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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kindstaufe Veraltetes Relikt, fröhliches Familienfest oder echte Glaubenssache?
Über Jahrhunderte war es im christlich geprägten Kulturkreis obligatorisch, Kinder bald nach ihrer Geburt taufen zu lassen. So sollte möglichst früh die Zugehörigkeit zum Glauben und zur Kirche besiegelt und in Zeiten höherer Kindersterblichkeit vermieden werden, dass das Kind als Heide stirbt. Doch heute sehen viele Eltern die Kindstaufe als veraltetes Ritual. Aber in manchen Gemeinden ist die Taufe wieder im Kommen.
Diese Szene kennt wohl jeder: Ein Baby in weißem Kleidchen, das von seinen stolzen Eltern samt assistierender Paten über das Taufbecken in der Kirche gehalten wird, während der Pfarrer den Kopf des Täuflings mit dem geweihten Wasser benetzt und ihn offiziell in der christlichen Gemeinschaft willkommen heißt.
Taufe ist unwiderruflich
Nicht selten folgt daraufhin lautstarkes Protestgebrüll der kleinen Hauptperson, das bis in die letzten Reihen der Kirche hörbar ist. Wenige Augenblicke später ist das Ganze vorbei. Der junge Erdenbürger ist getauft - und zwar unwiderruflich. Denn das Sakrament der Taufe kann nicht rückgängig gemacht werden. Auch ein möglicher späterer Kirchenaustritt rüttelt nicht an diesem christlichen Status.
Die Taufzahlen gehen seit Jahren zurück
Im Gegensatz zu früher entscheiden sich heute längst nicht mehr alle Eltern dazu, das seit der Antike bestehende Taufritual für ihren Nachwuchs zu zelebrieren. Diese schwindende Bereitschaft wird durch Zahlen des Statischen Bundesamtes belegt: Danach wurden 2012 bundesweit rund 168.000 Kinder von der evangelischen und 167.500 von der katholischen Kirche getauft. Das sind umgerechnet nur noch halb so viele wie vor 50 Jahren in Westdeutschland. Inzwischen übersteigt in den meisten Gemeinden die Anzahl der Begräbnisse die der Taufen deutlich, was auch mit dem demographischen Wandel unserer Gesellschaft zusammenhängt.
In den östlichen Bundesländern sind die Taufzahlen aufgrund der Kirchenfeindlichkeit der ehemaligen DDR-Regierung deutlich niedriger als in den westlichen. Hier sind im Schnitt nur gut 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt Mitglied einer Kirche.
Mittelalter-Erlebnistag mit Tauf-Happening
Doch in manchen Gemeinden erlebt die Taufe eine regelrechte Renaissance - so zum Beispiel im evangelischen Kirchenbezirk in Neckargmünd-Eberbach unweit von Heidelberg. Hier ließen sich im vergangenen Jahr die Verantwortlichen der Gemeinde etwas einfallen und organisierten in der benachbarten 900 Jahre alten Klosterkirche einen zentralen Taufsonntag, der eingebettet war in einen Familien-Erlebnistag mit mittelalterlichem Flair. Davon war vor allem der Nachwuchs begeistert. Die Resonanz auf die Aktion mit dem speziellem "Tauf-Marketing" war entsprechend groß. 17 Kinder wurden an diesem Tag in die Kirche aufgenommen.
Seltene Ausnahme: Tauf-Boom in Berlin Mitte
Tauf-Enthusiasmus breitet sich in jüngster Zeit auch im traditionell eher weltlich orientierten Herzen von Berlin aus. Ausgerechnet im angesagten Viertel Prenzlauer Berg, wohin seit Jahren immer mehr gutsituierte, kirchenaffine Familien aus Süd- und Westdeutschland ziehen, tummeln sich derzeit besonders viele Eltern, die ihre Sprösslinge unbedingt taufen lassen wollen.
Monatelange Wartezeiten für einen Termin sind an der Tagesordnung. Mit am beliebtesten ist die evangelische Gethsemanekirche. Etwa 80 Taufen hat es hier im vergangenen Jahr gegeben. Kaum ein Sonntag, wo nicht mindestens eine Taufe während des Gottesdienstes stattfand. Bei den Katholiken im Quartier sieht es ähnlich aus. In der Herz-Jesu-Gemeinde etwa wurde vorletztes Jahr 74 Mal die Zeremonie gefeiert. Ob dieser aktuelle Boom mit echter Gläubigkeit zu tun hat oder eine Modererscheinung ist, lässt sich allerdings nur schwer sagen.
Vermittlung christlicher Werte
Fest steht aber, dass trotz der sonst so verbreiteten Taufmüdigkeit die meisten Menschen in Deutschland offenbar ein sehr positives Bild von der Taufe haben und sie als bedeutenden christlichen Ritus ansehen. Das hat eine repräsentative Umfrage der GFK Markforschung Nürnberg vor vier Jahren ergeben, bei der 1917 Personen befragt wurden, von denen 647 aus der Kirche ausgetreten waren.
Dabei sprach sich eine klare Mehrheit (63,8%) dafür aus, dass Kinder die kirchlichen Sakramente wie Taufe, Kommunion oder Konfirmation empfangen sollten und ihnen in der Erziehung der Glaube an Gott und an christliche Werte vermittelt werden müsste. Sogar ein Viertel derjenigen, die keiner Konfession angehörten, vertrat diese Auffassung.
