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Virologe Becker: "Sensationell, wie schnell Entwicklung von Impfstoffen vorangeht"


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Virologe Stephan Becker
"Sensationell, wie schnell die Entwicklung von Impfstoffen vorangeht"

InterviewVon Nicole Sagener

Aktualisiert am 30.04.2020Lesedauer: 5 Min.
Stephan Becker: Er wurde 1960 in Wetzlar geboren.Vergrößern des Bildes
Stephan Becker: Er wurde 1960 in Wetzlar geboren. (Quelle: Arne Dedert/dpa)
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Weltweit arbeiten Institute und Unternehmen an einem Impfstoff gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Auch der Virologe Stephan Becker ist mit seinem Team der Philipps-Universität in Marburg an der Erforschung eines neuen Impfstoffs beteiligt.

Im Interview mit t-online.de spricht Prof. Becker über den aktuellen Stand der Forschung an Impfstoffen und Medikamenten gegen die Lungenkrankheit Covid-19. Außerdem thematisiert er die Folgen des Lockdowns und nennt die wichtigsten Corona-Schutzmaßnahmen.

t-online.de: Die Corona-Beschränkungen werden in Deutschland derzeit schrittweise gelockert. Wir sind etwa beim Reproduktionsfaktor 1, knapp darüber kämen wir schnell an die Belastungsgrenze unseres Gesundheitssystems. Halten Sie die aktuellen Lockerungen für sinnvoll oder für verfrüht?

Prof. Dr. Stephan Becker: Aus Sicht des Virologen wäre es natürlich das Beste, wenn alle Menschen zu Hause blieben und so dazu beitragen, die Infektionsraten niedrig zu halten. Aber so einfach ist es leider nicht, wenn man die Corona-Epidemie globaler betrachtet.

Der Lockdown wirkt sich auf die Wirtschaft aus – und damit indirekt auch auf die Gesundheit der Menschen. Nicht nur in Deutschland und Europa, sondern in wirtschaftlich ohnehin schwachen Regionen etwa in Afrika.

Nehmen wir zum Beispiel den durch die Corona-Krise sinkenden Ölpreis: Der trifft besonders afrikanische Erdölförderländer südlich der Sahara hart, etwa Angola, Sudan und Nigeria. Vom Öl hängt in diesen Staaten das Überleben vieler Menschen ab. Daran sieht man, wie eng alles miteinander verknüpft ist.

Und natürlich ist der Lockdown auch für uns in Deutschland nicht gesund – psychologisch, durch die Einschränkungen bestimmter Aspekte der Krankenversorgung und andere Dinge.

Welche Konsequenzen könnten drohen, wenn der Lockdown zu schnell aufgegeben wird?

Wir müssen wohl oder übel erst einmal abwarten, was die Lockerung zur Folge hat. In solch einer Situation waren wir schließlich noch nie zuvor. Wenn sich jetzt schnell viele Menschen infizieren, müssen die Lockerungen womöglich wieder zurückgenommen werden. Trotzdem: Es ist gut, Lockerungen zu testen – wenn flankierende Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Was hätten wir alternativ machen sollen? Warten, bis ein Medikament oder eine Impfung gegen Covid-19 da ist? Wann das passiert, ist noch unklar – aber es wird noch dauern.

(Quelle: Frank Rumpenhorst)

Prof. Dr. Stephan Becker
Der Forscher Stephan Becker ist Professor für Virologie und Leiter des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität Marburg. Er ist an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus beteiligt.


Je mehr Schutzkonzepte, desto mehr Lockerungen sind möglich, heißt es von der Bundesregierung. Was sind Ihrer Meinung nach aktuell die wichtigsten Schutzmaßnahmen?

Das klingt jetzt etwas wie eine Predigt. Aber letztlich ist jeder Einzelne mit dafür verantwortlich, dass wir die Ausbreitung des Coronavirus verlangsamen. Alle müssen verstehen, dass es jetzt wichtig ist, verschiedene Schutzmaßnahmen weiter zu verfolgen und gleichzeitig die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen.


Zu den wichtigsten Schutzmaßnahmen gehört einerseits das Tragen von Mund-Nasen-Schutz. Der hilft auf jeden Fall, andere zu schützen, wenn man selbst unwissentlich infiziert ist. Aber das einzuhalten fällt natürlich schwer – auch, weil man damit vorrangig andere schützt und sich selbst nur wenig. Zudem unterstütze ich die Idee für eine Corona-Tracing-App. Wichtig ist aber auch, dass die Testungen auf SARS-CoV-2 ausgeweitet werden.

Sprechen Sie nur von den PCR-Tests, oder auch von Antikörper-Tests, die eine überstandene Infektion nachweisen können?

Auch die Immuntests sind wichtig, weil sie wichtige Hinweise darauf liefern können, wie viele Menschen – teilweise auch unbemerkt – bereits mit dem Coronavirus infiziert waren.

Noch ist gar nicht klar, welche Art von Immunschutz nach der Genesung von Covid-19 aufgebaut wird und wie lange dieser wirkt. Es gibt immer wieder Berichte über Genesene, die sich mit Covid-19 erneut infiziert haben. Halten Sie Mehrfachansteckungen für wahrscheinlich?

