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Viele offene Fragen im Skandal um Valsartan


Valsartan-Skandal
Viele offene Fragen um verunreinigte Blutdrucksenker

dpa, Hinnerk Feldwisch-Drentrup

27.07.2018Lesedauer: 3 Min.
Eine Tablettenverpackung eines Blutdrucksenkers mit dem Wirkstoff Valsartan: Im Skandal um das verunreinigte Medikament ist noch vieles unklar.Vergrößern des Bildes
Eine Tablettenverpackung eines Blutdrucksenkers mit dem Wirkstoff Valsartan: Im Skandal um das verunreinigte Medikament ist noch vieles unklar. (Quelle: Fabian Sommer/dpa-bilder)
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Wohl hunderttausende Patienten haben verunreinigte Blutdrucksenker eingenommen. Auf erschreckende Weise lege der Skandal Probleme im Kontrollsystem offen, sagen viele Experten.

Vor gut drei Wochen wurde bekannt, dass viele Bluthochdruckmittel, die auf dem Wirkstoff Valsartan basieren, mit einem potenziell krebserregenden Stoff verunreinigt sind. Doch darüber hinaus sind viele Fragen offen: Weder die deutschen Landesbehörden noch die Hersteller haben bislang Daten zur Dosis des Stoffes N-Nitrosodimethylamin (NDMA) veröffentlicht, der offenbar in den Produkten mehrerer Hersteller enthalten war.

Nach ersten Stichproben-Analysen des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker sind die Verunreinigungen nicht zu vernachlässigen: In einzelnen Tabletten fanden sich bis zu 22 Mikrogramm NDMA.

Ausgangswirkstoff kam aus China

Zum Vergleich: Bei Lebensmitteln wurde die NDMA-Belastung in den vergangenen Jahrzehnten stark reduziert. Wie Mitarbeiter des Zentrallaboratoriums in der "Pharmazeutischen Zeitung" schreiben, enthalte geräucherter Schinken maximal 2,5 Mikrogramm NDMA pro Kilogramm, für Bier existiere ein technischer Richtwert von 0,5 Mikrogramm pro Kilogramm.

Der Ausgangswirkstoff für die inzwischen vom Markt genommenen Arzneimittel kam vom chinesischen Produzenten Zhejiang Huahai Pharmaceutical. Telefonisch war die Firma nicht zu erreichen. Noch am Dienstag betonte sie in einer Erklärung, dass es sich bei den Verunreinigungen um eine "extrem geringe Menge" handele. Der Pharmazeut und Dopingexperte Fritz Sörgel widerspricht. "Im Gegenteil: Es ist überraschend, dass sie so hoch ist", sagt er.

NDMA ist bei vielen Tierarten krebserregend

Offensichtlich habe sich der Hersteller nicht mit der Frage beschäftigt, welche Auswirkungen die Verunreinigungen auf die Gesundheit von Patienten habe, da bereits geringste Mengen problematisch seien könnten. Es sei "erschreckend", dass die Substanz offenbar in so hohen Konzentrationen in Heilmitteln enthalten ist, erklärt Sörgel. Experimente haben bislang gezeigt, dass NDMA bei vielen Tierarten krebserregend ist. Die internationale Agentur für Krebsforschung der WHO und die EU stufen den Stoff beim Menschen als wahrscheinlich krebserregend ein.

Auch wenn noch offen ist, welches Risiko die dauerhafte Einnahme verunreinigter Präparate mit sich bringt, besteht nach aktueller Einschätzung zumindest kein akutes Gesundheitsrisiko, erklärt der Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Auf EU-Ebene analysieren und bewerten Arzneimittelexperten derzeit die Tragweite der Verunreinigung, wie auch die hiermit verbundenen Risiken.

Was betroffene Patienten tun sollten

Patienten, die valsartanhaltige Arzneimittel einnehmen, sollten sich nach Empfehlung des BfArM mit ihrem Arzt oder Apotheker in Verbindung setzen. Wichtig sei, das Arzneimittel nicht ohne Rücksprache abzusetzen, da dies ungleich riskanter wäre. Da zahlreiche Valsartan-Präparate ohne Verunreinigung auf dem Markt sind, wie auch andere Blutdrucksenker, werden Patienten derzeit auf diese Mittel umgestellt.

Valsartan ist ein häufig verschriebenes Arzneimittel: Wie ähnliche Substanzen weitet es die Blutgefäße und senkt so den Blutdruck, es wird auch bei Patienten mit Herzschwäche oder nach einem Herzinfarkt eingesetzt. Nach einer Schätzung der Bundesregierung könnten im vergangenen Jahr rund 900.000 Patienten das verunreinigte Mittel eingenommen haben. Am Donnerstag rief der deutsche Pharmahersteller Hormosan seinen Blutdrucksenker Irbesartan vorsichtshalber teilweise aus den Apotheken zurück, da er nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen könne, dass einzelnen Chargen produktionsbedingt mit NDMA verunreinigt seien. Auch hier sei von keinem akuten Patientenrisiko auszugehen.

Aus Sicht vieler Experten ist es unverständlich, dass Verunreinigungen mit einem potenziell krebserregenden Stoff in einem Arzneimittel so lange unentdeckt bleiben. "Kritisch bewerten wir die Tatsache, dass über einen anscheinend mehrjährigen Zeitraum sowohl die Hersteller, die dem Arzneimittelgesetz unterstehen, als auch die zuständigen Kontrollbehörden keine Kenntnis über die Verunreinigung hatten", schreibt etwa ein Sprecher des Verbands der Ersatzkassen in Sachen Valsartan.

Prüfregularien müssen überprüft werden

Der AOK-Bundesverband verlangt "strengste Auflagen" auch für Firmen im Ausland: Die Politik müsse mit den global agierenden Herstellern aushandeln, wie dies umgesetzt werden kann. Auch die AOK Rheinland/Hamburg sieht auf Nachfrage einen "klaren Handlungsbedarf":

"Patientinnen und Patienten müssen sich auf die Qualität von Arzneimitteln und ihre Qualitätsprüfung verlassen können", erklärt ein Sprecher. Ein Barmer-Sprecher betont gleichfalls, dass die "bereits heute existierenden Prüfregularien" überprüft werden müssten.

Der Fall werfe ein schlechtes Licht auf den Import von Arzneimitteln, sagt Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Offenbar hätten die Kontrollmechanismen versagt, so dass verunreinigte Arzneimittel bis nach Deutschland zum Patienten kamen. "Es ist vollkommen inakzeptabel für unsere Verbraucher, dass Arzneimittel hier auf den Markt kommen, die möglicherweise krebserregende Substanzen enthalten", sagt er.

Daher sollte sich die EU-Kommission nach gründlichen Untersuchungen überlegen, ob die Arzneimittelproduktion nicht wieder verstärkt nach Europa verlagert werden sollte. Unter Patienten hätten die Verunreinigungen für viel Beunruhigung gesorgt. "Hierzu haben uns sehr viele Anfragen erreicht wie zu keinem Thema zuvor", sagt Ludwig.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • dpa
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