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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Anaphylaktiker appelliert an Ungeimpfte "Haltet euch an die Corona-Regeln!"
Rund 22 Millionen Menschen in Deutschland sind noch nicht gegen das Coronavirus geimpft. Unter ihnen sind vier Millionen Kinder unter fünf Jahren, aber auch Menschen wie Hans-Joachim Baudach, die gerne immunisiert wären, sich aber nicht impfen lassen können. Er erzählt, wie sich das anfühlt.
Seit 2017 ist Hans-Joachim Baudach blind. Wegen der Gefahr eines allergischen Schocks kann sich der 58-Jährige nicht gegen Covid-19 impfen lassen. Im März 2020, ausgerechnet zum Start des ersten Lockdowns, starb sein Vater. Ungeschützt und ohne soziale Kontakte lebt er seit Beginn der Pandemie allein mit seinem Begleithund Cooper, einem Königspudel. Doch das Schlimmste ist nicht die Einsamkeit, erzählt er im Interview, er hat auch Angst vor Anfeindungen von Corona-Leugnern. Und natürlich Angst, sich zu infizieren.
t-online: Warum ist die Corona-Impfung bei Ihnen nicht möglich?
Hans-Joachim Baudach: Ich bin Anaphylaktiker. Das heißt, ich habe in der Vergangenheit schon zweimal anaphylaktische Schocks erlitten: einmal bei einer Diphtherie-Impfung und einmal bei einer Augenarzt-Behandlung. Bei der Diphtherie-Impfung bin ich erst wieder zu mir gekommen, als der Notarzt da war. Und meine Ärztin sagt, das Risiko eines dritten anaphylaktischen Schocks ist einfach zu groß. Das heißt für mich leider, dass ich nicht geimpft werden darf.
Anaphylaktischer Schock
Der anaphylaktische Schock ist eine seltene, aber gefährliche allergische Reaktion. Er tritt sehr plötzlich auf und kann durch das gleichzeitige Zusammenbrechen mehrerer Organsysteme Lebensgefahr bedeuten.
Wie sieht es bei einem Totimpfstoff aus, wäre das eine Hoffnung für Sie?
Bei einem Totimpfstoff könnte es anders aussehen, das bleibt abzuwarten – aber noch ist er eine kleine Hoffnung für mich, ja. Früher habe ich auch die Tetanus-, Pocken- oder Polio-Impfungen bekommen und alle gut vertragen. Da muss ich abwarten, wie sich die Wissenschaft entwickelt.
Wie leben Sie nun in der Pandemie seit März 2020?
Tja, wie lebe ich? Mein Tag ist sehr eintönig. Ich habe keinerlei Kontakte mehr. Mein Vater ist am Freitag, dem 13. März 2020 gestorben. Ich war morgens der erste und abends der letzte Besucher, der vor dem Lockdown noch das Krankenhaus verlassen hat. Und seitdem habe ich auch keine Kontakte mehr. Freunde gibt es nicht, Verwandte gibt es auch keine mehr. Die Einsamkeit ist mein Geselle.
Haben Sie große Angst, sich zu infizieren und isolieren sich deshalb?
Ich gehöre nicht zu den Risikotypen, denen eine Infektion egal wäre. Es geht mir aber vor allem darum, dass – sobald ich mich infiziere – ich dann erst einmal ein Überträger des Virus bin. Da gilt dann meine Rücksichtnahme gegenüber anderen Menschen, selbst dann, wenn ich nur einen leichten Verlauf hätte. Denn ich weiß ja nicht, wie die Erkrankung bei jenen verläuft, die ich durch Rücksichtslosigkeit sonst infizieren könnte. Und ich habe auch eine gewisse Verantwortung meinem Hund gegenüber, für den ich auch weiterhin da sein möchte. Das Tier hat auch eine Psyche und ist sehr auf mich fixiert. Wenn ich ins Krankenhaus müsste, würde der Hund auch leiden.
Der Hund ist für Sie natürlich in dieser Situation besonders wichtig ...
Ja, mein Hund ist mein treuester Begleiter. Aber ich weiß auch, wenn man uns auf der Straße begegnet, geht man uns aus dem Weg. Man will ja auch den Hund nicht irritieren, obwohl der, sobald er im Geschirr ist, nur darauf konzentriert ist und weder andere Hunde noch Katzen kennt. Da kann ich mich wirklich auf ihn verlassen.
