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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Corona ist zurück "Die Impfung ist unsere wirksamste Waffe"
Die Corona-Zahlen steigen, die WHO beobachtet das mit Sorge. Wie gefährlich der Herbst wird, darüber sprach t-online mit der Virologin Ulrike Protzer.
Erstmals seit 2020 gelten für den Herbst keine strengen Eindämmungsmaßnahmen gegen das Coronavirus. Nun aber warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor steigenden Infektionszahlen und immer mehr Krankenhausaufenthalten von Covid-Patienten. "Im Vorfeld der Wintersaison auf der nördlichen Erdhalbkugel beobachten wir weiterhin besorgniserregende Covid-19-Trends", sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus kürzlich in Genf.
In Deutschland vermeldet das Robert Koch-Institut seit Wochen steigende Corona-Zahlen. Da jedoch kaum noch getestet wird, lässt sich das wahre Infektionsgeschehen lediglich schätzen.
Sorgen bereitet den Experten zudem eine im Juli erstmals in Dänemark entdeckte Corona-Variante: Pirola. Sie weist über 30 Mutationen im Spike-Protein auf, mit dem das Virus in die menschlichen Zellen eindringt, – deutlich mehr als die lange dominierende Mutante XBB.1.5. Die Zahl der Mutationen gilt als enorm hoch und nährt die Befürchtung, dass die ab Mitte September zur Verfügung stehenden Impfstoffe nicht mehr wirken könnten.
Müssen wir uns also Sorgen machen? t-online sprach darüber mit der Münchner Virologin Ulrike Protzer.
t-online: Frau Protzer, zunächst eine ganz praktische Frage: Man hört jetzt oft von Menschen, die an den typischen Corona-Symptomen leiden, deren Schnelltests aber negativ sind. Sind die Tests überhaupt noch sensitiv genug und können eine Infektion mit den neuen Varianten zuverlässig erkennen?
Ulrike Protzer: Ja, die Tests erkennen auch die neuen Varianten. Es ist eher ein altbekanntes Problem, dass erst eine gewisse Zellschädigung vorhanden sein muss, damit die Tests anschlagen. Ich empfehle daher, den Test nach 48 Stunden zu wiederholen, wenn man auf Nummer sicher gehen will.
Prof. Dr. Ulrike Protzer ist Direktorin des Instituts für Virologie am Helmholtz-Zentrum München und Leiterin des Instituts für Virologie an der TU München
Pünktlich zum Herbst ist Corona wieder da. Sie überrascht das vermutlich nicht?
Nein, das war zu erwarten. Die Intensität des UV-Lichts nimmt wieder ab, das ist entscheidend für die Ausbreitung des Virus. Hinzu kommt natürlich die Tatsache, dass wir uns wieder mehr in Innenräumen aufhalten. Die Übertragungsmöglichkeiten werden für das Virus also wieder besser.
Dennoch sehen wir derzeit noch sehr niedrige Inzidenzen und Infektionszahlen. Allerdings testen wir schon lange nicht mehr flächendeckend. Die Dunkelziffer dürfte also viel höher sein?
Ich rechne mit einer 90-prozentigen Dunkelziffer, das heißt 90 Prozent der Infizierten sind in den Statistiken nicht erfasst. Sie sehen: Corona ist schon viel weiter verbreitet, als die Zahlen glauben machen.
In Deutschland gilt zurzeit die Eris-Variante als dominant. Allerdings bereitet Pirola – BA.2.86 – vielen Experten Sorgen. Ihnen auch?
Ich denke, es gibt keinen Grund zur Panik. Studien deuten darauf hin, dass diese Variante zwar den Immunschutz tatsächlich besser umgehen kann. Sie entzieht sich also der durch Impfung und/oder Infektion aufgebauten Abwehr besser. Allerdings scheint sie auch weniger ansteckend zu sein und wird sich daher vermutlich nicht so rasch verbreiten können. Und noch eine gute Nachricht: Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Erkrankungen bei dieser Variante schwerer verlaufen.
Israel unternimmt jetzt Schritte, um herauszufinden, wie weit die neue Variante überhaupt verbreitet ist. Jede Neuaufnahme in israelischen Krankenhäusern wird jetzt PCR-getestet. Eine gute Maßnahme?
Ja, das ergibt Sinn, wenn man herausfinden will, wie weit eine Variante verbreitet ist.
Nun besorgt die israelischen Behörden, dass offenbar auch die Zahl der schweren Fälle steigt. Man versucht herauszufinden, ob und inwiefern Pirola damit zu tun hat.
Dass mit steigenden Infektionszahlen auch wieder mehr Menschen schwer erkranken, ist klar und hängt nicht zwangsläufig mit einer bestimmten Variante zusammen. Der Immunschutz der Älteren und Immungeschwächten nimmt nach etwa einem Jahr rapide ab. Daher wird diesen Risikogruppen die Nachimpfung dringend empfohlen. Aber auch die Impfung bietet natürlich keinen 100-prozentigen Schutz.
Wissen wir denn, inwieweit Pirola bei uns schon angekommen oder verbreitet ist? Wir testen ja kaum noch und sequenzieren noch weniger.
Wir monitoren Corona auch über das Abwasser-Screening. Und in Bayern gilt zum Beispiel die Regel, dass jeder positive Corona-Fall in den Uni-Kliniken untersucht wird. Dazu wird das Virus-Genom ermittelt, also sequenziert, um welche Variante es sich handelt. Bislang gibt es noch keine bestätigten Fälle der Variante in Deutschland – aber dass sie auch bei uns ankommt, ist nur eine Frage der Zeit.
Kann es im schlimmsten Fall so weit kommen, dass im Herbst doch wieder Corona-Regeln kommen?
Wir werden auch in diesem Herbst und Winter wieder Personen sehen, die eine Maske tragen, um andere zu schützen, etwa bei Besuchen in Pflegeheimen oder Krankenhäusern. Oder Menschen, die Symptome haben. Aber eine flächendeckende Maskenpflicht wird es nicht wieder geben. Davon gehe ich aus.
Vielleicht die wichtigste Frage: Wie gut wirken die Impfstoffe, die ab Mitte September zur Verfügung stehen? Das Vakzin ist schließlich auf die im Frühling und Sommer dominante Variante XBB.1.5 zugeschnitten.
Ich rechne damit, dass die Impfstoffe wirksam sind. Eris und XBB.1.5 unterscheiden sich nur durch wenige Mutationen. Und obwohl Pirola deutlich mehr Mutationen aufweist, zeigen erste Studien, dass auch hier die Impfstoffe wirksam sein können. Sollte sich Pirola also wirklich durchsetzen, zeigen die Impfstoffe dennoch Wirkung. Doch uns muss klar sein: Einen 100-prozentigen Schutz gibt es nicht, trotzdem ist die Impfung unsere wirksamste Waffe.
Frau Protzer, wir danken Ihnen für das Gespräch!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview mit Ulrike Protzer