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Corona-Krise: "Gebt den Impfstoff armen Ländern statt unseren Kindern"


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Kampf gegen Pandemie
Experte: Gebt den Impfstoff armen Ländern statt unseren Kindern


Aktualisiert am 27.05.2021Lesedauer: 4 Min.
Mali: In dem afrikanischen Land registrieren sich Menschen Ende März für die Corona-Schutzimpfung.Vergrößern des Bildes
Mali: In dem afrikanischen Land registrieren sich Menschen Ende März für die Corona-Schutzimpfung. (Quelle: Xinhua/imago-images-bilder)

Deutschland diskutiert über die Impfung von Kindern: Ein Medizinethiker erklärt, warum es wichtiger wäre den Impfstoff ärmeren Länder zu geben, als die Kleinen hierzulande zu immunisieren.

In Deutschland schreitet die Impfkampagne voran: Etwa 40 Prozent der Bundesbürger haben bereits ihre Erstimpfung erhalten, über 12 Prozent auch schon die zweite Dosis. Zum Vergleich: In Nicaragua wurden bislang 2,5 Prozent Erstimpfungen verabreicht. In Afghanistan sind es 1,2 Prozent, in Malawi 1,8 Prozent. Deutlich wird: Je ärmer ein Land, desto geringer die Impfquote.

70 Prozent der Impfstoffe für 16 Prozent der Weltbevölkerung

Das sollte eigentlich durch eine gerechte globale Impfstoffverteilung verhindert werden. Dafür gründete die WHO im April 2020 Covax, eine Initiative, die einen weltweit gleichmäßigen Zugang zu den Impfstoffen sicherstellen sollte. Fast alle Länder traten dem Bündnis bei. Über einen gemeinsamen Fonds sollte der Impfstoff gekauft und verteilt werden. Doch an diese Absprache hielten sich die reichen Länder nicht, die zur Belieferung ihrer Bevölkerung eigene Verträge schlossen.

Die Konsequenz: 70 Prozent der verfügbaren Impfdosen landeten in den reichen Ländern. Sie machen jedoch nur 16 Prozent der Weltbevölkerung aus. Und Impfnationalismus kann gefährlich werden. Es drohen etwa neue Varianten des Coronavirus die bisherigen Impferfolge zunichte zu machen. t-online hat dazu mit dem Medizinethiker Dr. Georg Marckmann von der Universität München gesprochen.

t-online: Herr Marckmann, warum ist die Impfstoffverteilung an die ärmeren Länder auch für uns so wichtig?

Georg Marckmann: Der globale Zugang zu Impfstoffen bleibt das effektivste Mittel in der Pandemiebekämpfung. Und das nicht nur unter ethischen Aspekten, sondern auch im wohl verstandenen Eigeninteresse. Denn: Die Pandemie ist nur dann bewältigt, wenn sie global bewältigt ist. Nicht nur die Gefahr von auftretenden neuen Virusvarianten spielt dabei eine Rolle.

Wir müssen uns klar machen: Solange weltweit nicht ausreichend Menschen geimpft sind, müssten wir uns als eventuell durchgeimpftes Land dauerhaft isolieren. Es gäbe viele Länder, in die wir nicht reisen können oder Länder, aus denen Menschen zu uns nicht einreisen dürfen. Ganz abgesehen von anderen ökonomischen Aspekten wie zum Beispiel unterbrochenen Lieferketten. Kurzum: Eine vollständige Isolation wäre praktisch kaum zu realisieren und hätte einen unverhältnismäßig hohen Preis.

Dr. Georg Marckmann
Dr. Georg Marckmann (Quelle: privat/ Fotograf: Yves Krier)

Dr. Georg Marckmann ist Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Wie kann es gelingen, den Impfstoff auch in die ärmeren Länder zu bekommen?

Wichtig wäre es, auch in den ärmeren Ländern Produktionskapazitäten vor Ort aufzubauen. Das würde einen nachhaltigeren Zugang zu den Impfstoffen ermöglichen. Denn es ist diesen Ländern nur wenig geholfen, wenn sie bei einer durch eine Virusmutante notwendig gewordene Nachimpfung wieder auf die Hilfe der reichen Länder angewiesen sind.

Die Impfstoffe müssen darüber hinaus auch für die ärmeren Länder finanzierbar sein. In den reicheren Ländern kann die Dosis durchaus etwas mehr kosten. Damit könnte sie in den ärmeren Ländern dann wesentlich günstiger abgegeben werden. Diese auch ökonomisch sinnvolle Preisdifferenzierung ist hier ethisch vertretbar.

