Scheinmedikament Apotheken verkaufen Globuli als Placebo
Es ist ein kleiner Aufreger in den sozialen Netzwerken gewesen: Da warb eine Apotheke mit "Placebo-Globuli". Für eine Twitter-Userin war das schon in den ersten Januartagen das "Highlight 2018". Denn Globuli enthalten meist ohnehin keine Wirkstoffe. Aus diesem Grund wirken sie – wenn überhaupt – nur auf Basis eines Placebo-Effekts. Was es damit auf sich hat, lesen Sie hier.
Genaugenommen ist die Verkaufsstrategie, derer sich diese Apotheke hier bedient, nichts Neues. Auch andere Apotheken verkaufen Placebo-Globuli. Nur sagen sie es nicht ganz so offen, dass es sich dabei um Kügelchen handelt, die nie mit einem Wirkstoff in Berührung gekommen sind. Relativ verbreitet sind bereits homöopathische Kügelchen, die als "Rohglobuli" deklariert sind. Das sind nichts anderes als Globuli, die nicht mit homöopathischen Verfahren produziert worden sind, sondern von vornherein nur aus Rohrzucker oder Milchzucker bestehen. Sie werden auch als "unarzneiliche Globuli" bezeichnet. Das ist ein recht lukratives Geschäft, denn in der Herstellung kosten sie sehr wenig.
Globuli können als Placebo wirken
Im konkreten Fall, bei dem die Twitter-Gemeinde ins Diskutieren geraten ist, gibt die Apotheke es aber immerhin zu, dass die Zuckerkügelchen (Globuli), keine pharmakologische Wirkung haben. Sie könnten lediglich deshalb wirken, weil derjenige der sie einnimmt, glaubt, er bekäme ein Medikament. Die Zielgruppe sind Mütter, die ein krankes Kind mit Globuli "behandeln", dem gesunden Geschwisterkind jedoch nichts von den Kügelchen geben wollen. Aber kleine Kinder lieben Zuckerkugeln und wollen sie unbedingt haben. Was also tun, bevor es Streit und Tränen gibt?
Die Apotheke hat DIE Lösung: Da ihre Globuli "eine wertvolle Therapieform" seien, heißt es auf der Internetseite, "möchte man nicht, dass das Geschwisterkind diese einfach wegstibizt. Und manchmal ist der Neid des Geschwisterchens einfach so groß, dass man fast nachgeben möchte. Hierfür bieten wir Ihnen die Alternative: Unsere wirkstofffreien Placebo Globuli." Kostenpunkt: 2 Euro das Fläschchen (Inhalt 10 Gramm).
Eigentlich gar nicht so doof, die Idee. Denn erstens: Wer ein Kind mit Bauchschmerzen zu Hause hat, wird ihm meist keine Medikamente verabreichen wollen. Da wären Placebos im Arzneimittelschränkchen manchmal sehr praktisch. Das Kind weiß ja nicht, dass nichts drin ist und kann mithilfe der Kügelchen seine Selbstheilungskräfte in Gang setzen. Und zweitens: Die Placebo-Globuli sind günstiger als Arzneimittel UND sie haben KEINE Nebenwirkungen.
Kein Wirkstoff mehr in Globuli nachweisbar
Ebenso geeignet als Placebo sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen aber auch fast alle anderen handelsüblichen Globuli. Denn, so aufwendig ihre Herstellung nach den Kriterien der klassischen Homöopathie auch ist, am Ende können Wissenschaftler in den allermeisten Fällen keine Wirkstoffe mehr nachweisen – selbst mit noch so moderner Labortechnik. Der Grund: Globuli werden nach der Lehre von Samuel Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie, so hergestellt, dass ihre Inhaltsstoffe verdünnt werden.
