Kaltes Wasser – gesund und riskant Das macht Eisbaden mit dem braunen Fettgewebe
Furchtlose Menschen hüpfen gerne in eisiges Wasser oder duschen kalt. Dr. Yael Adler klärt auf, wie unser Körper auf Kälte reagiert und wem davon abzuraten ist.
Wer sie auf Fotos oder in Fernsehbeiträgen sieht, bewundert sie oder ist entsetzt: Menschen jeden Alters, die in Badebekleidung Eislöcher, offene Gewässer oder die Regentonne hinterm Haus aufsuchen. Meist steht ihnen der Spaß ins Gesicht geschrieben und weckt nicht selten unseren Neid. Einige von uns Warmduschern möchten unbedingt sofort auch so unerschrocken sein und so ausdauernd immer wieder ins eiskalte Wasser eintauchen. In den baltischen, den skandinavischen Ländern, in Russland oder Tschechien ist Winterbaden seit Jahrhunderten eine Art Volkssport.
Es gibt eine gute Nachricht für alle, die schon immer mit gemischten Gefühlen auf die Mutigen geschaut haben: Mit etwas Vorbereitung kann eigentlich jeder, der die gesundheitlichen Voraussetzungen und etwas Geduld mitbringt, zum unerschrockenen und fröhlichen Winterbader werden. Letzteres ist aber auch gleich die schlechte Nachricht, falls Sie heute noch starten wollen: In diesem Winter wird es zeitlich schon knapp. "Einfach ins kalte Wasser springen", mag als Redensart und im übertragenen Sinne hilfreich sein; wer es direkt und am eigenen Leibe vorhat, lässt besser Vorsicht walten.
Zur Person
Dr. med. Yael Adler ist Fachärztin für Dermatologie, Venerologie, Phlebologie und Ernährungsmedizin (DGEM). Seit 2007 praktiziert sie in ihrer eigenen Praxis in Berlin. Ihr Talent, komplexe medizinische Sachverhalte anschaulich und unterhaltsam zu vermitteln, stellt sie seit Jahren in Vorträgen, Veranstaltungsmoderationen und den Medien unter Beweis. Über Prävention und Therapien spricht sie regelmäßig in ihrem Podcast "Ist das noch gesund?". Ihre Bücher "Haut nah" und "Darüber spricht man nicht" standen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Mit ihrem letzten Buch "Genial vital! – Wer seinen Körper kennt, bleibt länger jung" durfte sich die leidenschaftliche Ärztin erneut über diese Spitzenplatzierung freuen.
Das Geheimnis des Winterbadens liegt unter anderem in der allmählichen Gewöhnung an niedrigere und schließlich winterliche Luft- und vor allem Wassertemperaturen.
Zu allem Entschlossene beginnen deshalb gern schon im Sommer vorsorglich mit Wechselduschen: Zwei- bis dreimal die Woche wird der Körper bei noch annehmbaren Luft- und an immer kühler werdende Wassertemperaturen gewöhnt. Oder einfach nach der warmen Dusche auf kalt stellen, das rund 8-12 Grad kalte Leitungswasser genießen und von 30 Sekunden langsam auf drei Minuten steigern. Auch Kneipp-Bäder werden dazu empfohlen.
Blut zieht sich ins Körperinnere zurück
Rechtzeitig vorbereitet und richtig eingeleitet, kann das Eisbaden mit vielen hilfreichen Gesundheitseffekten punkten. Beim langsamen Eintauchen in die kalten Fluten stellen sich die Blutgefäße eng. Vor allem für den untrainierten Badegast ist das lediglich eine Stressreaktion: Unser Organismus schaltet um auf Reserve. Er zieht das Blut von Armen und Beinen weiter ins Innere des Körpers, um unsere Organe mit anhaltenden 35 bis 37 Grad Körperkerntemperatur gegen einen Kälteschock zu wappnen.
Das ist nicht nur für das Herz, sondern auch für das Hirn wichtig. Der Begriff "arschkalt" kommt jedoch eher von "arg" kalt, als dass wir tatsächlich mit Po-Frost rechnen müssen.
Zeitgleich mit der angepassten Steuerung des Blutflusses, wandeln wir auch noch zusätzlich körpereigene Energie in Wärme um, damit es im Innersten schön gemütlich bleibt. Das passiert vor allem, wenn wir durch regelmäßigen Kältekontakt unser braunes Fettgewebe vermehren konnten, das reich an Zellkraftwerken ist (Mitochondrien) und der Wärmeproduktion und Gewichtskontrolle dient.
Was ist braunes Fett?
Die Zellen von braunem Fettgewebe haben eine besondere Fähigkeit: Sie können Wärme produzieren. Das geschieht durch die Oxidation von Fettsäuren. Bis auf das Schwein haben alle neugeborenen Säugetiere dieses braune Fett, das vor Kälte schützt. Bei erwachsenen Menschen liegt es vor allem im Bereich der Schlüsselbeine und Wirbel.
Später weiten sich die Gefäße wieder und unser Blutfluss zirkuliert wieder flotter (reaktive Hyperämie). So bleiben die Blutgefäße fit und unser Kreislauf wird stabilisiert.
