Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Globuli in den Müll Homöopathie-Fan schwört öffentlich ab
Unverständnis bei der Schwester, Ärger mit der Tochter – aber eine klare Botschaft: Eine Bonnerin macht ihren Abschied von Globuli öffentlich – mit einem Foto weggeworfener Zuckerpräparate.
Ein Foto von weggeworfenen Globuli-Fläschchen löst Lob und ein wenig Unverständnis im Netz aus: Die Bonnerin Daniela Kinkel hat Homöopathiepackungen im Wert von 250 Euro weggeworfen – und das mit einem Foto im Netz öffentlich gemacht. "Unheimlich befreiend", schrieb sie dazu. Vielleicht ist sie ein Symptom für einen Trend, dass Homöopathie von ihrem Zauber verliert: Obwohl 70 Prozent der Anwender laut einer Forsa-Umfrage zufrieden sind, ist der Absatz in Deutschland im vergangenen Jahr erstmals zurückgegangen.
Kinkel will minimalistischer leben und räumt ihr Leben auf, sagt sie t-online.de – und da flogen auch die Zuckerkügelchen raus. "Abgelaufen" waren manche der Fläschchen. Dabei kennt Zucker kein Verfallsdatum, und in den Flaschen ist je nach Mischung nur Zucker, der einmal mit etwas anderem in Berührung gekommen war und diese Erinnerung als Reiz in sich tragen soll. Nach diesem Prinzip soll Homöopathie helfen.
Und darauf hatte auch die Bonnerin lange gesetzt. "Ich habe meinen Kindern Globuli gegeben und sie auch selbst genommen." Jemand klagte über Übelkeit? Sie gab früher "Nux Vomica", Zucker mit einer Erinnerung an Brachnuss. "Ich hatte ja gute Erfahrungen damit gemacht – wie das eben geht, wenn man daran glaubt."
Für Naturheilmedizin weiter offen
Doch Kinkel glaubt nicht mehr daran. Das sei keine Entscheidung gegen Naturheilmedizin, "Zwiebelwickel würde ich auch heute Kindern bei Ohrenschmerzen machen", sagt sie t-online.de. In ihrer Familie gab es nach dem Bild Diskussionen: "Meine Tochter hat sich nach dem Foto gemeldet, sie hätte die Globuli haben wollen. Und meine Schwester macht eine Ausbildung zur Homöopathin..." Für Kinkel kommen aber homöopathische Mittel nicht mehr in Frage.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Auch wenn Homöopathen das anders darstellen, gibt es keinen anerkannten wissenschaftlichen Nachweis für eine Wirkung über den Placebo-Effekt hinaus. Dieser Effekt kann über die veränderte Ausstrahlung des Menschen sogar Kinder und Tiere erreichen. Dieses Phänomen nennt sich dann Placebo-by-proxy.
Bei Kinkel gab es keine besondere Enttäuschung durch Globuli, berichtet sie. "Das war nicht die Riesengeschichte, nach der ich sie nicht mehr genommen habe, es war eine intensive Auseinandersetzung damit".
Mediziner klären auf Twitter auf
Am Anfang stand ein HNO-Arzt auf Twitter: Der Weinheimer Mediziner Dr. Christian Lübbers hatte dort den unterschiedlichen Umgang mancher Kassen kritisiert: Die medizinisch notwendige Sehhilfe wird nicht erstattet, Zuckerkügelchen ohne Wirksamkeitsnachweis werden übernommen. Brillenträgerin Kinkel las den Tweet zum Thema #krankenkasseohnehomöopathie und informierte sich weiter, so die Bonnerin zu t-online.de. Das war ihr Einstieg in den Ausstieg.
Lübbers und die Ärztin und gelernte Homöopathin Dr. Natalie Grams gehören dem "Informationsnetzwerk Homöopathie" an und schreiben auf Twitter regelmäßig gegen Homöopathie an. Deutschlandweit Schlagzeilen machte Lübbers durch einen absurd anmutenden Fall: Aus dem Ohr eines Kindes musste er zehn in Eiter schwimmende Globuli-Kügelchen holen. Er echauffierte sich: "#Homöopathie wirkt: Dummheit potenziert sich."
Der Arzt gibt der Schulmedizin Mitverantwortung, dass manche Eltern sich Hilfe beim Homöopathen suchen: Viel zu oft würden etwa unnötig Antibiotika verordnet, Patienten würden sich auch oftmals beim Homöopathen stärker angenommen fühlen. Für ihn gehöre es zum Selbstverständnis, seine Patienten "ehrlich zu beraten und auch auf die konkrete Frage zu sagen, was wirkt – und was nicht".
"Zucker wäre doch gut für den Kaffee gewesen"
Lübbers berichtet von Rückmeldungen von Patienten in der Praxis, die keine Globuli mehr nehmen würden. "Aber dass sich jemand auf meine Tweets bezieht, ist mir zum ersten Mal untergekommen." Lübbers und die in der PR-Branche tätige Bonnerin versichern, nie zuvor direkt Kontakt gehabt zu haben. Kinkel ahnte auch nicht, was ihr Tweet auslöste. Fast 100 Antworten, einige kritisch gegenüber Schulmedizinern, viele zustimmend. Und einige leicht tadelnd: Den Zucker hätte sie doch nicht wegwerfen müssen, sondern für den Kaffee nehmen können.
HNO-Arzt Lübbers registriert, dass die Homöopathie in den vergangenen Monaten stärker in die Diskussion geraten ist und in Berichten "in realistischer Weise dargestellt wird" – als Mittel ohne Wirksamkeitsnachweis. Es sei aber zu früh, darin den Grund für den rückläufigen Absatz von Homöopathie zu sehen. Das Pharma-Marktforschungsfirma IQVIA schätzt, dass 2017 zwei Millionen Packungen weniger verkauft worden sind als im Jahr zuvor . Verkauft wurden demnach 53 Millionen Packungen. Auch die Verordnungen beim Arzt gingen zurück: Bei Kassenpatienten um gut 14 Prozent, bei Privatversicherten um rund 7 Prozent.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Pressemitteilung zur Umfrage Zufriedenheit mit Homöopathie
- Informationsnetzwerk Homöopathie
- Die Vorsitzende der homöopathischen Ärzte im kritischen Interview