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Stürze, Verletzungen, Vergiftungen: Eltern machen Schreckliches durch.


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Verletzungen, Vergiftungen, Stürze
Der schmale Grat zwischen Glucken und Gelassenheit

MeinungVon Larissa Koch

17.04.2018Lesedauer: 4 Min.
Kinder auf einem KlettergerüstVergrößern des Bildes
In schwindelnder Höhe auf dem Klettergerüst: Die Katastrophe ist oft näher, als man denkt. (Quelle: Krista Long/getty-images-bilder)

Eltern produzieren jede Menge Adrenalin, denn ständig fürchten sie um Leib und Leben ihrer Kinder.

In den ersten Monaten können frisch gebackene Eltern gar nicht anders: Laufend sehen sie nach, ob der kleine Wurm überhaupt noch atmet. Die Sorge, es könnte etwas passieren, ist Dauergast in den Schlafzimmern von jungen Eltern. Und vom Säuglingsalter angefangen, müssen wir Eltern stets mit Gefahren rechnen. Immer wieder durchleben wir brenzlige Situationen.

Als ich mal mit meiner vier Monate alten Tochter im Bett lag, schlief ich beim Stillen ein und wachte durch ein lautes Geräusch und ihr bitterliches Weinen auf. Sie war vom Bett gekullert und mit dem Köpfchen auf die Dielen geknallt. Da steigt Panik auf. Schädelbruch, innere Blutungen? Es blieb bei einem Schreck.

Als sie fast ein Jahr alt war, vollzog sie im Straßencafé auf dem Schoß sitzend kraftvoll eine klappmesserartige Bewegung. Da war kein Halten mehr. Mit einem Kopfsprung stürzte sie auf den Asphalt. Geschrei, Panik, Kopfverletzung, ein völlig apathisches Baby, Schock, Rettungswagen, 12 Stunden Überwachung der Vitalfunktionen im Krankenhaus. Am nächsten Tag: Entwarnung! Noch mal gut gegangen. Solche und ähnliche Situationen erleben Eltern zuhauf, und diese Erfahrungen sind regelrecht traumatisch.

Nicht jeder Unfall ist vermeidbar

Unser Kinderarzt, Dr. Jakob Maske, der auch Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte ist, sagt, Eltern lassen ihre Babys zu oft allein. Im Glauben etwa, der Säugling könne sich noch nicht umdrehen, gehen sie aus dem Zimmer und lassen ihn auf dem Wickeltisch liegen, um schnell die Tür zu öffnen oder ans Telefon zu gehen. Rums, dann ist es passiert. Irgendwann ist eben immer das erste Mal und das Baby konnte sich plötzlich doch schon drehen. Solche Geschichten hören Kinderärzte oft und raten deshalb dazu, Babys nicht allein zu lassen, wenn das Umfeld nicht hundertprozentig sicher ist.

Und das Gitterbett ist es keineswegs. Auch hier passieren viele Unfälle, sagt Dr. Maske. Denn die Kleinen klettern gern heraus. Ich werde nie vergessen, wie mein Anderthalbjähriger in seinem weißen Schlafsack auf mich zugelaufen kam, wie ein Gespenst. Dabei wähnte ich ihn längst schlafend, sicher eingepackt in seinem Stoffgefängnis im Gitterbett. Was sollte da passieren? Wie ein Pinguin watschelte er durch den langen Flur und grinste stolz. Mir war nicht klar, dass es möglich ist, in einem Schlafsack zu laufen. Wir unterschätzen unsere Kinder regelmäßig.

Neues Alter, neue Ängste

Jedes Kindesalter bringt neue Elternängste mit sich. Ebenfalls ein sehr häufiger Grund für Unfälle mit Kopfverletzungen ist der fehlende Helm beim Laufrad- oder Fahrradfahren, sagt unser Kinderarzt. Eltern unterschätzen auch hier das Tempo und die möglichen Folgen. Jeder, der ein Laufradkind hat oder hatte, kennt die Schockmomente, wenn der oder die Kleine – zu Fuß maximal drei Stundenkilometer schnell – plötzlich losrast, Richtung Straße. Der Horror! Da wächst man über sich hinaus. Schade, dass da keiner die Zeit stoppt. So schnell war man noch nie.

Angst, Schweiß und Tränen

Die meisten Unfälle passieren in der Grundschule und im häuslichen Umfeld, erklärt Jakob Maske. Platzwunden und umgeknickte Füße seien besonders häufig. An zweiter Stelle stehen Unfälle im Straßenverkehr. Laut Statistischem Bundesamt sind bei Ein- bis Vierjährigen Verletzungen der zweithäufigste Grund für die Einweisung in ein Krankenhaus. Bei Schulkindern im Alter von 5 bis 14 Jahren sind Verletzungen und Vergiftungen der Hauptgrund, warum sie in die Notaufnahme kommen. Und manchmal ist es eben doch denkbar schlimm, und Kinder kommen zu Tode. Deutschland rangiert hier im europäischen Vergleich im unteren Drittel. Die wenigsten Todesfälle der Ein- bis 14-Jährigen hat Großbritannien zu beklagen, auf Platz zwei liegt Italien. Sogar in Kroatien und Ungarn sterben weniger Kinder als in Deutschland.

Die fünf häufigsten Todesursachen bei Kindern in Europa sind laut der Vereinigung EuroSafe Ertrinken, Stürze aus der Höhe, etwa von Gebäuden, Feuer, Unfälle im Straßenverkehr und tätliche Gewalt. Diese Gründe machen allein zwei Drittel aller tödlichen Verletzungen aus. "Diese Todesursachen sind als vermeidbar bekannt, wenn Eltern ihr Sicherheitsverhalten verbessern, Rückhaltesysteme in Pkw breiter angewandt, Schwimmbäder umzäunt, Rauchmelder in Wohnungen installiert und Fensterriegel angebracht werden", so das Fazit der Autoren des Berichts.

Wachsam und gelassen – ein schmaler Grat

Noch sind meine Kinder fünf und sieben Jahre alt. Das heißt, wir haben noch einige Verletzungen und Unfälle vor uns – rein statistisch. Und es ist ein verdammt schmaler Grat, das richtige Maß zu finden zwischen von Angst getriebener permanenter Überwachung und Zutrauen. Bleibe ich sitzen, wenn meine Kinder in schwindelerregender Höhe auf dem Klettergerüst herumturnen, oder stelle ich mich drunter, und gebe mich der Illusion hin, ich könnte sie sicher auffangen?

Aufgeschürfte Knie, Schnittwunden und ähnliche Bagatellunfälle gehören einfach dazu, auch damit Kinder ihre eigenen Fähigkeiten und Kräfte selbst einschätzen lernen. Bis sie groß sind und man in die nächste Sorgenstufe aufsteigt (Drogen, ungewollte Schwangerschaften, Ausbildungsabbrüche), gibt es wohl nur ein Rezept: Wachsam bleiben, Gefahren eindämmen, Kinder für Risiken sensibilisieren und gleichzeitig gelassen bleiben, sonst frisst einen die Angst noch auf.

Larissa Koch ist Redakteurin bei t-online.de und hat zwei Kinder im Alter von fünf und sieben Jahren. In ihrer Kolumne "Der ganz normale Wahnsinn" beschreibt sie regelmäßig, was Eltern durchmachen müssen oder dürfen – je nachdem.

Verwendete Quellen
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