Ich weiß es schlicht nicht. Aber ich halte das eher für unwahrscheinlich. Wir wissen, dass die Testergebnisse von der Qualität der Testungen selbst, aber auch der Abstriche abhängt und da einiges schiefgehen kann. Außerdem ist die Zahl der berichteten Reinfektionsfälle verschwindend gering gegenüber der Zahl der nachweislich von Covid-19 Genesenen und auch Tierexperimente liefern bisher keine Hinweise auf Mehrfachinfektionen.

Der Virologe Christian Drosten hat die Hintergrundimmunität thematisiert – also eine mögliche Immunität gegen das neue Coronavirus, die durch bestimmte Vorerkrankungen entstanden ist. Wie lautet Ihre Einschätzung?

Diese Möglichkeit kann man nicht ausschließen. Ich glaube schon, dass es zu Kreuzaktivitäten mit anderen Coronaviren kommen kann. Wir wissen jedenfalls, dass etwa das Humane Coronavirus NL63 den gleichen Rezeptor wie SARS-CoV-2 nutzt, um in die menschliche Zelle einzudringen. Das heißt aber leider nicht, dass man einfach eine Immunisierung gegen das neue Coronavirus über eine gezielte Infektion mit einem schon bekannten Coronavirus vornehmen könnte. Das wäre heikel und müsste ebenso aufwendig geprüft werden, wie die Impfstoffe, die jetzt schon in der Entwicklung sind.

Sie forschen zurzeit an einem Impfstoff gegen SARS-CoV-2. Wie ist der aktuelle Stand der Untersuchungen?

Wir nutzen in unserer Impfstoffforschung frühere Erfahrung aus der Forschung an einem Impfstoff gegen das MERS-Coronavirus. Hier dient ein nicht krank machendes Virus als Träger. Nach der Impfung kapert dieser Erreger die menschlichen Zellen und bildet dort das Hüllprotein von SARS-CoV-2, das vom Immunsystem erkannt wird.

Wir testen unseren Impfstoffkandidaten gerade an Tieren und hoffen, dass wir ihn in vier bis fünf Monaten auch an Menschen erproben können. Davor muss er aber erst sicher produziert werden, das allein braucht Zeit.

Wie viel Zeit die einzelnen Phasen der Impfstoffentwicklung brauchen, beschäftigt ja gerade die ganze Welt…

Ich finde es sensationell, wie schnell die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen gerade vorangeht. Das hätte ich mir vorher nicht vorstellen können.

Das bedeutet auch, dass mächtige Ressourcen zurzeit nur in die Forschung zum Coronavirus fließen.

Genau. Auch unser Forschungsprogramm hat sich seit dem Ausbruch von SARS-CoV-2 komplett gewandelt. Rund 20 Forscher aus meinem Team befassen sich zurzeit nur mit der Diagnostik von Covid-19, einem Impfstoff und der Generierung von Antikörpern.

Diese Pandemie offenbart, dass Gesundheitsforschung immer ein Abwägen erfordert: Stecken wir sehr viel Mittel in die Impfstoffforschung, vernachlässigen wir in der Folge vielleicht Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes. Wir werden uns also nie gegen alles schützen können.

Die Forschung an SARS-CoV-2 ist so breit, dass täglich zig neue Erkenntnisse veröffentlicht werden. Wie behalten Sie da den Überblick?

Niemand kann alle Studien verfolgen. Aber angesichts der ständig neuen Meldungen zu Corona halte auch ich manchmal alles für möglich. Als US-Präsident Donald Trump kürzlich riet, Desinfektionsmittel gegen das Virus zu spritzen und abends gemeldet wurde, eine Studie habe den Nutzen von Desinfektionsmittel als Wirkstoff erprobt, habe ich das zuerst für bare Münze genommen und war erschrocken. Kurz darauf stellte sich raus, dass es sich um eine gut gemachte Twitter-Nachricht handelte, die Trump karikieren sollte.

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Darum greife ich nur auf in Fachjournals und auf Preprint-Servern veröffentlichte Daten zu. Ich halte es auch für eine Unsitte, dass Wissenschaftler Zwischenergebnisse ihrer Untersuchungen zuerst in der Presse vorstellen.

Sie sprechen von der durch Hendrik Streeck geleiteten Heinsberg-Studie?

Ja. Wissenschaft lebt davon, dass Forscher sich austauschen, ihre Manuskripte bei Fachzeitschriften einreichen und Kollegen das kritisch hinterfragen. Dadurch werden im besten Fall Unklarheiten und Fehler beseitigt. Bei der Heinsberg-Studie kann sich aber kein anderer Experte ein genaues Bild machen – etwa davon, wie die Tests genau konzipiert und durchgeführt wurden. Auch dass sie als repräsentativ für die deutsche Bevölkerung gelten soll, sehe ich kritisch.

Derzeit werden auch mehrere schon existierende Medikamente beforscht, die bei Covid-19-Patienten zum Einsatz kommen könnten. Wie viel Hoffnung setzen Sie in solche Wirkstoffe?

Bei diesen Wirkstoffen geht es ja dauernd hin und her: wirkt, wirkt doch nicht oder kann schaden. Aber bei einigen gibt es ja schon vielversprechende Ergebnisse aus Experimenten an Tieren. Ich bin guter Hoffnung, dass die jetzt durchgeführten klinischen Studien zeigen werden, dass zumindest einige dieser Wirkstoffe den Verlauf von Covid-19 verbessern.

Vielen Dank für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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