Würden Sie sich denn eher wünschen, dass die Menschen Kontakt aufnehmen?
Das ist eine schwierige Frage. Mittlerweile habe ich vor den Menschen eher Angst, weil die Aggressivität sehr stark zunimmt. Ich merke das auch hier in meiner Hochhaussiedlung in Wuppertal. In meinem Wohnkomplex sind alle Nachbarn super – aber in den anderen Häusern gibt es auch sogenannte Querdenker, die ich "Quertreiber" nenne, Querdenker sind für mich etwas völlig anderes. Die haben auch mich schon angesprochen, ich solle doch die Maske abnehmen und den Schmarrn nicht glauben. Das sei alles Betrug. Das sind Sachen, da gehe ich lieber aus dem Weg und bin froh, wenn ich keinen Kontakt habe.
Was denken Sie über Impfgegner, die sich zwar impfen lassen könnten, es aber nicht wollen?
Dazu habe ich eine zweigeteilte Meinung. Ich bin demokratisch eingestellt: Ich würde es grundsätzlich akzeptieren – auch, wenn ich kein Verständnis dafür habe. Aber unter einer Prämisse: Wenn sie das Recht des Nicht-Impfens in Anspruch nehmen wollen, müssen sie auch die Einschränkungen in Kauf nehmen. Dann gibt es eben keine Teilhabe mehr am gesellschaftlichen Leben. Auch ich sage: Ich dürfte zwar überall hin, wo 2G gilt – aber ich mache es nicht. Denn dort, wo 2G gilt, können die Geimpften oder Genesenen ansteckend sein. Wir sind eine Solidargemeinschaft und da muss man auch gegenseitig Rücksicht nehmen.
Was würden Sie sich von Impfgegnern wünschen?
Haltet euch an die allgemeingültigen Corona-Regeln: Abstand, Maske, Kontaktbeschränkungen. Das ist die einfachste Möglichkeit, sich solidarisch zu verhalten – auch, wenn ihr eine andere Meinung zur Pandemie habt.
Wie blicken Sie in die Zukunft?
Ganz ehrlich: Sehr skeptisch. Ich weiß nicht, wie die ganze Situation sich entwickelt. Wir haben ein extrem großes Problem. Einmal durch die Politik, die sehr viel versiebt hat – und zwar in den vergangenen 70 Jahren. Es gab keinen Pandemieplan – und damit meine ich nicht zwei oder drei Sätze als Ergänzung zu einem Gesetz. Ich meine ein richtiges Buch, das im Umfang dem Sozialgesetzbuch entspricht – darin muss alles geklärt sein, wirklich alles. Und das haben wir nicht – und das ist ein Problem.
Ein Virus kennt weder Demokratie noch Freiheit – ein Virus ist ein Diktator, dem man mit diktatorischen Mitteln begegnen muss. Und da machen viele Menschen nicht mehr mit. Das sieht man ja auch bei den Demonstrationen. Aber die Politik müsste noch viel härter durchgreifen. Aber wir haben auch nicht ausreichend Polizei- oder Ordnungskräfte. Und ich sehe auch ein großes Problem in der Spaltung, in der sich Rechtsradikale, "Reichsbürger" und Extremisten jetzt zusammenrotten können. Das wird hart.
Könnte die Impfpflicht eine Lösung sein?
Nein, muss ich leider sagen. Eine Impfpflicht bringt nicht den Erfolg, den sie bringen könnte. Denn die Impfungen sind ja nicht die klassischen Impfungen, wie wir sie von vielen anderen Krankheiten kennen: Man wird geimpft und ist kein Überträger mehr. Bei Corona können Geimpfte die Viren dennoch weitergeben. Der größte Vorteil der Impfung ist, dass verhindert wird, dass das Gesundheitssystem überlastet wird. Insofern wäre eine Impfpflicht in Bezug auf ein Nicht-Zusammenbrechen des Gesundheitssystems gut – aber ich sehe keine effektive Wirksamkeit gegen die Pandemie.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Baudach!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.