Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Handyalarm! Ich gestehe, ich bin süchtig
Was wäre ich ohne mein Smartphone? Bei meinem derzeitigen Nutzungsverhalten wäre ich eine andere Person. Ich könnte nicht mehr unterwegs recherchieren, keine Nachrichtenseiten mehr lesen, keine SMS mehr schreiben und müsste meine To-Do-Listen unterwegs mithilfe eines Zettels auf fremden Rücken zu Papier bringen – nichts wäre mehr so, wie es gerade ist.
Aber gleichzeitig fühle ich mich diesem Gerät massiv ausgeliefert und frage mich: Kann ich so noch ein gutes Vorbild für meine Kinder sein? Werden die auch so? Eine ganze Elterngeneration begegnet ihrem Nachwuchs mit einem fortwährend gestreckten Handyarm. Immer in Bereitschaft, einen hübschen Schnappschuss zu machen, der dann neben Tausenden (bald sind es Millionen) anderen Fotos auf unseren Festplatten landet. Wir sind inzwischen unser eigener Big Brother geworden – mit der permanenten Dokumentation und Überwachung des eigenen Lebens.
Selbst Omas machen mit
Die Gegenwart muss nicht nur laufend dokumentiert, sondern auch mit anderen geteilt werden. Selbst Omas machen mit und freuen sich über Bildchen in der Familien-Whatsapp-Gruppe – gesendet in Echtzeit noch aus der Kita-Theatervorführung heraus. Ich bin in guter Gesellschaft. Links und rechts von mir strecken 30 andere Eltern wie ferngesteuert ihre Arme Richtung Bühne und filmen das Geschehen. Die echten Augen sehen schon nicht mehr richtig hin. Ist ja auch nicht nötig. Es wird ja alles festgehalten. Bis in alle Ewigkeit. Der Applaus kommt verzögert. Erst muss das Handy weggesteckt werden. Zumindest kurz.
Und ewig vibriert die Botschaft
Das Smartphone hat viele von uns vollkommen unter Kontrolle. Permanent halten wir diese Lebenshilfe in der Hand und wenn nicht, tasten wir Jacken- oder Gesäßtasche danach ab und holen es wieder hervor, solange es noch warm ist. Ist es mal nicht sofort da, erleiden wir halbe Herzinfarkte. Ich schaffe es kaum, die wenigen Minuten in der Schule beim Bringen oder Abholen meiner Tochter das Ding in der Tasche zu lassen, weil es schon wieder vibriert oder mir einfällt, dass ich unbedingt einen Termin eintragen muss.
Wenn das kein Suchtverhalten ist
Und schnell schaue ich drauf, ob's was Wichtiges ist, und missachte damit das Handyverbot, das in der Schule gilt. Nur ganz kurz, sieht ja grad keiner. Wenn das kein Suchtverhalten ist! Tja, aber ich bin schon von Berufs wegen an dieses Ding gefesselt. Ich muss schauen, was wir schreiben, was die anderen schreiben, bekomme täglich Eilmeldungen auf mein Smartphone geschickt, Twitternachrichten, um die Debatten in den sozialen Netzwerken zu verfolgen, und und und. Eine Journalistin ohne diese Anbindung kann einpacken. Aber, da mache ich mir nichts vor, selbst wenn ich den ganzen berufsbedingten Kram abziehen würde, hinge ich immer noch unzählige Minuten und Stunden am Handy. Und möchte ich, dass meine Kinder das, sobald sie selbst eins haben, auch tun? Wir könnten uns dann von Sofakante zu Sofakante Nachrichten schreiben. Eine Horrorvorstellung!
Ist das schon krank oder noch normal?
Ich befinde: Es ist krank. Aber was ist die Alternative? Ich liebe mein Handy. Es ist ein Fenster zur Welt! Ich kann an der Ampel stehen, die Telefonnummer meines Lieblingsitalieners recherchieren und für den Abend noch schnell einen Tisch reservieren oder einen Windhund googeln, weil mein Sohn mich gerade gefragt hat, ob der Dackel da vorne ein Windhund ist. Ich zeige ihm sofort, wie der tatsächlich aussieht. Was für ein Luxus, welch ein Horizont und welch eine Zeitersparnis! Einerseits. Und andererseits: Die halbe Gesellschaft ist smartphonesüchtig und verbrät Stunden ihrer Zeit im virtuellen Raum.
Lebst du noch oder googelst du schon?
Telefoniert wird kaum noch, dafür kommuniziert man über Facebook, Twitter und Co. Besonders Jugendliche sind massiv betroffen, wie die Krankenkasse DAK gerade herausgefunden hat. Die große Mehrheit der Jugendlichen (85 Prozent) ist laut der Studie täglich rund drei Stunden in sozialen Medien unterwegs. Etwa 100.000 Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren zeigen ein Suchtverhalten bezogen auf soziale Medien. Die Folgen sind Schlafmangel, Realitätsflucht und Ärger mit den Eltern. Sie leiden zudem unter Entzugserscheinungen wie Gereiztheit, Unruhe oder Traurigkeit, wenn das Handy oder andere Empfangsgeräte nicht in der Nähe sind. Ein paar Jahre bleiben mir noch, bis mir das bei meinen eigenen Kindern droht. Und ich biete ihnen beste Voraussetzungen dafür, in meine Suchtstapfen zu treten. Wird wieder mal Zeit, das Ganze zu überdenken. Ich google direkt mal, was ich da machen kann.
Larissa Koch ist Redakteurin bei t-online.de und hat zwei Kinder im Alter von fünf und sieben Jahren. In ihrer Kolumne "Der ganz normale Wahnsinn" beschreibt sie regelmäßig, was Eltern durchmachen müssen oder dürfen – je nachdem.