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Kreuzfahrtschiff der Superlative: Rostock baut Giganten für 9.500 Chinesen


So lang wie drei Fußballfelder
Rostock baut Kreuzfahrtschiff für 9.500 Chinesen

Von dpa-afx
Aktualisiert am 18.04.2019Lesedauer: 7 Min.
Kreuzfahrtschiff der Global Class: Je nach Kabinenbelegung, kann das Schiff bis zu 9.500 Passagiere aufnehmen.Vergrößern des Bildes
Kreuzfahrtschiff der Global Class: Je nach Kabinenbelegung, kann das Schiff bis zu 9.500 Passagiere aufnehmen. (Quelle: Hersteller-bilder)
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Platz für ganz Rothenburg ob der Tauber: In Mecklenburg-Vorpommern entsteht ein neues Kreuzfahrtschiff der Superlative. Es wird künftig vor allem Urlauber aus China beherbergen.

Langsam schwebt das riesige Stahlteil Richtung Dock. In der Halle der Werft in Rostock-Warnemünde fügen Schiffbauer aus Einzel-Segmenten den Rumpf eines Kreuzfahrt-Giganten zusammen. Was in der Urlaubsregion an der Ostsee heranwächst, wird von den Eignern als Global Class beworben – ein Koloss der Superlative, der auf dem Weltmarkt Maßstäbe setzen soll.

Wenn das Kreuzfahrtschiff 2021 erstmals auf Reisen geht, soll es in der Liga der ganz Großen mitspielen. So lang wie drei Fußballfelder, zwanzig Decks hoch. Ein insgesamt größeres Passagierschiff wurde in Deutschland noch nicht gebaut: Wenn die Kabinen voll sind, finden nach Angaben der Werft bis zu 9.500 Passagiere an Bord Platz. Dazu kommt eine Schiffsmannschaft von mehr als 2.000 Menschen. Bei dieser Bettenzahl könnten die Einwohner der fränkischen Kleinstadt Rothenburg ob der Tauber zusammen auf Kreuzfahrt gehen.

Doch der vom Schiffbauverbund MV Werften bebaute Gigant ist nicht für den heimischen Markt bestimmt. Auch in Fernost boomt mit wachsendem Wohlstand insbesondere in China die Kreuzfahrtbranche. Sehr zur Freude des malaysischen Konzerns Genting, der mit dem Betreiben von Casinos viel Geld verdiente, in Hotels und Energieanlagen investierte und mit der Übernahme renommierter US-Reedereien sein Engagement im Bereich der Passagierschifffahrt massiv erweiterte.

"Die Menschen reisen gern und suchen Erlebnisse. Da ist noch viel Platz für Wachstum", zeigte sich Konzern-Vorstandschef Tan Sri Lim Kok Thay schon vor drei Jahren sicher.

"Made in Germany" lockt

Die Expansionspläne stießen damals allerdings an Grenzen, weil Genting nach eigenen Angaben keine Werft fand, die schnell große Schiffe bauen konnte – schon gar nicht in der gewünschten Qualität. "Made in Germany" sei auch in Asien ein Maßstab, sagt Werft-Chef Peter Fetten. Er nennt damit einen wohl entscheidenden Grund, weshalb Genting seine Aufträge nicht an eine der großen Werften in Fernost vergab, sondern gezielt in Deutschland suchte.

Volle Auftragsbücher bei der Meyer Werft im niedersächsischen Papenburg, die auf den Bau von Kreuzfahrtschiffen spezialisiert ist, verhießen lange Wartezeiten.

So machte Genting aus der Not eine Tugend: Der Konzern aus Malaysia wurde selbst zum Werfteneigner – im strukturschwachen deutschen Nordosten, in Mecklenburg-Vorpommern. Er fertigt hier Schiffe, mit denen später auch Touristen aus China und anderen asiatischen Ländern rund um die Welt schippern sollen.

Für rund 230 Millionen Euro kaufte Genting 2016 die Werften in Wismar, Warnemünde und Stralsund. Sie zählten nach dem Ende der DDR zu den wenigen verbliebenen industriellen Kernen des Küstenlandes. Gezeichnet von mehreren Krisen, einer Vielzahl von Eigentümerwechseln und massivem Stellenabbau, boten die Werften dem asiatischen Unternehmen dennoch eine weitgehend funktionierende Infrastruktur. Es gibt genug erfahrene Schiffbauer, es existieren eingespielte Lieferströme.

Rettung in der Not

Das überraschende Angebot aus Fernost war eine Art Rettungsring für die drei ehemaligen Nordic-Werften, der schnell ergriffen wurde. Seit dem Einstieg von Genting wurde die Belegschaft auf nun 2.900 Mitarbeiter nahezu verdoppelt.

