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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vor Beginn des Weltklimagipfels UN rechnet mit den reichsten Ländern ab
Die Erderhitzung muss nicht in der Katastrophe enden. Noch sieht es jedoch danach aus, wie ein neuer Bericht der Vereinten Nationen zeigt.
Die Enttäuschung ist groß und war doch erwartbar. Vor knapp einem Jahr hatten 196 Staaten geschworen, sich mehr für das Klima anstrengen zu wollen. Unter dem Strich ist daraus jedoch nichts geworden, wie die jüngste Auswertung der Vereinten Nationen zeigt.
Nur zwei Dutzend Briefe mit aktualisierten Klimaplänen hatte das Sekretariat des UN-Klimaschutzabkommens in Bonn bis zur Frist Ende September auf dem Tisch. Darunter vor allem Zuschriften aus Ländern, die, wie der Inselstaat Vanuatu, Indien oder der ostafrikanische Sudan, schon jetzt stark durch klimawandelbedingte Wetterextreme gebeutelt sind. Neues von den reichsten Staaten? Fehlanzeige.
Funkstille bei den reichsten Ländern
Weder aus Deutschland noch aus einem anderen EU-Staat oder der Europäischen Kommission gingen neue Zusagen für die Klimarettung ein. Funkstille herrschte auch seitens der USA, China und Russland – jenen Ländern, die historisch die größte Verantwortung für die menschengemachte Klimakrise tragen.
Brasilien und Großbritannien, ebenfalls große Treibhausgasnationen, gaben sich zumindest diese Blöße nicht: Wie auch die Schweiz haben sie Dokumentenstapel nach Bonn geschickt, auch wenn diese wohl vor allem symbolischen Charakter haben. In Summe bringt das Bündel neuer nationaler Beiträge: wenig.
Das Ziel, den globalen Temperaturanstieg unterhalb eines katastrophalen Ausmaßes bis Ende des Jahrhunderts zu beschränken, werde damit nicht erreicht, heißt es von der UN. Trotz einzelner "Hoffnungsschimmer" rollt demnach in den kommenden Jahrzehnten ein Temperaturanstieg von 2,5 Grad Celsius auf die Erde zu – ein halbes Grad mehr als das absolute Wärmelimit, auf das sich die Weltgemeinschaft im Pariser Klimavertrag verpflichtet hat und sogar ein ganzes Grad mehr als der erhoffte Wärmestopp bei 1,5 Grad.
Schwerwiegende Folgen weltweit
"Das wäre katastrophal für Mensch und Natur", kommentiert Fentje Jacobsen, Referentin für Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland, die UN-Analyse der Klimabestrebungen. "Weniger als zwei Wochen vor der 27. UN-Klimakonferenz sind die Vertragsparteien dem Aufruf aus dem Glasgow Climate Pact, bis 2022 ambitioniertere Klimaziele einzureichen, nicht ausreichend gefolgt." Außerdem hake es auch bei der Umsetzung bestehender Klimaschutzziele, so Jacobsen.
Denn: Die Erderhitzung ist nur dann auf dem Weg Richtung 2,5 Grad, wenn alle zugesagten Maßnahmen tatsächlich zeitig umgesetzt werden. Andernfalls droht ein noch stärkerer Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur.
Wie gravierend in diesem Kontext schon ein halber Grad mehr ist, zeigen Berechnungen des Weltklimarates: Das Leben auf der Erde bei 1,5 Grad Erhitzung ist ein völlig anderes als bei 2 Grad – von 2,5 Grad oder mehr ganz zu schweigen. Die Folgen betreffen unter anderem die menschliche Gesundheit, Artenvielfalt, Fischbestände und den Anstieg des Meeresspiegels.
Doch den jüngsten Berechnungen nach werden die CO2-Emissionen bis 2030 um 10,6 Prozent im Vergleich zu 2010 zunehmen. Das sei immerhin eine Verbesserung im Vergleich zu der Einschätzung vom vergangenen Jahr, wonach die Zunahme bis 2030 13,7 Prozent betragen würde, so das UN-Klimasekretariat.
Emissionen steigen immer noch weiter
Der Bericht aus dem vergangenen Jahr war außerdem zu dem Schluss gekommen, dass die Emissionen auch nach dem Jahr 2030 weiter ansteigen würden. Nach Auswertung neuer Daten aus den Ländern ist damit nun nicht mehr zu rechnen, die Emissionen werden danach also nicht mehr steigen. Die prognostizierte Abnahme des CO2-Ausstoßes ist demnach allerdings bei Weitem nicht ausreichend, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.
"Um dieses Ziel im Bereich des Möglichen zu halten, müssen die nationalen Regierungen ihre Klimaschutzpläne jetzt verschärfen und sie in den nächsten acht Jahren umsetzen", mahnte UN-Klimachef Simon Stiell.
"Die Entscheidungen und das Handeln der Regierungen müssen die Dringlichkeit und das Ausmaß der Bedrohung widerspiegeln, der wir uns ausgesetzt sehen – und die Kürze der Zeit, die wir noch zur Verfügung haben, um die verheerenden Konsequenzen eines nicht mehr kontrollierbaren Klimawandels zu vermeiden", so der Politiker aus dem karibischen Inselstaat Grenada. Bei der nächsten Klimakonferenz im kommenden Monat in Ägypten müsse die Politik nun unbedingt die Gelegenheit nutzen, um die Anstrengungen deutlich zu verstärken.
Verdopplung der Anstrengungen ist nötig
Ob in Ägypten viel erreicht werden kann, ist allerdings fraglich. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte kürzlich gesagt, es könne sogar sein, dass die Konferenz ohne abschließende Vereinbarung der teilnehmenden Länder zu Ende gehen werde. Auf die Frage, welches Minimalziel die Bundesregierung bei der Klimakonferenz verfolge, sagte Baerbock: "Dass sie stattfindet. Das weiß man in dieser Weltlage nie."
Auch in der EU reichen die Klimaschutzmaßnahmen bislang nicht aus, um das dort anvisierte Ziel einer Emissionsverringerung um mindestens 55 Prozent bis 2030 einzuhalten. Um die Klima- und Energieziele 2030 zu erreichen, müsse der jährliche Fortschritt bei der Reduzierung der Emissionen und des Energieverbrauchs sowie beim Ausbau erneuerbarer Energien mehr als verdoppelt werden, schrieb die EU-Umweltagentur EEA in einem ebenfalls am Mittwoch veröffentlichten Bericht. Mehr dazu lesen Sie hier.
- Eigene Recherche
- Pressemitteilung von WWF Deutschland
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa