf und denke das ist dann ok so!?", spottet ein Nutzer.
Die Ansichten der Kommentierenden gehen weit auseinander. Sie reichen von dem Standpunkt, Eltern sollten sich nicht von Kinderschändern einschüchtern lassen, bis zur Warnung, mit dem Veröffentlichen von Fotos schon kurz nach der Geburt würden Eltern ihren Kindern ein Dasein ohne Privatsphäre vorleben.
Ins Schwarze getroffen hat der Facebook-Aufruf der Polizei in jedem Fall: Noch heute erhalte die Hagener Polizei per E-Mail Hinweise auf Internetseiten, die unberechtigt fremde Kinderfotos veröffentlichten, sagt Schäfer. Das nachzuhalten, sei jedoch sehr schwierig, da im Netz jederzeit neue Seiten entstünden und andere dafür verschwänden.
Wann auch Kinder einer Freigabe zustimmen müssen
Welche Möglichkeiten haben Eltern, gegen Missbrauch von Fotos vorzugehen? Grundsätzlich gilt: Alle verfügbaren Aufnahmen – etwa Profilbilder und öffentlich zugängliche Chronikfotos bei Facebook – dürfen von Dritten zur privaten Nutzung heruntergeladen werden. Wer über diese Regelung hinaus Bilder anderer User nutzen will, benötigt deren Einwilligung.
Bei Kindern bis zu sieben Jahren müssten die Eltern einer Veröffentlichung zustimmen, erläutert Severin Müller-Riemenschneider von der Media Kanzlei Frankfurt. Ab sieben Jahren sind Kinder bereits beschränkt geschäftsfähig. Der Jurist empfiehlt in dem Fall, neben der Einwilligung der Eltern auch die Einwilligung des Kindes für die Fotofreigabe einzuholen, um Rechtssicherheit zu haben.
Wer Kinderfotos unerlaubt verwendet, werde in der Regel aufgefordert, die Aufnahmen innerhalb einer kurzen Frist zu entfernen, erklärt Müller-Riemenschneider. Geschehe dies nicht, könnten zunächst Unterlassungsansprüche durchgesetzt werden. Die Kosten einer berechtigten Abmahnung habe dabei derjenige zu tragen, der das Bild des Kindes rechtswidrig veröffentliche.
Geldstrafen bei unerlaubter Verwendung von Fotos
Wenn die Eltern im Namen des Kindes einen gerichtlichen Unterlassungstitel erwirken, droht dem Rechtsverletzer ein Ordnungsgeld von mehreren hundert Euro bis hin zu vierstelligen Beträgen. Die Höhe eines Bußgeldes hänge davon ab, ob die Bilder mit Vorsatz unberechtigt oder sogar zu kommerziellen Zwecken genutzt würden. Das Gericht sei nach freiem Ermessen sogar berechtigt, ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro zu verhängen, betont der Anwalt.
Wenn eine Website Fotos von Kindern ohne deren Einwilligung beziehungsweise ohne Zustimmung der Eltern zeigt, muss allerdings die Person ermittelt werden, die das Foto veröffentlicht hat. Und das sei nicht immer einfach, sagt Müller-Riemenschneider.
Daneben bestehe die Möglichkeit, den Betreiber der Webseite darauf hinzuweisen, dass er mit der öffentlichen Zurschaustellung der Fotos die Persönlichkeitsrechte des Kindes verletze, und von ihm zu verlangen, die Bilder zu löschen. Geschehe das in dem gesetzten Zeitraum nicht, kann eine kostenpflichtige Abmahnung folgen.
Gelöschte Fotos sind nicht weg
Problematisch beim Hochladen von Kinderbildern zum Beispiel auf Facebook sei, dass die Dateien auf einem Fremdserver gespeichert würden, sagt der Anwalt. Das heißt: Entfernen Mama oder Papa ein Bild in ihrem eigenen Account, löschen sie nur die Verknüpfung zu der Aufnahme. Das Foto verschwindet damit jedoch nicht automatisch vom Server. Es und kann weiterhin im Netz verfügbar sein.
Ein Bild spurlos zu beseitigen, ist daher schwierig. Eltern, die Fotos ihrer Sprösslinge darüber hinaus auf Seiten wie www.instagram.com/fashionkids einstellen, sollten sich im Klaren darüber sein, dass sie die Nutzungsrechte an den Fotos damit an den Webseitenbetreiber abgeben.
