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Erdüberlastungstag: Seit Mai lebt Deutschland auf Pump


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Erdüberlastungstag
Seit Mai lebt Deutschland auf Pump


Aktualisiert am 03.06.2022Lesedauer: 5 Min.
Die Erde hat natürliche Grenzen. Doch die Weltbevölkerung wirtschaftet so, dass die ökologisch verkraftbaren Emissionen und nachhaltig verfügbaren Ressourcen weit vor Jahresende überstiegen werden.Vergrößern des Bildes
Die Erde hat natürliche Grenzen. Doch die Weltbevölkerung wirtschaftet so, dass die ökologisch verkraftbaren Emissionen und nachhaltig verfügbaren Ressourcen weit vor Jahresende überstiegen werden. (Quelle: Thomas Vonier/imago-images-bilder)

Nur vier Monate hat es gedauert, um die Jahresration an Lebensmitteln, Energie, Holz, Papier, Bauland und CO2-Emissionen zu verbrauchen. Von jetzt an muss die Bundesrepublik anschreiben lassen. Auf Kosten aller.

Es ist zwar erst Mai, doch in gewissem Sinne ist 2022 bereits vorbei. Denn: Vom 1. Januar bis Anfang dieses Monats haben die Bevölkerung und die Industrie in Deutschland so viele natürliche Ressourcen verbraucht, wie bei nachhaltiger Nutzung noch bis Ende Dezember reichen würden.

Nun rutscht die Bilanz des Umweltkontos ins Minus. Was während des restlichen Jahres noch gegessen, verheizt, verbaut, verfüttert, verfeuert und als CO2 in die Luft gepustet wird, nagt an der Substanz des Planeten. Um darauf aufmerksam zu machen, wird jährlich der "Erdüberlastungstag" ausgerufen; je nach Ressourcenhunger eines Landes liegt dieser früher oder später im Jahresverlauf.

Der Stichtag für Deutschland fällt in diesem Jahr auf den 4. Mai, wie das "Global Footprint Network" berechnet hat. Das heißt: Würde die Weltbevölkerung so leben wie die Menschen zwischen Norddeich und Mittenwald, zwischen Selfkant und Neißeaue, wären die natürlichen Rohstoffe, die die Erde im Laufe eines Jahres zur Verfügung stellen kann, bereits aufgebraucht. Man bräuchte drei Erden, um diese enorme Nachfrage zu decken.

18 Millionen Tonnen verschwendete Lebensmittel

"Der Welterschöpfungstag verdeutlicht einmal mehr, wie sehr wir über dem Limit leben, unsere knappen Ressourcen vergeuden und wie schlecht wir unsere Ökosysteme weiter behandeln", sagt Christoph Heinrich, Vorstand für den Bereich Naturschutz bei der Umweltschutzorganisation WWF Deutschland.

Er nennt drei Zahlen, um exemplarisch zu zeigen, wie viel gerade in Deutschland noch zu tun ist: "Wir liegen weltweit auf Platz 11 beim Pro-Kopf-Ausstoß energiebedingter CO2-Emissionen, exportierten vergangenes Jahr über 700.000 Tonnen Plastikmüll ins Ausland und verschwenden im Jahr rund 18 Millionen Tonnen Lebensmittel." Heinrich fordert die Bundesregierung daher auf, ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag schnellstmöglich einzulösen: Ökologisches Handeln müsse alsbald in den politischen Fokus rücken.

Der Termin des Erdüberlastungstages wird jährlich mithilfe von Daten der Vereinten Nationen für einzelne Länder ebenso wie für den gesamten Planeten festgelegt. Die Berechnung des jeweiligen Zeitpunkts ist an das Konzept des ökologischen Fußabdrucks angelehnt.

Dieser gibt an, wie viel Fläche benötigt wird, um alle Ressourcenbedürfnisse zu gewährleisten – inklusive der Energieversorgung. Dann ist die Frage: Wie viel Natur wird verbraucht und wie viel steht bei nachhaltiger Nutzung zur Verfügung? Hier tut sich nicht nur in Deutschland ein großes Defizit auf.

Negative Ökobilanzen vor allem in Industrieländern

So hat beispielsweise Luxemburg die Schwelle zum Raubbau an der Natur bereits am 14. Februar überschritten, in den USA war der Stichtag in diesem Jahr der 13. März und selbst in Schweden läuft die Ökobilanz seit 3. April in den Minusbereich.

Frankreich erreicht den Erdüberlastungstag kurz nach Deutschland, am 5. Mai, während Staaten wie die Türkei (22. Juni), Brasilien (12. August) und Ägypten (11. November) länger mit den natürlichen Ressourcen haushalten können, die ihnen rechnerisch zustehen. Doch längst nicht jedes Land schlägt über die Stränge.

Von insgesamt 188 Staaten bleiben 50 innerhalb der natürlichen Grenzen des Planeten, unter anderem Pakistan, Indien und Madagaskar. Zwar sagt dies mehr über die Armut der dortigen Durchschnittsbevölkerung aus als über gezielt nachhaltiges Leben und Wirtschaften.

Dennoch ist es interessant zu sehen, wer die Umweltschulden der reicheren Länder mittragen muss. Wie rasant diese ansteigen, zeigt das stete Vorrücken des weltweiten Erdüberlastungstages im Kalender.

Jedes Jahr kommt der Kipppunkt früher

Lag der globale Mahntag zur Ressourcenüberlastung in den 1970ern tatsächlich noch am Jahresende, war er Anfang der 2000er bereits im November angekommen. Inzwischen liegt er im Hochsommer: Vergangenes Jahr fiel der Erdüberlastungstag auf den 29. Juli, demnach hat die Menschheit 2021 das 1,6-fache dessen verbraucht, was die Erde nachhaltig an natürlichen Ressourcen bereitstellen kann.

