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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Expertin über lästige Begleiter "Diese Mückenart muss bekämpft werden"
Ob beim Grillen oder bei der Gartenarbeit – Mücken sind bei steigenden Temperaturen unsere lästigen Begleiter. Welche gefährlich sind und wie man sie loswird.
Es summt wieder, die Menschen schlagen um sich und schimpfen über durchwachte Nächte und juckende Stiche: In diesem Frühjahr scheint es mehr Mücken zu geben als in den Jahren zuvor. Viele beschreiben die kleinen Blutsauger auch als besonders aggressiv. Stimmen diese Beobachtungen? Und müssen wir in Deutschland Angst vor der eingewanderten Asiatischen Tigermücke haben? t-online hat dazu die Mückenexpertin Doreen Werner befragt.
t-online: Frau Werner, für uns Laien sind Mücken lästige Biester, die uns stechen und beim Schlafen stören. Was kommt Ihnen als Biologin und Mückenexpertin als Erstes in den Sinn, wenn Sie an Mücken denken?
Doreen Werner: Ich denke an meine erste Liebe – also professionell gesprochen. Ich habe mit der Forschung an Kriebelmücken angefangen und man sagt ja, diese erste Liebe bleibt auch die stärkste. Kriebelmücken sind aufgrund ihrer diversen Anpassungen faszinierende Insekten.
Sie denken also nicht an juckende Stiche und das ständige Summen im Ohr?
Ich denke in erster Linie daran, dass Mücken ein ganz wichtiger Bestandteil unseres Nahrungskettennetzes sind – ohne Mücken keine Nahrung. Das trifft auf die verschiedenen Entwicklungsstadien zu. Im aquatischen Stadium, also wenn sie als Larven in Gewässern leben, ernähren sich Fische, Amphibien, Reptilien und räuberisch lebende Insekten von ihnen. Die flugfähigen Mücken sind dann Nahrungsgrundlage für Singvögel, Fledermäuse und größere Insekten, die dann wiederum die Nahrungsgrundlage für andere Tiergruppen sind. Daher kann ich Mücken nicht negativ betrachten.
Wie die Bienen: Mücken helfen beim Bestäuben
Dann bleiben wir beim Positiven. Können Mücken noch mehr?
Ja, Stichwort Bestäubung. Da reden alle immer nur von Bienen und Hummeln. Aber die große Masse an Mücken und Fliegen übernimmt in etwa den gleichen Anteil an Bestäubungen. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Gesundheit unserer Böden. Im Erdreich lebende Mückenlarven anderer Familien helfen bei der Zersetzung, zum Beispiel von Laub, und sind wichtig für die Humusbildung. Die Natur hat Mücken nicht ohne Grund erschaffen.
Trotz aller guten Seiten ärgern sie uns aber doch mit ihren Stichen.
Wir haben in Deutschland 28 Mückenfamilien. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit den drei blutsaugenden Familien. Das sind die Stechmücken, die schon genannten Kriebelmücken und die Gnitzen. Sie sind flächendeckend in Deutschland verbreitet.
Es gibt tatsächlich nur drei blutsaugende Familien?
Es sind tatsächlich Familien. Die müssen Sie sich so vorstellen wie bei uns die Meiers, Müllers und Schulzes. Jede Familie hat Familienmitglieder und das sind zum Beispiel bei den Stechmücken 52 Arten. Auch bei den Kriebelmücken sind es 52 Arten und bei den Gnitzen gibt es über 300 Arten.
Warum saugen einige Mücken denn eigentlich unser Blut? Sie ernähren sich doch sicherlich ganz anders.
Mücken ernähren sich von Nektar und Pflanzensäften. Sie müssen auch Wasser aufnehmen. Die Blutmahlzeit nehmen nur die Weibchen, weil sie das Protein aus dem Blut für die Reifung ihrer eigenen Eier benötigen.
Zur Person
Dr. Doreen Werner forscht seit 30 Jahren zu Mücken. Am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) befasst sich die Biologin mit dem Monitoring von Mücken, stechmückenübertragenden Zoonosen und Infektionskontrolle sowie mit den Einflüssen von virenübertragenden Mücken auf Nutztiere.
Wie oft benötigen die Weibchen diese Blutmahlzeit im Jahr?
Das ist ganz unterschiedlich und von der Art abhängig. Wir haben einige Arten, die nur eine Population im Jahr entwickeln. Aber es gibt auch solche, die mehrere Generationen hervorbringen.
Welche Art sticht uns denn zurzeit?
Wir teilen Stechmücken in unterschiedliche Gruppen ein. Ich bleibe hier mal bei den deutschen Begriffen. Es gibt die Wald-, Wiesen-, Haus- und Überflutungsmücken. Daran sehen Sie schon, dass wir die Biotope eingrenzen. Und dann gibt es die Frühjahrsmücken. Das sind zum Teil Waldmücken, die nur eine Generation hervorbringen – und die sind jetzt auch überall aktiv.
Die Blutmahlzeit nehmen nur die Weibchen, weil sie das Protein aus dem Blut für die Reifung ihrer eigenen Eier benötigen.
