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Hirntod in der Schwangerschaft: Rechtliche Aspekte


Hirntod während der Schwangerschaft
Wenn ein Kind in einer klinisch Toten heranwächst

t-online, Nicola Wilbrand-Donzelli

Aktualisiert am 02.04.2015Lesedauer: 5 Min.
Immer wieder wieder werden hirntote Schwangere am Leben gehalten, um den Babys eine Überlebenschance einzuräumen.Vergrößern des Bildes
Immer wieder wieder werden hirntote Schwangere am Leben gehalten, um den Babys eine Überlebenschance einzuräumen. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Es ist ein Albtraumszenario: Eine werdende Mutter erleidet einen Schlaganfall oder schweren Unfall, fällt ins Koma und wird schließlich für hirntot erklärt. Mit dieser Situation müssen sich Ärzte und Angehörige immer wieder auseinandersetzen. Sie müssen entscheiden, ob die Schwangere gemeinsam mit ihrem Fötus sterben soll oder ob die Lebensfunktionen der Mutter mithilfe der Intensivmedizin fortgeführt werden, so dass das Baby unter Umständen gerettet werden kann. Dies ist jedes Mal eine heikle Gratwanderung, bei der nicht nur moralische sondern auch juristische Aspekte berücksichtigt werden müssen.

Entbindungen nach dem Hirntod der Mutter sind zwar selten, aber doch möglich. In der Regel ist dafür ein enormer medizinischer Aufwand nötig, da der Körper der betroffenen Frau nach und nach seine Funktionen einstellt. Doch durch Beatmung, Kreislauftherapie und Hormonbehandlung kann eine Schwangerschaft dennoch meist aufrecht erhalten werden.

Insgesamt waren weltweit bis 2010, so die Angaben in unterschiedlichen Fachpublikationen, 30 Fälle dokumentiert, in denen eine Schwangerschaft bei Patientinnen vorlag, die entweder hirntot waren oder im Wachkoma lagen. In 19 Fällen kam es nachweislich zur Geburt, zwölf der Kinder waren gesund. Auch in jüngster Zeit gab es vor allem im Ausland immer wieder Beispiele dafür.

Medizinische Pionierarbeit in Stuttgart

Zu den ältesten Kindern, die unter solch extremen Umständen entbunden wurden, gehört der 24-jährige Max Siegel. Der junge Mann verdankt sein Leben der Entschlossenheit der Ärzte, denn seine Mutter fiel, während sie mit ihm schwanger war, nach einem Zusammenbruch ins Koma und schließlich zeigte ihr Hirn keine Aktivität mehr. Mehr als 80 Tage gelang es damals den Medizinern in einer Stuttgarter Klinik - mit Einwilligung des Ehemanns - alle organischen Steuerungsprozesse der Frau in Gang zu halten, und damit auch die Schwangerschaft fortzuführen.

Das ging dank der Intensivmedizin bis zur 28. Schwangerschaftswoche gut. Dann setzten vorzeitige Wehen ein, so dass das Kind per Kaiserschnitt geholt werden musste und auf die Frühchenstation kam. Wenig später verschlechterte sich der organische Befund der hirntoten Mutter, so dass ihr Mann schließlich die Erlaubnis gab, keine weiteren Reanimationen mehr durchzuführen.

Mediziner kritisiert Hirntod-Definition

Während dieser schwierigen Zeit verlor der damals behandelnde Internist und Kardiologe Paolo Bavastro den Glauben an die offiziell geltende Definition des Hirntods. Für ihn, das betont er viele Jahre später in einem Radio-Interview mit dem Deutschlandfunk, sei seitdem ein hirntoter Mensch nicht tot, sondern ein schwerstkranker Sterbender. Ansonsten würde das ja bedeuten, so der Mediziner, "diese Patientin war eine Leiche, und in einer Leiche entwickelt sich ein Embryo bis zur Lebensfähigkeit, das ist ein Widerspruch in sich." Ein toter Körper könne unmöglich alle Steuerungsprozesse in Gang halten, die nötig seien, damit ein Fötus am Leben bliebe.

Das "Erlanger Baby" ging in die Medizin-Geschichte ein

Ein Jahr nach der Stuttgarter Geburt machte 1992 ein weiterer Fall Schlagzeilen, diesmal in Erlangen. Damals verunglückte eine 18-Jährige bei einem Verkehrsunfall. Die Diagnose nach schweren Schädel-Hirnverletzungen lautete Hirntod. Die junge Frau war jedoch in der 14. Woche schwanger. Daraufhin versuchten die Ärzte der Erlanger Uni-Klinik die Angehörigen zu überzeugen, ihre Tochter so lange am Leben erhalten zu dürfen, bis das Kind entbunden werden konnte.

Sie hielten diesen Schritt ethisch und medizinisch für gerechtfertigt, obwohl die Familie gegen die Maßnahmen war. Doch zu einer Geburt kam es nicht. Der Fötus starb fünf Wochen später durch eine Infektion der Mutter, woraufhin alle intensivmedizinischen Maßnahmen eingestellt wurden.