Für 2022 sind Datum und Höhe des weltweiten Überverbrauchs noch nicht bekannt. Wie eng globales Wirtschaften und die extreme Beanspruchung der Natur zusammenhängen, wurde zuletzt besonders in der ersten Zeit der Pandemie noch einmal deutlicher.

Die Ruhe der Lockdowns brachte 2020 nicht nur Delfine in den Bosporus zurück, ließ Wildschweine durchs israelische Haifa laufen und Flamingos nach Albanien zurückkehren. Auch die Übernutzung der Natur entspannte sich ein wenig – die Erdüberlastungstag fiel auf Ende August zurück. Im Jahr darauf lag das Datum dann bereits wieder im Juli.

Nicht nur eine Gefahr für die Natur

Auch wenn die Erdüberlastungstage eher wie ein Rechenspiel als ein Politikum anmuten mögen: Sie sind ein anschaulicher Hinweis darauf, wie sehr die Menschheit an dem Ast sägt, auf dem sie sitzt.

Denn überfischte Meere, überdüngte Äcker, kahlgeschlagene Wälder, fortschreitende Flächenversiegelung und hohe Treibhausgasemissionen trotz Klimakrise setzen nicht nur der Natur zu.

Letztlich gefährdet die Plünderung der Erde auch den wirtschaftlichen Wohlstand der Wirtschaft und Gesellschaft. Der Mahntag zeigt: Noch mehr als in vielen anderen Länder lebt die Bevölkerung in Deutschland auf Pump, der Schuldenberg wächst von Tag zu Tag. Ohne Ausweg ist dieser Zustand jedoch nicht.

Den Überlastungstag nach hinten schieben

Je später im Jahr der Erdüberlastungstag liegt, desto näher rückt der Verbrauch an die Menge der vorhandenen natürlichen Ressourcen, die nachhaltig genutzt werden können: Angebot und Nachfrage nähern sich an, das ökologische Defizit schrumpft.

Um den Mahntag im Kalender aktiv nach hinten zu schieben, bieten sich besonders die zentralen Maßnahmen an, die im Kampf gegen die Klimakrise am wichtigsten sind: der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas sowie der schnelle Ausbau erneuerbarer Energien. Allerdings dürfte dies allein nicht reichen, um Natur und Wirtschaft in Einklang zu bringen.

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"Neben die Effizienz-Revolution muss in den Industrieländern eine Suffizienz-Revolution treten also tatsächlich weniger Verbrauch von Rohstoffen, Energie und Fläche", heißt es beispielsweise seitens der Umweltschutzorganisation BUND. Das kann auch schon im Kleinen geschehen.

Kleine Veränderungen im Alltag mit großer Wirkung

Neben der Berechnung des Erdüberlastungstages bietet das "Global Footprint Network" Tipps, wie der eigene Alltag ressourcenschonender wird. Dabei können schon kleine Veränderungen zu Hause großen Einfluss auf die weltweite Ökobilanz haben, wenn alle mitziehen:

  • Einkaufen: Hauptsächlich saisonale Lebensmittel aus der Heimatregion zu essen, würde den Erdüberlastungstag 1,6 Tage nach hinten rücken.
  • Kleidung: Hosen, Pullover und andere Kleidungsstücke besser zu pflegen und länger zu tragen, könnte das Öko-Defizit um 5 Tage verkleinern.
  • Mobilität: Der Wechsel vom Auto aufs E-Rad oder Lastenrad würde die natürlichen Ressourcen der Erde insgesamt knapp 5 Tage länger reichen lassen.
  • Ernährung: Unnötige Lebensmittelabfälle zu halbieren, würde 13 Tage zum Ressourcen-Budget hinzufügen. Den eigenen Fleischkonsum zu halbieren, könnte zusätzlich 7 Tage beisteuern bereits durch einen fleischfreien Tag pro Woche ließen sich 1,8 Tage gewinnen.
  • Leihen statt Kaufen: Wer sich Bohrer, Leiter und Astsäge beim Nachbarn oder einer Werkzeugbörse leiht, kann helfen, den Erdüberlastungstag bis zu 3 Tage nach hinten zu schieben.
  • Haushaltsgeräte: Der Ersatz von Stromfressern durch energieeffiziente Kühlschränke, Waschmaschinen und Co. kann rund 6 Tage zur grünen Schuldenfrist hinzufügen. Lässt man die Wäsche an der Luft statt maschinell trocknen, trägt man dazu bei, den ökologischen Stichtag weitere 1,3 Tage zu versetzen.

Auch für Dienstreisen, Hausbau, Heizungsersatz, Einrichtung und Carsharing gibt die Initiative praktische Tipps für einen positiveren Umgang mit natürlichen Ressourcen. Gleichzeitig machen die Initiatoren des Erdüberlastungstages aber auch klar: Die größte Verantwortung für die hohen ökologischen Schulden der Welt tragen nicht die Verbraucher.

Vor allem politisch müssten die Weichen dringend auf nachhaltiges Wirtschaften gestellt werden. Es geschehe immer noch zu wenig, es werde nur kurzfristig geplant, so die Experten des "Global Footprint Networks". "Dieser Weg führt im Kontext zunehmenden Klimawandels und Ressourcenknappheit unweigerlich zu unkalkulierbaren wirtschaftlichen Risiken." Nachhaltiger Wohlstand erfordere Kreativität und Einfallsreichtum.

Verwendete Quellen
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