Doreen Werner
Da hat das regnerische Wetter sicherlich mitgeholfen?
Ja, die Regengüsse der letzten Wochen haben viele Waldpfützen und Senken auf Wiesen gefüllt. Das bedingt, dass die Frühjahrsmücken zur Entwicklung kommen. Dabei handelt es sich um relativ große Mücken, die sehr penetrant im Anflug sind.
Viele Betroffene sprechen jetzt schon von einer Plage. Wie schlimm könnte es diesen Sommer denn werden?
Also erst einmal muss man festhalten, dass wir nach zwei niederschlagsarmen Jahren und relativ milden und trockenen Wintern nun endlich mal wieder "normalen" Niederschlag hatten. Es ist ein bisschen wie bei einer Mutter, die die Schmerzen bei der Geburt des ersten Kindes einfach vergisst. Wir Menschen vergessen einfach, dass Mücken nach regenreichen Wintern etwas ganz Normales sind. Außerdem war es auch im Jahresverlauf zeitig schon sehr warm und die Mücken konnten sich gut entwickeln und früher in die Saison starten.
Mit diesen ersten Frühjahrsmücken ist es ja auch noch nicht getan, richtig?
Richtig. Diese frühen Arten überwintern als Ei, die im letzten Jahr abgelegt wurden, und dann kommen Regen und Wärme und die Larven schlüpfen. Diese Arten bringen im Mai und Juni nur eine Generation hervor. Im Gegensatz dazu haben wir die Arten, die mehrere Male Eier legen. Dazu gehören zum Beispiel die Hausmücken. Sie gehen in frostfreie Plätze, sogenannte Quartiere, wo sie frostfrei über den Winter kommen können. Ihre Lebensspanne ist länger, weil sie ihre Stoffwechselaktivität einfrieren können. Sobald es wärmer wird, kommen die begatteten Weibchen, die im Idealfall schon eine Blutmahlzeit genommen haben, heraus und legen ihre Eier ab. Das passiert nur zu bestimmten Temperaturen. Weil es in diesem Jahr bereits im März so warm war, hatten die Mücken einen idealen Start in die Saison.
Und das passiert dann wieder und wieder?
Die erste Generation schlüpft jetzt schon und sie saugt dann natürlich wieder und legt ihre Eier ab. Dieser Prozess, also Blutverdauung, Eireifung, Entwicklung von Larven, ist auch temperaturabhängig. Je wärmer es wird, desto schneller geht es. Bei günstigen Bedingungen können Hausmücken locker, sechs, sieben, acht oder sogar neun Generationen im Jahr hervorbringen. Was noch dazukommt: Eine Mücke kann nicht nur einmal Blut saugen. Sie kann es in ihrer Lebensdauer von drei bis sechs Wochen mehrfach und legt pro Eiablage ungefähr 350 Eier.
Ohne Mücken verhungert die Vogelbrut
Das sind doch recht harte Aussichten für uns Menschen.
Für die Vögel aber dringend notwendig. Sehen Sie, wenn die jetzt keine Nahrung finden – und das ist im letzten Jahr vielerorts passiert – dann verhungert die Brut. Sie finden einfach keine Nahrung für ihre Jungen.
Sie würden also nicht von einer Mückenplage sprechen?
Nein, das dürfen wir nicht. Der Begriff Mückenplage ist in Deutschland definiert. Bei über 20 Stichen pro Minute spricht man von einer Plage. Da kommen wir gar nicht hin. In Jahren, in denen es zu Überflutungen an großen Flüssen kommt, kann so etwas geschehen. Oder wenn wir als Forscher oder auch Angler oder Forstwirte direkt in Bruthabitate von Mücken hineingehen müssen. Aber der normale Bürger in seinem normalen Umfeld hat in Deutschland eigentlich nur in Ausnahmefällen mit einer Plage zu tun. Wir fühlen uns geplagt, aber eine Mückenplage haben wir meist nicht.
Wenn die Leute nun in ihrem Garten sitzen, müssen sie sich die Mückenstiche gefallen lassen?
Ich würde heimische Mücken nicht bekämpfen. Die Ausnahme ist die Asiatische Tigermücke. Sie muss bekämpft werden.
Eine invasive Art, die bei uns immer öfter gesichtet wird.
Sie wird zunehmend eingeschleppt und hat sich an vielen Standorten etabliert. Sie ist angepasst auf künstliche, kleine Brutgewässer. Das heißt: Selbst wenn eine Coladose in die Natur geworfen wird und es regnet da hinein, kann die Tigermücke das als Brutstätte benutzen. Sie besiedelt verstopfte Dachrinnen, verlassene Pools, Regentonnen, die halbvolle Gießkanne – was auch immer. Zur Bekämpfung müssen die Gefäße entleert werden. Wenn man das nicht machen kann oder möchte, wie zum Beispiel bei der Regentonne, kann man ein biologisches Bakterientoxin einsetzen. Es heißt Bacillus thuringiensis israelensis. Es ist nicht schädlich für den Menschen, führt aber dazu, dass die Larven von Stechmücken abgetötet werden.