Die Schiffbauindustrie an der Ostsee blüht auf. Das sorgt für Freude bei Schiffbauern, die teilweise gezwungen waren, fern der Heimat oder in artfremden Berufen Arbeit anzunehmen. Sie können nun auf die Werften zurückkehren.

Auch Landeswirtschaftsminister Harry Glawe sieht den Schiffbaustandort Mecklenburg-Vorpommern wieder gefestigt. Er sei für den Konkurrenzkampf gegen Mitbewerber gewappnet. Die malaysische Genting-Gruppe habe mehr als eine Milliarde Euro in die MV Werften investiert und sich als verlässlicher Partner erwiesen. "Bislang wurden alle Absprachen eingehalten", konstatiert der 65-jährige CDU-Minister. Seine Vorgänger hatten schon ganz andere, nämlich negative Erfahrungen mit deutschen und russischen Eignern gemacht.

So ließ Genting in Wismar zunächst vier Flusskreuzfahrtschiffe bauen. Sie sind inzwischen auf deutschen Strömen unterwegs. In Stralsund entsteht derzeit eine große Luxusjacht für Expeditionen ins Eismeer. Trotz exorbitanter Preise sei die Nachfrage nach diesen Reisen enorm, berichtet ein Firmensprecher.

Und Warnemünde und Wismar sind die Orte, an denen Global Class I und später Global Class II gebaut werden. "Es war richtig, die Werften über die Jahre hinweg warm zu halten", gibt sich Minister Glawe überzeugt. Damit das Bundesland mehr als eine boomende Tourismusindustrie und die Landwirtschaft aufweisen kann.

In der Politik hatte das malaysische Engagement anfangs Skepsis und Argwohn ausgelöst. Inzwischen scheint Vertrauen gewachsen: Land und Bund erklärten sich bereit, für den Bau der beiden Ozeanriesen Kreditbürgschaften über insgesamt 750 Millionen Euro zu übernehmen.

Perfektion bei jedem Bauschritt

Auf der Werft in Warnemünde wird ein nächstes Stahlsegment langsam vom Kran herabgelassen. Wenige Meter weiter sind Arbeiter damit beschäftigt, in einem bereits montierten Schiffsteil Abwasserrohre zu verlegen. Die Arbeitsschritte sind genau aufeinander abgestimmt. Auch wenn ab und an laute Hammerschläge durch das Dock hallen, ist Schiffbau heute Millimeterarbeit. Der Kranfahrer muss jedes der 110 Tonnen schweren Bauteile so in Position bringen, dass exakte Anschlüsse an bereits gesetzte Sektionen hergestellt und perfekte Schweißnähte möglich sind.

In Rostock-Warnemünde entsteht das gut 250 Meter lange Mittelschiff. Es wird später ins nahe Wismar geschleppt, wo Bug und Heck montiert werden.

60.000 Tonnen Stahl werden verbaut

Die exakten Daten des fertigen Schiffes gehen dem 57-jährigen Schiffbauingenieur Klaus Paschen mitten im Lärm der Stahlarbeiten leicht über die Lippen: 342 Meter lang und vom Kiel bis zum Schornstein 60 Meter hoch. "Bis zu 60.000 Tonnen Stahl werden verbaut." Der Eiffelturm wiege 10.000 Tonnen, erläutert der in Warnemünde für die Dockmontage zuständige Paschen.

In der Nähe der Schwesterwerft in Wismar läuft unterdessen die Fließbandproduktion für die Schiffskabinen an. Dafür hatte Genting einer Solarfirma eine nicht mehr benötigte Produktionshalle abgekauft. Sie wurde um ein Lager ergänzt. 3.700 Kabinen würden hier für jedes der Global-Class-Schiffe gebaut, sagt Manager Johannes Gößler. Als erstes entstehen die neun Quadratmeter großen Vier-Mann-Kabinen für die Schiffsbesatzung. Sie sollen von Juni an serienmäßig in Rostock im unteren Teil des Schiffes eingepasst werden.

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"Die Abläufe sind klar terminiert. Die Kabinen müssen just in time geliefert werden. Das wollten wir selbst in der Hand behalten", erläutert Gößler. Also habe Genting den Auftrag nicht an ausländische Zulieferer vergeben.

Auch die knapp 20 Quadratmeter großen Standard-Kabinen werden hier gebaut, in denen eine vierköpfige Familie gut wohnen könne. In der Nasszelle kämen Armaturen eines deutschen Markenherstellers zum Einsatz. "Made in Germany. Das ist dem künftigen Betreiber wichtig, denn er weiß, dass seine Kundschaft darauf Wert legt", sagt Gößler.

