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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erste Klima-Demo bei COP26 Frust und Wut auf den Straßen von Glasgow
Wer bei den Demonstrationen in Glasgow marschiert, gehört meist nicht zu den geladenen Gästen der Weltklimakonferenz. Die Verzweiflung ist größer, die Wortwahl derber und die Kritik sehr viel schärfer.
Aus den Boxen schallt Techno-Musik, viele Demonstranten haben sich heiser geschrien, über den Köpfen kreist ein Helikopter. Die Klimademo in Glasgow hätte eine von vielen sein können, schließlich ist Freitag – der etablierte Streiktag der Fridays-For-Future-Bewegung. Der Unterschied bei diesem Protest: Die Aktivistinnen und Aktivisten sind nicht die ersten, die diese Woche Weltuntergangsszenarien heraufbeschwören.
Seit sechs Tagen findet in Glasgow die Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen statt. Die Sorge vor einer apokalyptischen Klimakatastrophe reicht dort inzwischen bis in die Spitze. "Wir graben unser eigenes Grab", warnte UN-Generalsekretär António Guterres die internationale politische Elite zum Auftakt der zweiwöchigen Konferenz.
Die meisten der rund 10.000 Demo-Teilnehmer in der Innenstadt gehen jedoch nicht davon aus, dass den drastischen Worten auch drastische Taten folgen werden. Viele von ihnen teilen die Kritik von Greta Thunberg, die Klimakonferenz sei ein "zweiwöchiges Fest des Blablabla".
Enttäuschung über aufgeweichte Versprechen
"Es ist extrem wichtig, dass wir heute mit so vielen Leuten auf der Straße sind", sagt Liam. "Nur so können wir den Politikern und Verhandlern drüben bei der Konferenz Druck machen." Er ist 31 Jahre alt, kommt aus Glasgow und engagiert sich sonst vor allem für bezahlbaren Wohnraum in Schottlands größter Stadt.
"Die Klima-Versprechen, die zahlreiche Staaten am Anfang der Woche gemacht haben, bröckeln schon jetzt", so Liam. Er hat teils recht: Indonesien rudert bereits beim Schutz des Regenwaldes zurück; die Zusage, die das Land vor wenigen Tagen vor den Augen der Welt gemacht hat – vergessen. "Das zeigt doch, dass wir alle aufpassen müssen, damit die Politik sich nicht um tatsächlichen Klimaschutz drückt", findet Liam.
Misstrauen gegenüber der Polizei
An jeder Kurve wartet schon die Polizei auf den Protestzug, flankiert die langen Straßen. Zusätzlich scheinen sich zahlreiche Beamten in Zivil unter die Menge zu mischen. Männer mit Knopf im Ohr, die die Menge im Auge behalten. Insgesamt sind bis zu 10.000 Einsatzkräfte aus ganz Großbritannien in der Stadt, um die Klimakonferenz abzusichern.
Schon vor Beginn des Protests gingen Tipps zum Umgang mit der Polizei auf WhatsApp und Twitter um. Auf keinen Fall solle man mit den Beamten sprechen, deren blaue Westen sie eigentlich als Ansprechpartner für Teilnehmer erkenntlich machen. Die Aktivisten sind misstrauisch, befürchten ausspioniert zu werden. Ganz unbegründet ist ihre Vorsicht nicht.
Vor einigen Monaten hat die konservative Regierung von Boris Johnson bereits die Regeln für Versammlungen verschärft. In der britischen Presse war von einem "Anti-Demo-Gesetz" zu lesen.
Proteste können nun aufgelöst werden, wenn sie zu viel Lärm machen oder die öffentliche Ordnung stören – was das im Einzelfall heißen mag, liegt im Ermessen des jeweiligen Einsatzkommandos. Demonstranten können bei Verstößen gegen Auflagen leichter vor Gericht gestellt werden, die Höchststrafe beträgt nun ein Jahr Gefängnis.
"Die schottische Regierung hat keine Kontrolle über den Polizeieinsatz rund um die Klimakonferenz", sagt Douglas. Das ärgert ihn. Er ist einer der Ältesten, die heute in der Innenstadt unterwegs sind. Der 77-Jährige unterstützt die Menge vom Straßenrand her, wo er Anstecker mit weißen Mohnblumen verteilt, dem Symbol der Friedensbewegung in Großbritannien.
Mit seinem Engagement gegen Militär und Waffenindustrie erklärt Douglas auch seine Begeisterung für die meist viel jüngeren Klimaaktivisten. „Kriege und die Herstellung von Waffen haben einen enormen CO2-Fußabdruck. Ganz zu schweigen von all dem Leid und Elend, die dadurch entstehen.“
Er ist davon überzeugt, dass die vielen Proteste der Klimabewegung etwas bewirken. "Das schockt die Politik einfach, da müssen die doch reagieren." Beim Gedanken an den politischen Einfluss der Gas-, Öl- und Kohlelobbyisten hält er kurz inne und sagt dann: "Die jungen Leute wissen, wie viel gelogen wird und werden darauf bestehen, dass es nicht bei leeren Versprechen bleibt."
Pessimismus durchtränkt die Stimmung
Tatsächlich ist die 26. Klimakonferenz die erste, bei der die fossile Brennstoff-Industrie keine offizielle Rolle innehat. Der Grund: Die ausrichtende britische Regierung wollte nicht recht glauben, dass BP, Total, Exxon und Co. ihre Zusage sonderlich ernst nehmen, klimaneutral zu werden. Jahrelang hatten Beobachter und Nichtregierungsorganisationen kritisiert, dass einige der größten Öl-, Gas- und Kohlekonzerne bei zahlreichen Klimakonferenzen als Hauptsponsoren in der ersten Reihe standen.
Cy und Amber stimmt das Gesamtbild der Klimakonferenz dennoch eher pessimistisch. Die beiden sind Mitte zwanzig, für sie ist es nicht die erste Demo. Für ihren neuen Hund schon. "Keine Grünfärberei mehr" steht auf dem Pappschild, das sie ihm umgebunden haben.
"Klimaschutz ist mir sehr wichtig, aber ehrlich gesagt habe ich keine große Hoffnung, dass die Konferenz etwas bewirkt", sagt Amber. "Ich glaube viele Staats- und Regierungschefs sehen die Veranstaltung als eine Art Werbeauftritt für sich selbst."
Kein Berührungspunkt mit der Konferenz
Dorothea sieht das anders. Die 14-Jährige ist zum ersten Mal bei einem Protest dabei. Sie ist überzeugt davon, dass sie und ihre Freundinnen nicht umsonst gekommen sind: "Wir bewegen hier auf jeden Fall etwas."
Am Samstag soll bereits die nächste Demonstration stattfinden. Dann werden bis zu Hunderttausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet. Der Großteil der offiziellen Gäste der Klimakonferenz wird davon aber kaum etwas mitbekommen. Zwischen der Route des Protestzuges und der UN-Veranstaltung liegen knapp vier Kilometer, drei Sicherheitsschleusen und eigentlich eine ganze Welt.
- Eigene Recherchen in Glasgow
- Gespräche mit Demonstranten