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Klimaschutzpläne: Armutsforscher Christoph Butterwegge äußert Kritik an Parteien


Armutsforscher zum CO2-Preis
"Preiserhöhungen machen niemanden zum Klimaschützer"

  • Theresa Crysmann
InterviewVon Theresa Crysmann

Aktualisiert am 08.07.2021Lesedauer: 4 Min.
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Zapfsäule (Symbolbild): Klimaschutz über teurere Spritpreise gilt als unsozial. Dabei fahren arme Menschen in Deutschland gar nicht so viel Auto, sagt Christoph Butterwegge.Vergrößern des Bildes
Zapfsäule (Symbolbild): Klimaschutz über teurere Spritpreise gilt als unsozial. "Dabei fahren arme Menschen in Deutschland gar nicht so viel Auto", sagt Christoph Butterwegge. (Quelle: Michael Gstettenbauer/imago-images-bilder)

Die Autofahrt in den Urlaub kostet dieses Jahr mehr. Denn der neue Klima-Preis auf CO2 soll grüneres Verhalten fördern. Für Armutsforscher Christoph Butterwegge ist das unfairer Ökokapitalismus.

Egal, ob Zuhause oder im Verkehr: Seit Januar bekommt jede Tonne CO2 ein Preisschild, wenn sie durch den Verbrauch von Erdöl, Erdgas oder Kraftstoffe entsteht. Die aktuellen 25 Euro zahlen zwar die Unternehmen, die fossile Brennstoffe verkaufen. Sie reichen diese Mehrkosten aber direkt an die Verbraucher weiter.

Für Privathaushalte gehen dadurch vor allem die Heiz- und Spritkosten hoch. Die Bundesregierung setzt im Kampf gegen den Klimawandel vor allem auf diesen Aufpreis. Er soll zum Wechsel auf erneuerbare Energien motivieren – befeuere aber die Ungleichheit in Deutschland, findet Armutsforscher Christoph Butterwegge. Im Interview mit t-online erklärt er, wieso der CO2-Preis für ihn ungerechter Ökokapitalismus ist. Und die Klimaziele damit nicht erreicht werden können.

t-online: Wären wir in Frankreich, hätten bei der Einführung des CO2-Preises Autos gebrannt. Bei uns blieb im Januar alles ruhig. Warum?

Christoph Butterwegge: Heinrich Heine hat Deutschland das Land des Gehorsams genannt. Uns fehlt die Protestkultur der Franzosen und die revolutionäre Tradition. Außerdem fällt die Erhöhung des Benzinpreises bisher sehr moderat aus.

Der CO2-Preis gilt seit Anfang 2021 für den Verkehrs- und den Gebäudesektor und liegt aktuell bei 25 Euro pro Tonne. Bis zum Jahr 2025 soll er auf 55 Euro steigen. Danach müssen Unternehmen sogenannte Verschmutzungsrechte für CO2 bei Auktionen ersteigern. Da die Zahl dieser Emissionszertifikate entsprechend der Klimaziele begrenzt ist, regelt dann die Nachfrage den Preis.

Geht es nach den Grünen und ihrer Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, soll der Preis aber schneller steigen als bisher geplant. Die anderen Parteien geben sich empört. Zu Recht?

Von Olaf Scholz über die Unionspolitiker hin zur FDP führen sich beim Thema CO2-Preis jetzt alle als kleine Robin Hoods auf, die sich sonst nie vor die Armen stellen. Ihre Kritik an Frau Baerbocks Vorschlag war sozialpopulistisch, weil Union und SPD nahezu dasselbe beschlossen haben.

Oder einfach Stimmenfang?

Natürlich ist das Wahlkampfgetöse, aber auf heuchlerische und manipulative Weise. Der ärmere Teil der Bevölkerung oder die, die sich als solcher fühlen, wird instrumentalisiert, um die Klimaschutzpolitik zu diskreditieren. Das ist sozialpopulistisch. Dabei geht es bei den Spritpreisen um ganz andere Wählerschichten.

Um welche denn?

Die Armen fahren gar nicht viel Auto. Die eigentlichen Spritfresser sind Topmanager, Fach- und Führungskräfte in den Unternehmen, die Haushalte mit Zweit- und Drittwagen und alle, die aus Spaß durch die Gegend donnern. Kleinwagenbesitzer, die weite Strecken pendeln müssen und Probleme haben, das Benzin zu zahlen, dienen nur als Hebel gegen den Klimaschutz. Dabei darf Klima- nicht gegen Sozialschutz ausgespielt werden.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge ist Politikwissenschaftler und Ungleichheitsforscher. Bevor er 2016 in den Ruhestand ging, war er Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Kürzlich ist sein Buch "Ungleichheit in der Klassengesellschaft" erschienen.