Die Wirkstoffe in den weißen Kügelchen, die grundsätzlich frei verkäuflich in Apotheken zu haben sind, wurden während ihres Herstellungsverfahrens nämlich unzählige Male verdünnt und geschüttelt – und zwar in Richtung Erdmittelpunkt, das ist essentiell. Homöopathen sagen "potenziert". Insbesondere für Mathematiker klingt das höchst widersprüchlich, denn potenzieren heißt schließlich erhöhen, vermehren oder verstärken. Doch bei der Herstellung von Homöopathika passiert genau das Gegenteil. Und es wird noch kruder: Homöopathen sind nämlich der Überzeugung, je weniger drin ist (also je stärker die Substanz verdünnt beziehungsweise "potenziert" wird), desto intensiver wirkt sie. Unter naturwissenschaftlichen Kriterien ist diese "Wirkweise" weder nachvollziehbar noch nachweisbar.
Die Nadel im Heuhaufen ist leichter zu finden
Die Substanzen, die auf den Fläschchen angegeben sind, etwa Arnica, Beladonna oder Chamomilla wurden im homöopathischen Herstellungsprozess in vielen aufeinanderfolgenden Schritten so weit verdünnt, bis ein Laborant mit solider Ausbildung unter dem Mikroskop häufig nicht mal mehr ein einziges Molekül der Ausgangssubstanz finden kann. Die Mehrheit der Globuli ist so stark verdünnt, dass das Mischungsverhältnis in den feilgebotenen Kügelchen denkbar zuungunsten des Wirkstoffes ausfällt.
Ein Beispiel: Das Präparat Arnica C6 wurde sechsmal hintereinander verdünnt und zwar im Verhältnis 1:100. Dabei wurde die Urtinktur so lange seines Wirkstoffs aus der Arnica-Blüte beraubt und stattdessen mit einem Lösungsmittel aufgefüllt, bis nichts mehr drin war. Auf der Verpackung steht allerdings noch drauf, was mal drin war. Wissenschaftler haben deshalb weit größere Chancen, eine Nadel im Heuhaufen zu finden, als eben jenes Molekül Arnica, das einmal in der Ausgangssubstanz schwamm. Eine sogenannte Niedrigpotenz, etwa D6 Arnica "enthält" nur EINEN Anteil von einem Millionstel der Urtinktur.
Globuli werden häufig auf Basis von toxischen Substanzen hergestellt
In vielen Fällen ist das wohl auch besser so. Wo kein Molekül, da kein Schaden, könnte man konstatieren. Denn Globuli werden nicht selten auf Grundlage von hochgiftigen oder auch höchst ekelhaften Stoffen erzeugt. Zum Beispiel Hundekot, Kakerlaken oder auch Arsen. Zum Glück so stark verdünnt, dass tödliche Substanzen dem Menschen nichts mehr anhaben können.
Das haben öffentlichkeitswirksam vor einigen Jahren Hunderte Aktivisten in England gezeigt. Sie postierten sich vor mehreren Apotheken einer Kette und jeder der Teilnehmer kippte sich ein ganzes Fläschchen Arsenicum album in den Mund und schluckte die Globuli unbeeindruckt einfach hinunter. Die Konsumenten blieben trotz Überdosis allesamt unbeschadet. Es trat weder eine Wirkung, noch eine Nebenwirkung ein. Das Präparat soll – so das Versprechen – gegen Unruhe und Lebensmittelvergiftungen helfen.
In den USA wurde dem Stand der Wissenschaft inzwischen insofern Rechnung getragen, als dass auf jeder Verpackung von Globuli ein Hinweis aufgedruckt werden muss: "Es gibt keine wissenschaftlichen Belege, dass dieses Produkt wirkt." Oder: "Die Wirkungsbehauptungen des Produkts basieren einzig auf homöopathischen Theorien aus dem 18. Jahrhundert, die von den meisten modernen Medizinexperten nicht anerkannt werden."
Ein solcher Hinweis fehlt auf Präparaten, die in Deutschland erhältlich sind, bislang.
Quellen und weiterführende Informationen:
- www.twitter.com
- Promed e. V. Verein gegen unlautere Praktiken im Gesundheitswesen Frankfurt am Main: https://web.archive.org/web/20071022035056/http://www.promed-ev.de/modules/wfsection/article.php?articleid=3
- Der Spiegel 28/2010
- Eigene Recherchen
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.