Kinderfotos in sozialen Netzwerken beschäftigen Gerichte
Zu Zoff um Kinderbilder in den sozialen Netzwerken kommt es aber auch innerhalb von Familien. Wenn nur ein Elternteil das Sorgerecht hat, endet der Streit nicht selten vor Gericht. So zog zum Beispiel eine allein sorgeberechtigte Mutter 2010 vor das Amtsgericht Menden, um durchzusetzen, dass der Vater ihres Sohnes die Fotos des Kindes in der Online-Community "mein VZ" entfernt (3.2.2010, Az.: 4 C 526/09).
Der Streit drehte sich um Fotos, die der Vater ohne Zugangsbeschränkung eingestellt hatte. Die Mutter argumentierte, dass jeder, der über einen Account bei "meinvz.de" verfüge, die Bilder sehen könne. Sie sah darin eine Persönlichkeitsrechtsverletzung ihres Sohnes – und die Richter beurteilten den Fall ebenso.
Jedes Like ein Lob für die "gute Mutter"?
Was aber steckt hinter dem Bedürfnis, massenweise Kinderfotos in den sozialen Medien zu verbreiten? Eine mögliche Motivation ermittelte Sarah Schoppe-Sullivan, Professorin für Humanwissenschaften an der Universität von Ohio. Für ihre Studie befragte sie 127 junge Mütter. Das Ergebnis: Frauen, die sich unter großem gesellschaftlichen Druck fühlten, eine "gute Mutter" zu sein, und sich sehr stark mit der Mutterrolle identifizierten, zeigten in ihren Facebook-Profilen besonders viele Babybilder.
Über positive Reaktionen auf ihre Posts suchten sie Bestätigung in ihrer Mutterrolle. Erfüllten die Likes und Kommentare aber nicht ihre Erwartungen, reagierten diese Frauen besonders sensibel. Neun Monate nach der Geburt berichteten demnach die Mütter mit der größten Facebook-Aktivität von mehr depressiven Symptomen als jene, die in dem sozialen Netzwerk weniger präsent waren.
Sicher muss jede Familie für sich entscheiden, ob, wie und in welchem Ausmaß sie Fotos der Kinder im Social Web präsentiert. Entscheidend sollte der Gedanke sein, möglichen Schaden vom Kind fernzuhalten – und zwar langfristig. Wer sich klar macht, wie soziale Netzwerke funktionieren, wird ebenso wenig unpassende Kinderbilder auf Facebook einstellen wie Fotos von der letzten feucht-fröhlichen Party auf seinem Xing-Profil.
In Frankreich können Kinder gegen Facebook-Fotos klagen
In Frankreich können Kinder im Übrigen inzwischen bis zu 45.000 Euro vor Gericht einklagen, wenn die Eltern ohne ihre Zustimmung Bilder von ihnen gepostet haben. Das bringt manchen Vater und manche Mutter sicher dazu, kritischer zu beurteilen, welche Inhalte sie im Internet öffentlich teilen.
Tipps für die Veröffentlichung von Kinderfotos in sozialen Netzwerken
Wer trotzdem nicht darauf verzichten will, Kinderfotos auf Facebook, Instragram und anderen Netzwerken zu veröffentlichen, sollte diese Dinge beachten:
- Machen Sie sich gründlich mit den Privatsphäre-Einstellungen des sozialen Netzwerkes vertraut. Stellen Sie sicher, dass die Fotos ihrer Kinder nicht öffentlich zu sehen sind. Schränken Sie die Gruppe der Personen, die die Aufnahmen sehen darf, auf Ihr nahes Umfeld ein.
- Legen Sie in den Privatsphäre-Einstellungen fest, dass die Bilder Ihres Kindes nicht von Suchmaschinen gefunden werden können.
- Um keine persönlichen Daten preiszugeben, verwenden Sie für Ihr Profil ein Pseudonym. Auch der Dateiname der Fotos sollte nicht dem richtigen Namen ihres Kindes entsprechen. In eigenen Posts sollten Sie Umschreibungen wie "Sohnemann" oder "Töchterchen" benutzen - und Kommentare löschen, die den Namen der Kindes verraten.
- Bitten Sie alle Personen, mit denen Sie die Bilder teilen, diese nicht weiter zu verbreiten.
- Richten Sie einen Google Alert ein, um zu bemerken, wenn Bilder Ihres Kindes ohne Ihre Zustimmung verwendet werden.