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"Letzte Generation" nach Kartoffelbrei-Attacke: "Hören erst auf, wenn man uns einsperrt"


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Klimaaktivistin rechtfertigt Aktionen
"Wir hören erst auf, wenn man uns alle einsperrt"

  • Nils Heidemann
InterviewVon Nils Heidemann

Aktualisiert am 25.10.2022Lesedauer: 5 Min.
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Die Aktivisten bespritzen das Gemälde: Für die Aktion ernten sie nun Kritik. (Quelle: t-online)
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Die "Letzte Generation" blockiert den Verkehr oder beschmutzt wertvolle Kunst in Museen. Was bringt ihnen das und wie weit darf Aktivismus gehen?

Seit mehreren Wochen sind Klimaaktivisten – unter anderem von der "Letzten Generation" – in und um Berlin aktiv. Sie blockieren Autobahnen und wichtige Straßen, lösen den Feueralarm im Bundestag aus oder verbarrikadieren das Verkehrsministerium. Das Ziel: die Politik zu Maßnahmen der Klimaschutz-Sicherung anzustoßen.

Am Sonntag kam es zu einem weiteren Vorfall: In Potsdam warfen zwei Aktivisten Kartoffelbrei auf ein 111 Millionen Dollar teures Gemälde. Zerstört wurde es wegen einer Glasscheibe nicht. Dennoch stellt sich die Frage, inwiefern ein solcher Protest den Demonstrierenden hilft und was die Aktivisten zu der sich häufenden Kritik an den Störungen sagen. t-online hat darüber mit Lilly Schubert, einer Pressesprecherin der "Letzten Generation", gesprochen.

t-online: Frau Schubert, Aktivisten der "Letzten Generation" haben Kartoffelbrei auf ein 111-Millionen-Dollar-Gemälde gekippt. Was hat die Kunst mit der Klimakrise zu tun?

Lilly Schubert: Es geht nicht darum, der Kunst ihre Daseinsberechtigung abzusprechen. Im Gegenteil: Wir wollen zeigen, dass auch die Kunst, die wir Menschen so lieben, im Inbegriff ist, zerstört zu werden. Genau wie unsere Gesellschaft, wenn wir mit unserer Klimapolitik so weiter machen wie bisher. Das wollen wir verhindern. Die Aktion ist als Symbol zu verstehen: Die Menschen machen sich mehr Gedanken darüber, dass diese Idylle auf der Leinwand zerstört wird und nicht die reale Schönheit der Welt.

Glauben Sie wirklich, dass Sie die Menschen mit solch drastischen Aktionen erreichen?

Alle anderen Möglichkeiten sind ausgeschöpft. Wir haben in den vergangenen Jahren bereits vieles versucht. Wir waren bei "Fridays for Future" mit 1,4 Millionen Menschen auf der Straße, sind in die Parlamente gegangen und haben protestiert. Und das alles hat letztendlich zu einem verfassungswidrigen Klimaschutzpaket geführt. Wir müssen in den nächsten zwei bis drei Jahren handeln und wollen durch ständige Störungen des Alltags Druck auf die Politik ausüben.

Aber lässt sich Ihrer Meinung nach die Politik davon beeinflussen?

Das Ziel ist zunächst, dass die Bundesregierung einfache und schnell umsetzbare Sicherheitsmaßnahmen wie die Einführung des Tempolimits und die Fortführung des 9-Euro-Tickets entscheidet. Ganz klar ist: Wir sind nicht erfolgreich dadurch, dass wir eine Debatte anstoßen oder dass wir in den Medien sind. Wir sind erst dann erfolgreich, wenn wir es geschafft haben, dass unser Klima nicht komplett kippt. Also dass unsere Lebensgrundlage, unser Planet, nicht komplett zerstört wird. Und gerade sieht es so aus, als ob genau das passierte.

Dennoch überwiegt bei Ihren Aktionen in der Außenwahrnehmung die negative Kritik. Viele Menschen sind der Meinung, dass solch ein Aktivismus nichts bringt.

Was wir in den letzten Monaten geschafft haben, ist ein erster Schritt. Wir haben es mit unserer Kampagne "Essen retten, Leben retten" ermöglicht, dass deutschlandweit eine Debatte zum Essen-Retten-Gesetz angestoßen wurde. Wir haben es schon seit Jahren geschafft, dass in der obersten Reihe der Politik und in der Bundesregierung – dass in ganz Deutschland – über diese Themen diskutiert wird. Das spornt uns wahnsinnig an. Gleichzeitig ist es frustrierend, wie mutwillig unsere Zukunft zerstört wird. Ich bin 24 Jahre alt und ich weiß, dass wenn ich 40 oder 50 Jahre alt bin, es nicht mehr sicher ist, dass ich in Deutschland genügend Trinkwasser aus unseren Grundwasserschätzen bekomme.