Warum ist die Asiatische Tigermücke so gefährlich für uns?
Da muss ich zwei Antworten geben. Die Asiatische Tigermücke unterscheidet sich von unseren einheimischen Arten, weil sie ein sehr penetrantes Anflugverhalten hat. Also mal ein Beispiel: Wir liegen im Bett und die Mücke kommt angeflogen, das Summen wird lauter, wir wedeln ein paarmal mit der Bettdecke und die Mücke haut erst mal wieder ab. Das macht die Asiatische Tigermücke nicht. Sie kommt aggressiv angeflogen wie ein kleiner Kamikazeflieger und haut ihren Rüssel in unsere Haut. Wenn Sie eine Tigermückenpopulation in ihrem Garten haben, dann verspreche ich Ihnen, haben Sie keine Lust mehr, im Garten zu grillen oder zu arbeiten. Im Vergleich dazu sind unsere heimischen Mücken nette Zeitgenossen.
Sie kommt aggressiv angeflogen wie ein kleiner Kamikazeflieger und haut ihren Rüssel in unsere Haut.
Doreen Werner
Und die zweite Antwort?
Dabei geht es um die Übertragung von Krankheitserregern. Unsere Stechmücken können Erreger übertragen, die zum Beispiel sommergrippeartige Symptome auslösen können. Erreger, die eine vergleichbare Symptomatik hervorrufen, können wir uns aber auch bei der Fahrt im Zug oder der U-Bahn einfangen. Anders sieht es bei den eingewanderten Mücken aus. Sie bringen die Kompetenz mit, gefährliche Krankheitserreger zu übertragen – mehr als 20 verschiedene –, darunter Dengue-, Chikungunya- oder Zika-Viren.
Gut zu wissen
Denguefieber ist eine durch Mücken übertragene Virusinfektion, die vorrangig in den Tropen und Subtropen vorkommt. Schätzungen zufolge infizieren sich jedes Jahr weltweit etwa 400 Millionen Menschen mit dem Denguevirus. In einem bis fünf Prozent der Fälle nimmt die Krankheit einen schweren Verlauf (innere Blutungen, Schock) und es kann zu einem tödlichen Ausgang kommen. Mehr lesen Sie hier.
Das Zika-Virus wird durch die Asiatische Tigermücke übertragen und kann während der Geburt von der Mutter auf das Kind (perinatal) sowie während des Geschlechtsverkehrs (sexuell) übertragen werden. Es kann eine Mikrozephalie (wörtlich „Kleiner Kopf“) auslösen. Hier ist der Kopfumfang deutlich kleiner als bei einem gesunden Menschen gleichen Alters. Eine Mikrozephalie geht mit einer geistigen Behinderung einher. Weitere Informationen bekommen Sie hier.
Ist eine solche Übertragung in Deutschland schon passiert?
Nein, die Mücke trägt per se nicht die Erreger in sich und muss sich auch erst selbst infizieren, zum Beispiel an Reiserückkehrern aus den Tropen, die mit den genannten Erregern infiziert sind. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das passieren wird, ist nicht hoch, aber auch nicht mehr bei null. Deshalb ist es so wichtig, dass wir eine Kenntnis davon bekommen, wo die Mücken etabliert sind, um sie zu eliminieren oder die Populationsdichte gering zu halten.
Dabei können alle in Deutschland mithelfen, richtig?
Ein ganz wichtiges Instrument ist für uns der Mückenatlas. Wir fordern die Menschen auf, mitzuhelfen, in ihrem Umfeld Mücken einzufangen und einzuschicken. Das hilft uns, um die Aktivität unserer einheimischen und der invasiven Arten zu definieren und auch, um Einwanderer wie die Asiatische Tigermücke an neuen Orten ausfindig zu machen.
- Sie wollen helfen, die Tigermücke zu jagen? Hier finden Sie alle Informationen zum Mückenatlas und Tipps zum Einschicken.
Letzte Frage: Wenn wir unsere heimischen Blutsauger schon nicht eliminieren sollten, können wir uns denn wenigstens vor ihren Stichen schützen?
Mücken fliegen in erster Linie auf unsere Atemluft. Das von uns produzierte Kohlendioxid ist der stärkste Lockstoff für sie und wir produzieren ihn selbst. Wir können ja nun mal nicht aufhören zu atmen. Mücken reagieren außerdem auf ganz feine Nuancen in unserem Schweiß und auch auf Düfte, die durch die Bakterien auf unserer Haut produziert werden. Es ist daher ganz unterschiedlich, ob wir unwiderstehlich auf sie wirken oder nicht. Und deshalb muss auch jeder für sich selbst ausprobieren, welches Mückenschutzmittel wann und wie für ihn oder sie wirkt.
Aber einen Tipp kann ich geben: Das A und O ist, sich nicht zu kratzen. Erst durch das Kratzen werden Dreckpartikel oder Bakterien in die Wunde eingetragen, die dann zu Sekundärinfektionen führen.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Werner.
- Telefonisches Interview mit der Biologin Dr. Doreen Werner, Leibnitz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)