Das wäre Aufgabe der Pharmaindustrie...

Ja, in diesen beiden Punkten sehe ich die Pharmaindustrie in der Pflicht. Sie hat auch schon entsprechende Schritte unternommen. Wenn sie hier nicht freiwillig ausreichend Verantwortung übernimmt, kann man auch über eine Aussetzung der Patente diskutieren.

Denn man muss sich klar machen: In die Erforschung der Impfstoffe sind mehr als zehn Milliarden Dollar Fördergelder geflossen. Und: Schon bevor die Impfstoffe überhaupt entwickelt waren, hatten die Hersteller bereits Verträge über garantierte Abgabemengen. Aus diesen Gründen könnte es durchaus vertretbar sein, den Patentschutz aufzuheben, wenn ein ausreichender Zugang zu den Impfstoffen global anders nicht zu erreichen ist.

Welche Rolle spielt die Politik?

Es liegt jetzt an den internationalen Institutionen, Strukturen zur Impfstoffverteilung zu schaffen. Leider haben die WHO und die UN exekutiv nur wenige Möglichkeiten. Dass die EU-Länder jetzt beschlossen haben, 100 Millionen Impfdosen an ärmere Länder zu spenden, sollte man nicht geringschätzen, kann aber nur ein Anfang sein. Eine globale Corona-Task-Force, die auch durchsetzungsstark ist, wäre jetzt vonnöten. Sie könnte zum Beispiel den vor Ort notwendigen Ausbau der Infrastrukturen unterstützen, damit die Verteilung der Impfstoffe in den ärmeren Ländern gut funktioniert.

Wie sollte bei der globalen Verteilung priorisiert werden?

Wir sehen weltweit, aber auch in unserem eigenen Land: Corona wird insbesondere für die ärmeren, sozio-ökonomisch benachteiligten Schichten zum Problem, während reichere Länder und Bevölkerungsgruppen sich besser vor Ansteckung schützen können und schneller den schützenden Piks bekommen. Das hat man zu spät erkannt. In der Impfpriorisierung hätte man diesen Aspekt früher berücksichtigen müssen. Damit stünden weiterhin die Menschen ganz oben auf der Priorisierungsliste, die das höchste Krankheits- und Sterberisiko haben, oder auch das höchste Risiko einer Infektion wie das medizinische Personal.

Bei einer globalen Priorisierung müsste dann in einer zweiten Phase versucht werden, durch die Impfung schwerwiegende soziale und wirtschaftliche Folgen bestmöglich zu reduzieren. Diese hat indirekt auch Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen: Armut erhöht das Risiko für Erkrankungen und einen früheren Tod – ob mit Covid oder ohne.

Diese Kollateralschäden der Pandemie werden oft nicht berücksichtigt...

Das stimmt. Die negativen Auswirkungen der Infektionsschutzmaßnahmen werden zu wenig in den Blick genommen. Bei den Corona-Toten haben wir eindeutige Sterbestatistiken. Die Menschen, die sterben, weil sich ihre sozio-ökonomische Lebenssituation durch die Anti-Corona-Maßnahmen deutlich verschlechtert hat, sind nicht direkt identifizierbar. Insbesondere Langzeitarbeitslose haben nicht nur ein höheres Risiko für schwerwiegende Verläufe von Covid-19, sondern leiden auch häufiger an anderen Erkrankungen und haben eine niedrigere Lebenserwartung. Auch diese Effekte sollten eigentlich als Auswirkungen der Covid-19-Pandemie statistisch erfasst werden.

Durchimpfen könnte auch diese Probleme lösen, da die Anti-Corona-Maßnahmen aufgehoben werden könnten. Was können wir hier dafür tun?

Wir sollten uns die Frage stellen, ob wir wirklich unsere Kinder und Jugendlichen durchimpfen sollten. Sie haben in der Regel keine schweren Krankheitsverläufe und sind – nach allem was man bislang weiß – auch keine Pandemietreiber. Wichtiger wäre es aus ethischer Sicht, die Impfstoffe in Länder abzugeben, bei denen der R-Wert noch über 1 liegt, die Pandemie sich also weiter ausbreitet. Und vor allem auch in diejenigen Länder, in denen nach statistischen Auswertungen die meisten Lebensjahre aufgrund der Corona-Infektionen verloren gehen.

Herr Marckmann, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Georg Marckmann vom 26. Mai 2021
  • Eigene Recherche
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