Behinderte Kinder Wo Eltern schwerbehinderter Kinder Rat und Hilfe finden
Ein schwerstbehindertes oder schwerstkrankes Kind zu haben, ist eine der größten Herausforderungen für Eltern. Heike Kreß ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin beim Sozialdienst am KBO-Kinderzentrum in München. Sie kennt die Nöte und Sorgen solcher Familien und versucht täglich, Betroffenen zu helfen.
Wenn Eltern eröffnet wird, dass ihr Kind schwerstbehindert ist, stürzt das die meisten in ein tiefes Loch. "Oft zeigen sich dann erstmal sehr viel Wut und Aggression – klar, mein Lebensentwurf ist zerstört! Und auch die Frage Warum steht im Vordergrund – auf diese wird man aber niemals eine Antwort finden", weiß Heike Kreß.
Die Sozialpädagogin versucht Eltern dabei zu unterstützen, die Behinderung ihres Kindes anzunehmen: "Es geht darum zu begreifen, was es für mich heißt, dass mein Kind so ist. Man kann nicht einfach sagen 'zack – nun akzeptiere ich es.' Das ist ein langer Prozess, der bestimmte Phasen der Verarbeitung durchlaufen muss. Je nachdem, wo die Eltern in der Behinderungsannahme gerade stehen, nützt es auch manchmal gar nichts, Hilfe anzubieten. Dann muss man die Zeit arbeiten lassen. Währenddessen kann man nur signalisieren, dass man da ist, wenn die Eltern einen brauchen“, berichtet Kreß.
Schweigen macht alles viel schlimmer
In unserer Gesellschaft bestehen immer noch Berührungsängste gegenüber Behinderten. "Die meisten Menschen wissen einfach nicht, wie sie auf Freunde oder Verwandte zugehen sollen, die ein schwerstbehindertes Kind bekommen haben. Viele sind gehemmt und trauen sich nicht, es anzusprechen", so Kreß. "Daher empfehle ich den Eltern mit ganz kleinen schwerstbehinderten Kindern immer, so offensiv wie möglich damit umzugehen." Natürlich wird den Eltern extrem viel abverlangt: Sie müssen selber lernen, ihre schwierige neue Lebenssituation anzunehmen und zugleich sollen sie dabei auch noch auf andere zugehen. "Aber je länger ich es verschweige, desto schwieriger werden Entscheidungen wie: Wann erzähl ich es? Wie erzähl ich es? Und komme ich nach längerer Zeit der Verheimlichung überhaupt mit dem anderen wieder ins Gespräch? Denn das, was mich am meisten beschäftigt, habe ich ihm ja noch gar nicht erzählt", gibt die Sozialpädagogin zu bedenken.
Dadurch bestehe die Gefahr, dass Beziehungen immer oberflächlicher werden – und dabei brauchen gerade Eltern behinderter Kinder Menschen, mit denen sie über ihre Probleme reden können. "Über die Nähe können sich Eltern neue Kraft holen. Man sollte sich ein Netz an Menschen schaffen, mit denen man darüber reden kann, aber nicht muss! Denn das Thema totzuschweigen, bringt keinen weiter", ermutigt Kreß.
Welche Hilfe Eltern gesetzlich zusteht
Die Mitarbeiter des Sozialdienstes zeigen betroffenen Eltern auch auf, welche Hilfen es gibt. Von gesetzlicher Seite stehen ihnen ein Behindertenausweis für das Kind sowie die Hilfe von Pflegediensten, beziehungsweise die Zahlung von Pflegegeld zu.
Ein Problem für Eltern mit einem schwerstbehinderten Kind ist die Einordnung in die Pflegestufen: Behinderte Kinder werden im Vergleich zum gleichaltrigen, gesunden Kind beurteilt. "Es gibt Minutenberechungen, was ein Kind in einem bestimmten Alter an Hilfestellung braucht", erklärt Kreß. "Da muss ich über einem festgeschriebenen Zeitrahmen liegen, um in eine Pflegestufe zu kommen."