Als "Erlanger Baby" ging dieser Versuch, im Körper einer Hirntoten ungeborenes Leben zu retten, in die Medizin-Geschichte ein. Wochenlang wurde darüber in den Medien und unter Fachleuten debattiert. Vor allem mussten sich die Ärzte von Politikern, Kirchenvertretern und Feministinnen den Vorwurf gefallen lassen, dass sie verantwortlich seien für eine "schwer erträgliche Perversion" und die hirntote Frau als wissenschaftliches Experimentierfeld beziehungsweise als "menschlicher Brutkasten" und "beatmete Gebärmutter" missbraucht hätten.

Abwägen zwischen ethisch-moralischen und juristischen Aspekten

Im Raum stand bei dieser Diskussion immer die Frage, ob das Recht auf ein Sterben in Würde beziehungsweise die Respektierung der Pietät einer hirntoten Frau höher gestellt ist, als der Schutz des ungeborenen Lebens. Dabei spielen auch strafrechtliche Aspekte eine Rolle. Denn mit dem Beenden von lebenserhaltenden Maßnahmen bei einer schwangeren Hirntoten geht zwangläufig auch ein indirekter Schwangerschaftsabbruch durch Unterlassen einher, was nach §218 eigentlich strafbar wäre.

Das sich im Mutterleib entwickelnde Kind ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nämlich als selbstständiges Rechtsgut geschützt - auch noch im Körper einer Hirntoten. Es besteht also gewissermaßen eine Fürsorgepflicht für den Fötus. Das Risiko der Ärzte, sich strafbar zu machen, hängt aber ebenso von den Überlebensprognose für das ungeborene Kind ab. Diese allerdings unter den ungewöhnlichen Voraussetzungen zuverlässig vorher zu sagen, ist auch für Experten schwer.

Die Mediziner bewegen sich demnach auf einem schmalen Grat. Denn für sie gibt es keinen starren Verhaltenskodex, weil kein Patientenschicksal dem anderen gleicht. So muss jedes Mal neu abgewogen und entschieden werden - meist geschieht das heute durch die Einschätzung von interdisziplinären klinischen Ethik-Komitees, die es in vielen Krankenhäusern mittlerweile gibt.

Der Wille der Angehörigen

Wie sehr sich in den letzten 20 Jahren die Sichtweise in Bezug auf diese Fragen gewandelt hat, lässt sich an den Äußerungen der renommierten, auf Ethik spezialisierten Medizinerin Gisela Bockenheimer-Lucius ablesen. Noch unmittelbar nach dem Erlangener Fall sprach sie sich dafür aus, eine grundsätzliche Regelung zu treffen, die entweder das Lebensrecht des Kindes als höchstes Gut definiert oder aber immer den Lebenserhalt bei Hirntod der Mutter verbietet. Der Wille der Angehörigen sollte dabei keine Rolle spielen.

Heute plädiert die Ärztin nicht mehr für das Entweder-Oder-Prinzip. "Ich denke, dass heute, ebenso wie damals, ein Lebenserhalt weder ethisch geboten noch ethisch verboten ist. Dementsprechend würde ich heute den Willen des Vaters oder der Großeltern respektieren und danach entscheiden", erklärte sie in einem Interview.

In den USA und Irland mussten Gerichte entscheiden

Dass es keine einfachen Lösungen gibt und das Ringen um den richtigen Weg auch andernorts kompliziert ist, zeigen aktuelle Beispiele aus Übersee und Europa. Für Aufsehen sorgte vor einem Jahr etwa die Entscheidung eines texanischen Gerichts, das nach der Klage des Ehemanns einer hirntoten Schwangeren verfügte, dass die lebenserhaltenen Maßnahmen bei der Patientin abgebrochen werden müssen. Die Klinik hatte zuvor im Hinblick auf die strengen Abtreibungsgesetze in dem US-Staat immer auf den Schutz des ungeborenen Lebens gepocht, obwohl sie den Fötus nicht für überlebensfähig hielt.

Ähnliches geschah Ende 2014 im katholisch geprägten Irland. Auch hier hoben Richter nach Intervention der Angehörigen das strikte Abtreibungsverbot auf und entschieden, dass die Ärzte alle Beatmungsgeräte abschalten müssen, damit die Frau sterben kann. Das Kind hatte auch hier keine Überlebenschance.

Glück und Trauer liegen nah beieinander

Ganz anders die anrührende Familiengeschichte des Kanadiers Dylan Benson: Er kämpfte 2014 sowohl um das Leben seines ungeborenen Kindes als auch um das seiner Frau Robyn, die nach einer schweren Hirnblutung ins Koma gefallen war und schließlich für hirntot erklärt wurde. Um wenigstens das Baby zu retten, versuchten die Ärzte - diesmal im ausdrücklichen Einvernehmen mit dem werdenden Vater - so berichtet er es auf seinem Blog, Robyn bis zur 34. Schwangerschaftswoche durchzubringen.

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Dabei wusste Dylan Benson immer, dass der Tag, an dem sein Sohn geboren wird, derselbe sein wird, an dem seine Frau stirbt. Dieser Moment großer Trauer und zugleich großen Glücks ereignete sich bereits in der 28. Schwangerschaftswoche. Der kleine Iver erblickte per Notkaiserschnitt das Licht der Welt. Er wog knapp 1500 Gramm - war aber gesund und ist es bis heute.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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