Nebenwirkung: gute Laune
Beobachtet werden sogar psychische Effekte, bei der Bekämpfung von Angst- und Panikattacken und der Verbesserung unserer Schlafqualität. Auf jeden Fall sind wir im Anschluss gut gelaunt bis albern. Und stolz.
Auch Leistungssportler schwören auf die segensreichen Effekte des Kältebadens: Es setzt Endorphine, Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin frei. Endorphine lösen eine Art Notfallszenario in unserem Körper aus. Sie mindern den Schmerz und können sogar für Euphorie sorgen. Adrenalin optimiert körpereigene Energie und befeuert zusätzlich den Blutfluss. Cortisol wirkt antientzündlich, Noradrenalin aktiviert die braunen Fettzellen und kurbelt so die Fettverbrennung an. Der Organismus kann sich bei regelmäßiger Anwendung nach sportlichen Herausforderungen schneller wieder erholen, bleibt schlanker und hat weniger Diabetesrisiko.
Vorher den Hausarzt fragen
Für Herz- oder Kreislauf-Erkrankte kann es zwar, vorsichtig angegangen, ebenfalls ein super Training sein, doch für manche hört der Badespaß spätestens hier leider auf. Wenn jemand beispielsweise unter Bluthochdruck leidet, begrüßen seine Gefäße den raschen Wechsel von Kälte und Wärme unter Umständen nicht als Trainingseffekt, sondern reagieren ausgesprochen eingeschnappt. Dann führt die plötzlich einbrechende Kälte lediglich zu Rhythmusstörungen, einer lebensgefährlichen Gefäßverengung oder sogar zum Herzstillstand. Das möchte man keinesfalls ausbaden. Auch das Raynaud-Syndrom spricht dagegen: Die Blutgefäße an Fingern und Zehen ziehen sich dabei zu stark zusammen. Generell sollte deshalb vor winterlichen Wasserfreuden der Hausarzt konsultiert werden.
Sind diese Fragen geklärt, kann regelmäßiges Winterbaden unser Immunsystem zusätzlich in Fahrt bringen: Erkältungsviren holen sich eine entschiedene Abfuhr. Unter anderem, weil das kalte Bad die Zahl der Leukozyten in unserem Blut in die Höhe treibt, die unseren Schutz gegen Infektionen verstärken. Dieses gelingt auch durch das ebenfalls gesunde Saunieren.
Es gibt keine allgemein gültigen Regeln, wie lange der Einzelne sich im kalten Wasser aufhalten kann, wie schnell er auskühlt. Drei Minuten plus minus etwa gelten als eine erstrebenswerte Zeit. Generell muss aber jeder vor und beim Aufenthalt im eiskalten Element einschätzen, ob und wann es für ihn genug ist. Das kann bei Armen und Beinen schnell passieren, sie können zudem sehr schmerzen. Dagegen empfehle ich die Anwendung von Neoprensocken und -Handschuhen.
Nie alleine ins kalte Nass
Wie wir aus dem Schulunterricht wissen, hat Wasser bei geringen Temperaturen eine höhere Dichte als beim Planschen in sommerlichen Fluten. Das heißt: Bei Kälte und mit kalten Muskeln ist es auch schwerer, sich im Wasser zu bewegen. Lässige Schwimmzüge vor Winterkulisse schaffen wirklich nur Fortgeschrittene.
Erfahrene Winterschwimmer raten übrigens dringend, nie allein zum Eisbaden zu gehen: Sollte es hier doch mal zu Kreislaufproblemen oder anderen Komplikationen kommen, ist es besser und mitunter lebensrettend, jemanden dabeizuhaben.
Natürlich gibt es auch hier längst wieder Workshops und Kurse, bei denen man alles über den Frost ohne Frust lernen kann.
Bleiben Sie cool und gesund
Hier erfährt man etwa, wie wichtig die richtige Atmung ist: Auf den Kälteschreck reagieren Menschen mitunter mit aufgescheuchter Schnappatmung. Bewusstes Ein- und Ausatmen dagegen stützt den Kreislauf und mindert das subjektive Kältegefühl. Die drei Phasen des Eisbadens beschreibt der Eistrainer Daniel Ruppert mit Fight and Flight, Aushalten und Anschauen, dann Entspannen und Freuen.
Obwohl es auf Fotos immer lustig aussieht, kann ich nur raten, eine Mütze zu tragen und vor allem nicht unterzutauchen. Besonders über unseren Kopf geht nämlich sehr schnell sehr viel Wärme verloren. Das Gesicht kann man eintunken.
Nicht zuletzt hat das coole Badeerlebnis einen sozialen Aspekt: Er liegt im Gruppenkontakt. Wer darauf aus ist, findet im Internet bestimmt eine Eisbadegruppe oder einen Verein in seiner Nähe. Man trifft auf Gleichgesinnte und hat beim winterlichen Wasserspiel Erfahrene an seiner Seite.
Bleiben Sie also cool, anspruchsvoll und leben Sie gesund!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Eigene Meinung