Würde es nicht mehr bringen, die Menschen für den Klimaschutz zu einen? Lösen etwa Straßenblockaden nicht das komplette Gegenteil aus?

Der Druck durch unsere Aktionen löst bei vielen Menschen Unbehagen aus. Aber die Beliebtheit einer Bewegung hat in der Historie wenig Ausschlag dafür gegeben, wie erfolgreich sie war.

Sie nehmen die Wut der Autofahrer also in Kauf.

Ich kann die Wut der Menschen absolut nachvollziehen. Niemand steht gerne im Stau. Für uns ist es in der Situation, wenn wir auf der Straße sitzen, genauso unangenehm. Niemand macht das gerne. Das zeigt doch diese unglaubliche Verzweiflung, mit der wir uns entscheiden, in diese Situation zu gehen. Dennoch sehen wir auch, dass wir mehr Zuspruch bekommen. Die Menschen in Deutschland wissen eigentlich, dass wir uns in einer Krisensituation befinden. Wir wollen doch auf einem Planeten leben, auf dem wir uns in den nächsten 20 bis 30 Jahren nicht um Lebensmittel prügeln müssen. Wir sind uns sicher: Tief im Inneren würden sich die Menschen im Stau ebenfalls für die Menschlichkeit entscheiden, um in den nächsten Jahren ihre Familien ernähren zu können. Das Problem ist aber: Alles stockt bei der Handlung, da entsprechende Maßnahmen von der Bundesregierung nicht ergriffen werden. Stattdessen werden Maßnahmen auf die Individuen abgewälzt, nach dem Motto: "Ich muss jetzt kälter duschen".

Weitere Taten Ihrerseits sollen folgen. Die Aktion mit dem Monet-Gemälde in Potsdam hat viele verärgert. Wie radikal dürfen Maßnahmen Ihrer Gruppe noch werden?

Alles, was wir tun, wird gewaltlos sein. Wir wollen immer friedlich bleiben, weil es uns genau darum geht: Menschen und unsere Gesellschaft zu schützen. Aber eines ist klar: Wir werden weiter auf die Straße gehen und vor anderen Störformen im Alltag nicht zurückschrecken. Wir werden erst damit aufhören, wenn wir es geschafft haben, unseren Planeten und unsere Gesellschaft zu retten oder wenn die Regierung uns alle dafür eingesperrt hat. Und somit zeigt, dass sie nicht bereit ist, solche Maßnahmen zu gehen.

Birgt eine solche Form des Aktivismus nicht auch Gefahr, sich zu radikalisieren?

Es gibt gemeinsame Werte, auf die sich die "Letzte Generation" besonnen hat. Da steht Friedlichkeit ganz oben. Alle Menschen, die bei uns mitmachen, erfahren das direkt im ersten Vortrag. Die Personen können sich dann entscheiden, ob sie sich dieser Bewegung und dem zivilen Widerstand anschließen möchten. Grundsätzlich ist es so, dass niemand auf die Straße geht, bevor ein Training absolviert wurde. Ein Training, wie man deeskalierend agiert und in heiklen Situationen möglichst friedlich bleibt, auch wenn einem selbst Gewalt entgegenschlägt.

Sollen denn noch weitere Lebensmittel – wie jetzt in Potsdam – verschwendet werden? Stichwort Kartoffelbrei.

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Wir sind natürlich alle weiter Lebensmittelretter und Lebensmittelretterinnen. Wir werden weiter im Alltag dafür sorgen, dass wir möglichst schonend mit den Ressourcen umgehen. Das Ganze muss aber ins Verhältnis gesetzt werden. Wir gehen gerade davon aus, dass durch fehlende Maßnahmen unsere Lebensgrundlage zerstört wird, die mit einem Glas Kartoffelbrei nicht vergleichbar sind. Wir müssen diese 5,4 Millionen Tonnen von CO2 [durch das Tempolimit, Anm. d. Red.] einsparen. Wir müssen schaffen, dass der ÖPNV ausgebaut wird und die Menschen weniger auf das Auto zurückgreifen müssen. Wir brauchen gerechte Mobilität und retten weiter Lebensmittel. Dahingehend ist ein Glas Kartoffelbrei schlecht ins Verhältnis zu setzen.

Wie geht es nun weiter?

Wir werden diesen Druck intensivieren. Die Regierung hat es letztlich selbst in der Hand.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Lilly Schubert, Sprecherin der "Letzten Generation"
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