Der CO2-Preis belastet ärmere Haushalte aber tatsächlich stärker als wohlhabendere.

Deshalb finde ich solche Verbrauchssteuern sehr problematisch, wenn es keinen sozialen Ausgleich gibt. Denn sie treffen alle, die etwas konsumieren, hier eben Öl und Gas. Aber ohne Heizung und Strom geht es nicht. Das sind Extrakosten, die Sozialhilfeempfänger, Kleinrentnerinnen oder Studierende ungleich härter treffen. Ordnungspolitische Maßnahmen sind da gerechter: Verbote treffen alle gleich, Preiserhöhungen nicht.

Klimasünder sollen also bestraft werden. Ist das eine fairere Lösung?

Wenn man die Klimakatastrophe verhindern will, muss der Staat auch sinnvolle Verbote erlassen. Je näher wir an das Jahr 2045 und die geplante Klimaneutralität kommen, desto mehr wird der Druck steigen, auch härtere Maßnahmen zu ergreifen. Das scheint in der Gesellschaft noch nicht angekommen zu sein.

Nicht einmal das Wahlprogramm der Grünen traut sich aber an neue Verbote ran.

Die Grünen haben aktuell Angst, wieder als Verbotspartei dargestellt zu werden. Deswegen setzen sie auf einen höheren CO2-Preis, bedenken dabei aber die armen Menschen zu wenig.

Hat das sogenannte Energiegeld der Grünen nicht auch die soziale Frage im Blick? Da soll jedem ein Teil der CO2-bedingte Mehrkosten erstattet werden.

Ich lehne das nicht pauschal ab, bezweifele aber, ob es ausreicht. Alle sollen denselben Geldbetrag bekommen, unabhängig von ihren Wohnverhältnissen und ihrer sozialen Situation. Davon profitieren eher Angehörige der Mittelschicht als sozial Benachteiligte, die häufig in schlecht gedämmten Wohnungen mit hohen Energiekosten leben. Das erinnert mich an das bedingungslose Grundeinkommen, bei dem es nicht gerecht zugeht, weil Ungleiche gleichbehandelt werden. Dass die FDP etwas Vergleichbares zum Energiegeld unter dem Label "Klimadividende" fordert, hätte den Grünen zu denken geben sollen.

Als Alternative gilt der Vorschlag der Union, die Pendlerpauschale weiter zu erhöhen. Ist das besser?

Auf keinen Fall, im Gegenteil. Eine höhere Entfernungspauschale, wie die Union sie plant, wäre eine Subventionierung von Wohlhabenden und Besserverdienenden, finanziert aus Steuereinnahmen. Wer ein kleines Einkommen hat und deshalb wenig oder gar keine Einkommensteuer zahlt, hat davon nämlich kaum bis gar nichts. In unserem progressiven Steuersystem profitiert derjenige mit dem höchstem Gehalt und Steuersatz am meisten von der Entfernungspauschale.

Sie finden die beiden relevantesten Strategien für sozialverträglichen Klimaschutz ungenügend oder kontraproduktiv. Was hilft dann?

Ich habe auch kein Patentrezept. Im Zweifel ist der Weg über Marktmechanismen und Geld aber der falsche – das gilt auch für das Erreichen der Klimaziele. Nichts verhindert ökologische Nachhaltigkeit mehr als sozioökonomische Ungleichheit.

Wieso?

Preiserhöhungen machen niemanden zum Klimaschützer. Dazu ist der Wohlstand in vielen Teilen der Bevölkerung zu groß. Die obere Mittelschicht nimmt die steigenden Kosten in Kauf, die Armen werden belastet und haben kein Geld, um mit Wärmepumpen oder Elektroautos gegenzusteuern. Kapitalismus ist nie gerecht – auch ein Ökokapitalismus nicht, der nur begrenzt funktionieren wird. Man muss endlich an das Verbotsthema ran.

Fängt da schon die Ökodiktatur an, die immer wieder heraufbeschworen wird?

Ökodiktatur ist ein politischer Kampfbegriff, erfunden von Kritikern der Klimaschutzmaßnahmen. Wer noch nicht einmal die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen beschränken will, macht damit Stimmung gegen jene Menschen, die den Planeten für künftige Generationen erhalten wollen. Wenn die Parteien weiter so viel Angst davor haben, bei den Wahlen abgestraft zu werden, ist das ein absolutes Dilemma für den Klimaschutz. Verbote wird es wohl erst geben, wenn es für vieles schon zu spät ist.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Christoph Butterwegge
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