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"Seeding" nach Kaiserschnitt: Scheidensekret für Babys Immunsystem


"Seeding" nach dem Kaiserschnitt
Scheidensekret soll Babys vor Krankheiten schützen

t-online, Nicola Wilbrand-Donzelli

Aktualisiert am 22.12.2015Lesedauer: 3 Min.
Im Mutterleib leben Babys in einer sterilen Umgebung. Erst während und nach der Geburt beginnt die Besiedelung mit Mikroorganismen.Vergrößern des Bildes
Im Mutterleib leben Babys in einer sterilen Umgebung. Erst während und nach der Geburt beginnt die Besiedelung mit Mikroorganismen. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Seeding heißt ein neuer Geburtstrend aus Australien und den USA, bei dem das Neugeborene nach einem Kaiserschnitt mit Vaginalsekret der Mutter abgerieben wird. Das soll das Immunsystem stärken. Was davon zu halten ist, erklärt Hebamme und Diplombiologin Susanne Steppat.

Die Methode wird zwar noch relativ selten angewendet, aber in Australien und den USA gilt Seeding (englisch für verteilen, säen) als vielversprechende Innovation bei der Geburtshilfe. Dabei wird etwa eine Stunde vor einem geplanten Kaiserschnitt eine in Salzwasser getränkte Mullbinde in die Vagina der Mutter eingelegt, so die Beschreibung einer Ärztin von der University of the Sunshine Coast im australischen Queensland.

Unmittelbar vor der OP wird die Tamponage, die nun Sekret aufgesaugt hat, wieder herausgenommen und für kurze Zeit in einem sterilen, versiegelten Container verstaut. Direkt nach der Geburt wird das Neugeborene im Gesicht und am Körper mit dem durchtränkten Stoff abgetupft. Üblich ist außerdem, ein wenig von der Flüssigkeit in den Mund des Säuglings einzuführen. Manchmal wird das Kind auch für kurze Zeit in die feuchte Binde eingewickelt.

Die Nachahmung einer natürlichen Geburt

Mit dieser Prozedur sollen die Abwehrkräfte von Kaiserschnittkindern gestärkt werden. In Deutschland wird mittlerweile jedes dritte Kind per Kaiserschnitt entbunden. Einige Studien unterstützen die These, dass Sectio-Babys häufiger erkranken als diejenigen, die vaginal geboren werden. Der fehlende Kontakt mit der mütterlichen Vaginal- und Darmflora begünstig möglicherweise die Entstehung von Infekten, Allergien und Asthma.

Daraus schließen Forscher, dass der natürliche Kontakt mit dem Scheidensekret, das etwa 300 Mikroorganismen enthält, das kindliche Abwehrsystem stärkt. Seeding ist also der Versuch, positive Effekte der Vaginal-Geburt nachzuahmen.

In deutschen Kreißsälen werde Seeding noch nicht praktiziert, sagt Hebamme und Diplombiologin Susanne Steppat, die auch Mitglied im Präsidium des Deutschen Hebammenverbandes ist. Die Geburtshelferin ist angesichts des neuen Trends jedoch äußerst skeptisch und kommentiert gegenüber t-online.de: "Diesen Denkansatz, ein Kind auf eine solche Weise zu immunisieren, finde ich in der Theorie noch einigermaßen nachvollziehbar. Doch man bräuchte wohl ein Menge Sekret, um überhaupt eine vergleichbare Ganzkörperimpfung des Säuglings hinzubekommen."

Unter natürlichen Bedingungen sei ein Baby auf seinem Weg durch den Geburtskanal viel länger als nur wenige Minuten in Kontakt mit diesem Cocktail "guter" Keime, zu denen auch Darmbakterien der Mutter gehörten.

Skurril und wenig überzeugend

Bei einer kleinen Umfrage unserer Redaktion unter einigen Müttern eines Kindergartens war das Urteil über Seeding jedenfalls eindeutig: Bisher hatte keine von dieser ungewöhnlichen Methode gehört, aber bei der Beschreibung des Vorgangs reagierten die meisten entweder mit Ekel oder sie fanden es skurril. Es überwogen die Zweifel. "Ich habe meinen Sohn vor vier Jahren per Kaiserschnitt zur Welt bringen müssen - ohne Seeding", so eine Mutter. "Und er ist bis heute auch nicht häufiger krank als andere Kinder, die auf natürlichem Weg zur Welt gekommen sind."

Auch die Hebamme Steppat findet Seeding bizarr. "Da entsteht vor meinem inneren Auge der Vergleich mit Wäsche. Als würde das Sekret auf ein Baby verteilt, so wie imprägnierende Stärke auf ein Kleidungsstück gesprüht wird." Zudem verdeutliche dies eine besorgniserregende Entwicklung in der Geburtsmedizin: "Seeding wäre ein weiterer Schritt dahin, die Kaiserschnittthematik zu verharmlosen und als natürliche zweite Geburtsalternative gleichberechtigt zu etablieren. Das finde ich sehr bedenklich."

Seeding ist wissenschaftlich kaum erforscht

Ernstzunehmende Belege für die Wirksamkeit von Seeding liegen noch nicht vor. Eine Mikrobiologin der New York University hat 17 Babys untersucht, von denen sechs vaginal und elf per Kaiserschnitt geboren wurden. Ihre Forschungen ergaben Hinweise, dass Seeding einen positiven Effekt auf die Gesundheit im ersten Lebensjahr hat. Doch nur vier der untersuchten Kinder wurden nach dem Eingriff mit Scheidensekret eingerieben. Das ist zu wenig für repräsentative und belastbare Daten.

Um mögliche positive Effekte von Seeding wissenschaftlich nachweisen zu können, bedürfe es deshalb einer Langzeitstudie mit mindestens 1.200 Kindern, so die US-Biologin gegenüber dem australischen Internetjournal "Body+Soul". Die Forscherin ist dennoch davon überzeugt, dass in etwa zehn Jahren Seeding in den USA ein unverzichtbarer Bestandteil einer Kaiserschnitt-Geburt sein wird.

Keine gleichwertige Alternative zu einer natürlichen Geburt

Susanne Steppat hofft dagegen, dass diese Verfahrensweise bei der Geburtshilfe in Deutschland nicht Fuß fassen wird. "Das macht mir wirklich Bauchschmerzen. Eine Geburt sollte mehr sein als der medizinische Akt eines Kaiserschnitts mit dem anschließenden Verteilen des vaginalen Sekrets auf dem Kind, um so einen Immunschutz zu initiieren. Man kann nicht einfach 1:1 nachbauen, was eine natürliche Entbindung mit der Mutter und ihrem Kind macht. Das bleibt dann immer nur ein Spiel mit Puzzleteilen, das ganz und gar nicht gleichwertig ist."

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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