Reaktionen auf Bedientheken-Krise "Der Prozess ist nicht mehr aufzuhalten"
Supermärkte suchen händeringend nach Personal für Bedientheken und schränken bereits ihr Angebot ein. Was die einen als Verlust empfinden, akzeptieren die anderen als nicht aufzuhaltenden Prozess.
Supermärkte wie Edeka verfügen in der Regel über einen Service, der Discountern fehlt: eine Frischetheke. Doch in vielen Läden nimmt die Zahl solcher Theken bereits ab – der Grund: Personalmangel. "Dieser Trend wird weitergehen", vermutet Lebensmittel- und Ernährungsexperte Armin Valet im t-online-Interview.
Marcel Horzenek weint Bedientheken und anderen aussterbenden Supermarkt-Relikten keine Träne nach, im Gegenteil: "Die Zukunft darf gern schneller kommen", meint er. Philipp Heinemann hält dagegen, das sei wie "Einkaufen in einer Dystopie". Hier lesen Sie das Pro & Kontra der beiden t-online-Redakteure, das viele Reaktionen der t-online-Leserschaft hervorrief.
"Nahrung verkommt zu einem lieblosen Etwas"
Elisabeth Zimmer graut es vor der zunehmenden Automatisierung: "Ich suche noch, solange es möglich ist, Bedientheken und Kassen mit Menschen aus Fleisch und Blut auf – allein des Erhalts der Arbeitsplätze wegen." Sie habe keine Lust auf in Plastik abgepackte Massenware, die für ihr Empfinden nichts mehr mit Lebensmitteln zu tun habe.
"So verkommt unsere Nahrung immer mehr zu einem lieblosen Etwas, dem jede Esskultur verloren geht. Uns wird der 'gute Geschmack' abhandenkommen", befürchtet die t-online-Leserin.
"Der Prozess ist nicht mehr aufzuhalten"
"Schade ist das natürlich, aber der Prozess ist nicht mehr aufzuhalten", schreibt Rolf Kausemann, der selbst jahrzehntelang Betreiber eines Lebensmittelgeschäfts war. "Mitarbeiter zu finden, gerade im Bereich der Serviceabteilung, wurde immer schwieriger."
Das sei weniger eine Gehalts- als vielmehr eine Frage der ausgeweiteten Arbeitszeiten: "Mit der Veränderung der Ladenöffnungszeiten vor circa 30 Jahren fing dieser Prozess so langsam an und hat sich in den letzten Jahren drastisch verschlimmert."
"Es geht nicht nur die Beratung verloren"
Otto Klausmann mailt: "Beim Wegfall der Bedientheken geht nicht nur die Beratung verloren. Viel schlimmer ist die Tatsache, dass ich die verpackten Größen akzeptieren muss." Er lebe in der Nähe von München und berichtet, dass in seiner Nähe die Käsetheken den Verpackungen gewichen seien.
"Die Stücke sind zum Teil in Größen, die kein Mensch verbrauchen kann. Früher habe ich von verschiedenen Sorten nur 100 Gramm gekauft, jetzt sind es Packungsgrößen bis zu 200 Gramm. Insbesondere für Single-Haushalte ist das völlig hirnrissig." Er prangert die damit einhergehende Verschwendung und versteckte Preiserhöhung an, die ihn zwingen würden, mehr zu kaufen, als er benötige.
"Die Arbeitsbedingungen sind mies"
Irmgard Weiher gesteht: "Bis vor drei Monaten interessierte mich das Thema Bedientheke im Supermarkt wenig, weil ich Fleisch und Wurst beim Metzger kaufe." Das habe sich geändert, seitdem ihre Tochter hinter einer solchen Theke stehe. "Sie erfährt hautnah, warum kein Personal zu finden ist. Die Arbeitsbedingungen sind mies, die Bezahlung auch, und wenn man Pech hat: der Chef ebenso."
"Als Mensch, der versucht, sich einigermaßen verantwortungsbewusst zu verhalten, bevorzuge ich Selbstbedienungstheken", verrät Christian Michael. Denn er wolle zum Beispiel Informationen zur Haltungsform der Tiere erfahren, die aufgebahrt vor ihm liegen.
"An der Bedientheke müsste ich das alles erfragen, was nicht nur mir als Kunden lästig wäre. Bei abgepackter Ware muss das alles auf der Verpackung stehen. Davon abgesehen, sind die Zeiten leider längst vorbei, in denen man noch von wirklichem Fachpersonal beraten wurde."
"Schade, nur noch schade"
Joachim Clemens würde das Zwischenmenschliche vermissen: "Wenn man die Diskussion um Einsamkeit verfolgt, dann ist die Abschaffung von Bedientheken absolut kontraproduktiv. Ich bin seit 30 Jahren alleine und manchmal furchtbar einsam. So gehe ich an die Bedientheke, weil ich ein wenig schwätzen kann. Die Konversation ist zugegebenermaßen recht eingeschränkt, aber ich habe das Gefühl, wahrgenommen zu werden."
Gerade als alter Mensch könne er sich noch gut daran erinnern, wie interaktiv das Einkaufserlebnis sein konnte. Die derzeitige Entwicklung empfinde er als einsamkeitsfördernd und beschreibt sie als "schade, nur noch schade".
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