"Ein überflüssiges Stück Folklore"
In einschlägigen Eltern-Foren sind die Meinungsäußerungen zum Thema oft auch kritisch, manchmal sogar zweifelnd und unsicher. Vorbei sind die Zeiten, wo die Kirche für die meisten Menschen ganz selbstverständlich als wichtige Instanz im alltäglichen Leben verwurzelt war.
"Eine Taufe ist doch eigentlich überflüssig und ist nicht viel mehr als ein Stück Folklore", meint Theresa in einem Chat. "Die meisten von uns werden doch sowieso nach christlichen Leitlinien und Idealen erzogen. Darauf basieren unsere Demokratie und unser Grundgesetz."
Grit stellt fest: "Wir sind zwar getauft - ich evangelisch und mein Mann katholisch. Aber eigentlich haben wir mit der Kirche nichts am Hut - wir sind sogar ausgetreten. Würden wir unser Kind taufen lassen, wäre das doch heuchlerisch. Dann würden wir ja eine Form imitieren, den Inhalt aber ablehnen. Das ist doch ziemlich verlogen, oder?"
Anderen Eltern scheinen solche moralisch-religiösen Aspekte eher unwichtig zu sein. "Wir sind zwar nicht gläubig", bemerkt Karla, "aber trotzdem wollen wir unsere kleine Tochter bald taufen lassen. Das ist doch ein toller Anlass, um ein neues Leben in einem feierlichen Rahmen offiziell mit der ganzen Familie und den Freunden zu begrüßen."
Im Trend ist die späte Taufe für ältere Kinder
Martin vertritt einen Standpunkt, den auch viele andere Mütter und Väter teilen. Er schreibt: "Wir glauben zwar an Gott und haben eine christliche Grundeinstellung. Doch eine Kirchenzugehörigkeit wollen wir unserem Kind trotzdem nicht einfach so überstülpen. Wir finden es besser, wenn es später mit 14 oder 15 Jahren selbst entscheiden kann, ob es getauft werden möchte oder nicht. Bei den Taufen mit Babys bekommen die Kleinen ja eigentlich nichts mit."
Wie beliebt solche nachgeholten Taufen tatsächlich sind, zeigen Fallzahlen der beiden großen christlichen Kirchen. Hier nehmen die Taufzahlen bei Jugendlichen beziehungsweise jungen Erwachsenen nämlich nicht stetig ab. Im Gegenteil - mancherorts steigen sie sogar leicht an.
So ist es mittlerweile bei den Protestanten nicht unüblich, dass sich Teenager, die nach Ansicht der Kirche mit etwa 14 Jahren ohnehin reif genug sind, sich bewusst zum Glauben zu bekennen, vor der Konfirmation taufen lassen können. Eine vergleichbare Handhabung gibt es auch bei den Katholiken. Hier können sich Kinder in der zweiten Hälfte der Grundschulzeit, wenn traditionell die Erstkommunion ansteht, vorher ebenfalls noch taufen lassen.
Religionsunterricht auch für Ungetaufte
Ist ein Kind nicht getauft, muss es nicht befürchten, vom Religionsunterricht ausgeschlossen zu werden. Das ist im Artikel 7 des Grundgesetzes festgelegt. Dadurch ist der konfessionell gebundene Unterricht genauso für ungetaufte, atheistische Schüler zugänglich. Dieses Lernangebot scheint gar nicht mal so unpopulär zu sein, wie die Statistik des Bayrischen Kultusministeriums zeigt. Danach haben im vergangenen Schuljahr immerhin 58.600 ungetaufte Kinder und Jugendliche im Freistaat am Religionsunterricht teilgenommen.
Keine vorschnelle Entscheidung über Religion der Kinder
Ein Sonderfall besteht, wenn Eltern unterschiedlichen Religionen angehören, getrennt sind und die Kinder nur bei einem Elternteil leben. Dazu gab es im Juni 2014 eine Entscheidung am Oberlandesgericht Hamm (Az.: 12 UF 53/12).
In diesem Fall dürfen Kinder nach der Scheidung nicht verfrüht in eine der Religionsgemeinschaften eingegliedert werden. Das Gericht entschied gegen die Taufe und Kommunion zweier Kinder, deren Vater einer anderen Glaubensgemeinschaft angehörte als die Mutter.
In dem verhandelten Fall lebten die zwei Kinder seit der Scheidung ihrer Eltern bei der Mutter. Die Mutter ist Christin, der Vater Moslem. Die Kinder gehörten noch keiner Religionsgemeinschaft an. Sie besuchten eine katholische Schule am Wohnort der Mutter und nahmen am Religionsunterricht teil. Die Mutter wollte die beiden Kinder katholisch taufen und sie an der Kommunion teilnehmen zu lassen. Der Vater war damit nicht einverstanden. Daraufhin beantragte die Mutter bei Gericht, ihr die alleinige Entscheidung über Taufe und Kommunion zu übertragen.
Das Gericht erster Instanz gab der Mutter Recht. Der Vater legte Beschwerde gegen den Beschluss ein. Er sah die Gefahr, dass sich die Kinder mit dem christlichen Glauben identifizieren und sich folglich nicht mehr für die islamische Religion interessieren würden.
Vor dem OLG hatte der Vater Erfolg: Die frühzeitige Integration der Kinder in eine der beiden Religionsgemeinschaften entspreche nicht am besten dem Kindeswohl. Auch ohne Taufe und Kommunion könnten die Kinder weiter den Religionsunterricht besuchen. Erst nach dem 14. Geburtstag können sie selbst entscheiden, zu welcher der beiden Religionsgemeinschaften sie gehören möchten.