Milliardenkosten

Knapp 140 Mitarbeiter sind inzwischen mit dem Kabinenbau beschäftigt. Viele von ihnen waren aus Mangel an gut bezahlten Jobs zu Berufspendlern geworden, arbeiteten in Niedersachsen und Hamburg. So wie Matthias Hasse aus Grabow südlich von Schwerin. Er war lange Jahre auf der Werft in Papenburg tätig und kam deshalb meist nur an Wochenenden heim. "Jetzt bin ich jeden Abend zu Hause. Das ist schon etwas anderes", berichtet der 46-Jährige. Eine Erfahrung, die viele seiner Kollegen machen, im Kabinenbau wie auf den Werften selbst.

Bislang plant Genting zwei solche Riesenschiffe. Zunächst war in der Branche von Fertigungspreisen von jeweils 1,3 Milliarden Euro gesprochen worden. Inzwischen ist von 1,6 Milliarden die Rede.

"Wir haben eine Riesenehrfurcht vor den Dimensionen des Projekts", sagt der Rostocker Schiffbauingenieur Paschen. Die Hände tief in den Hosentaschen verborgen, ist ihm diese Ehrfurcht kaum anzumerken. Alles ist riesig. Das macht der Gang durch den Rohbau deutlich. Die rund 600 Arbeiter, die an Bord sind, verlieren sich im Raum. Der Dauerlärm ist Indiz des Fortschritts. Auch hier gilt: Genau im Zeitplan, wie Paschen betont. Stück für Stück wächst das Schiff. Fast wie Lego im Großen.

Konkurrenz aus China im Nacken

Allen ist bewusst, wie immens die Aufgabe für MV Werften ist. Schiffbauer und Konstrukteure hatten in der Vergangenheit ihre Erfahrungen vor allem mit dem Bau großer Frachtschiffe gemacht. Nun Kreuzfahrtschiffe – und das in Dimensionen, für die die Schiffbauhallen kaum ausreichten. "Dass das alles erfolgreich wird, ist keineswegs selbstverständlich", sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik, Reinhard Lüken. Die Ziele seien ambitioniert. Andere Werften hätten für solche Umbrüche Jahrzehnte gebraucht.

Er habe jedoch keine Veranlassung, am aktuellen Erfolg zu zweifeln, sagt Lüken. Er führt zwei wesentliche Punkte an, die sich Genting als neuer Eigner zunutze mache: Er habe Leute mit viel Erfahrung übernehmen können. "Die kann man nicht einfach so herbeizaubern." Zudem gebe es Hunderte Zulieferer, die alle wüssten, was sie wann zu machen haben. Dennoch werde es für die MV Werften nicht einfach, auf Dauer gegen die Konkurrenz in Fernost zu bestehen. In China interveniere der Staat und subventioniere die Werften. "Chinesen wollen überall die Nummer eins sein", sagt Lüken. Und das setzten sie mit allen Mitteln um.

Für den Betriebsratschef passt alles

Harald Ruschel weiß ein Lied von den Aufs und Abs der Werften zu singen. Der kantige Arbeiter und Betriebsratschef arbeitet seit 1979 auf der Warnemünder Werft. "Nach der Wende gab es viele Tiefs, die Arbeit der Betriebsräte bestand hauptsächlich darin, Sozialpläne aufzustellen." Vulkan, Kvaerner, Aker, Wadan, Nordic, P+S – all diese Firmennamen markieren drei Jahrzehnte Werft-Geschichte in Mecklenburg-Vorpommern. Und an viele Namen waren für das ganze Land große Hoffnungen geknüpft, die sich nicht dauerhaft erfüllten.https://www.t-online.de/leben/reisen/kreuzfahrten/id_83392762/die-besten-spartipps-fuer-ihre-kreuzfahrt.html


Als Beispiel nennt Ruschel den russischen Investor Witali Jussufow, der letztlich am Russland-Embargo in Folge des Ukraine-Konflikts scheiterte und auch mit dem Bau großer Umspannplattformen für Offshore-Windparks kaum Ertrag erzielte. Jussufow habe die Werft aber am Leben erhalten. "Wir sind ihm heute noch dankbar, dass er das so gut hinbekommen hat", sagt Ruschel.

Die Beschäftigten seien von Genting übernommen worden – und die neuen Besitzer erwiesen sich als eine gigantische Chance. "Wir haben Aufträge für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Da ist schon mächtig viel Zukunft dahinter", betont Ruschel. Da wirkt der kernige Mecklenburger mit dem grauen Oberlippenbart fast gerührt. Auch Werftchef Peter Fetten ist sich sicher, dass Genting noch viel vor hat auf den Werften in Mecklenburg-Vorpommern: "Wir sind nicht hier, um nur ein paar Schiffe zu bauen."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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