Pflegegutachten anfordern
Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) macht zur Feststellung der Pflegestufe einen Hausbesuch. "Danach hat man Anspruch auf ein Pflegegutachten. Das ist eine ausführliche Beurteilung, wie der Mitarbeiter des MDK zu seiner Einschätzung gekommen ist", erklärt Heike Kreß. "Das Pflegegutachten gehe ich genau mit den Eltern durch und schaue, ob es auch wirklich realistisch ist. Hat der MDK die Diagnose richtig wiedergegeben? Hat er davon ausgehend die richtigen Rückschlüsse auf den Pflegeaufwand gezogen? Wenn ich zum Beispiel ein schwerstbehindertes Kind habe, das sich nicht rühren kann, ist dem MDK klar, dass ich es nachts umbetten muss – dann bekomme ich vermutlich Pflegestufe III. Wenn ich aber ein bewegliches Kind habe, erschließt sich dem MDK vielleicht nicht, dass ich nachts besonders viel zu tun habe, weil das Kind dann besonders unruhig ist. Es hängt auch ein wenig vom Gutachter ab und dessen Erfahrung mit solchen Kindern“, berichtet Kreß aus ihrer 20-jährigen Praxis beim Sozialdienst.
Widerspruch einlegen
Sollte die Einschätzung des MDK nicht dem tatsächlichen Pflegeaufwand entsprechen, kann man gegen den Bescheid Widerspruch einlegen. Auch dabei hilft der Sozialdienst. "Für Eltern, die sich damit auseinandersetzen müssen, ist es wahnsinnig viel Bürokratie", weiß Kreß. Wichtig ist, den Widerspruch so ausführlich wie möglich anhand der Feststellungen des Pflegegutachtens zu begründen. "Eigentlich haben die Eltern für so etwas gar keine Zeit. Doch es kommt immer wieder vor, dass selbst Eltern mehrfach schwerstbehinderter Kinder zig Formulare und Stellungnahmen ausfüllen müssen – und das schon, um überhaupt benötigte Hilfsmittel genehmigt zu bekommen. Das zermürbt viele", sagt Kreß.
Klage vor dem Sozialgericht
Bringt der Widerspruch keinen Erfolg, bleibt immer noch die Klage vor dem Sozialgericht. "Ich ermutige Eltern bestimmt nicht zum Kämpfen, wenn es aussichtslos scheint. Das lenkt nämlich sehr von der eigentlichen Aufgabe der Eltern ab: Die Behinderung zu akzeptieren. Aber wo Entscheidungen nicht gerechtfertigt sind, rate ich Eltern, den Weg einer Klage zu gehen. Sonst kommen sie nicht zu der Hilfe, die ihnen eigentlich zusteht. Diese Eltern leisten unglaublich viel und es ist eigentlich ein Unding, dass das manchmal erst von den Richtern gesehen und anerkannt wird“, weiß Kreß. Das Sozialgericht ist umsonst. Da die Richter dort verpflichtet sind, alle Seiten zu sehen, braucht man auch keinen Anwalt. "Der Alltag mit einem schwerstbehinderten Kind ist kompliziert genug und Geld erleichtert das Leben einfach."
Wenn die Ehe an der Behinderung zerbricht
Das ist noch nicht die höchste Stufe psychischer und physischer Belastung: "Das Schlimmste ist, wenn die Mütter alleinerziehend werden, weil die Ehe das behinderte Kind nicht aushält", sagt die Sozialpädagogin. Dann entsteht häufig ein Teufelskreis: "Weil schwerstbehinderte Kinder extrem Infekt anfällig sind, können sie oft nicht in ihre Betreuungseinrichtungen. Das macht es solchen Müttern eigentlich unmöglich, einer geregelten Arbeit nachzugehen", gibt Kreß zu bedenken. Gleichzeitig ist das Leben mit einem schwerstbehinderten Kind meist so teuer, dass die gesetzlichen sozialen Leistungen bei weitem nicht reichen. Hier können dann manchmal Stiftungen helfen.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.