"Skalpell der Gentechniker" Das müssen Sie zum Gentechnik-Urteil wissen
Es geht um die Zukunft des Siegels "Ohne Gentechnik", um Lebensmittelsicherheit und die Frage, wie sehr der Mensch in die Evolution eingreifen darf. Wird das Genschere-Verfahren reguliert?
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) will am 25. Juli entscheiden, ob Methoden des sogenannten Genome Editing unter die Gentechnik-Verordnung der Europäischen Union fallen. Produkte, die mittels dieses Verfahrens hergestellt sind, müssten dann einer umfangreichen Risikobewertung unterzogen und speziell gekennzeichnet werden, bevor sie für den Verkauf zugelassen sind.
Wie funktioniert diese Gentechnologie?
Konkret geht es um eine Art Schere, mit der Biologen Teile der DNA eines Organismus löschen und ersetzen können. Die Methode heißt Crispr/Cas9 und gilt als relativ zielgenau. Sie könnte die Züchtung von Pflanzen und Tieren mit bestimmten erwünschten Eigenschaften deutlich beschleunigen.
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Pflanzengenetiker Goetz Hensel forscht seit mehr als 20 Jahren am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung. Dort hat er sich auf Grundlagenforschung an Getreide spezialisiert. Seit fünf Jahren arbeitet er bereits mit Crispr/Cas9. "Erstmals haben wir ein Werkzeug, mit dem wir gezielt ein Gen ansteuern und verändern können", sagt der Forscher. Das sei ein großer Fortschritt im Vergleich zum "Schrotflinten-Ansatz", der bislang in der Züchtung zum Einsatz komme.
Utz Klages, Pressesprecher von Bayer, ergänzt: "Insoweit sind diese modernen Verfahren vergleichbar mit traditionellen und lange etablierten Züchtungsmethoden, die nicht der Anwendung des Gentechnikrechts unterliegen." Bei dem Verfahren liege der Fokus darauf, den pflanzeneigenen Genpool zu nutzen, statt artfremde Gene in die Pflanze einzubringen, wie es bei der "klassischen" Gentechnik der Fall sei.
Monsanto ist der weltweit größte Hersteller von Saatgut. In die Kritik geraten ist er für Pflanzenschutzmittel, die den umstrittenen Wirkstoff Glyphosat enthalten. 2018 hat die Bayer AG Monsanto übernommen.
Was bringt Crispr?
Bei diesem herkömmlichen Verfahren wird die DNA von Pflanzen mittels Chemikalien oder radioaktiver Strahlung zum zufälligen Mutieren gebracht. Anschließend müssen die Züchter viele der Pflanzen wegwerfen, weil sie nicht die gewünschten Eigenschaften entwickelt haben.
Auf diesem Weg dauert es laut Hensel acht bis zehn Jahre, bis eine neue Sorte auf den Markt kommt. "3.000 so gezüchtete Sorten sind bereits im Anbau und täglichen Verzehr", sagt Hensel. Dank Crispr könnte sich die Entwicklungszeit auf ein bis zwei Jahre verkürzen.
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In der Praxis könnte die Technologie etwa bei Pflanzen Resistenzen gegen Krankheiten oder Trockenheit bewirken. So könnte Weizen beispielsweise gegen Mehltau resistent werden. Eine entsprechende Sorte wird in den USA bereits getestet. Die dortigen Behörden haben bestätigt, dass die Weizensorte nicht unter die dortigen Gentechnik-Vorschriften fällt.
Ist die Technik für den Verbraucher sicher?
Was Umweltschützer jetzt verlangten, sei eine "hundertprozentige Absicherung". Die habe es aber auch bisher nie gegeben, sagt Hensel. Die Kritiker verlangten einen Nachweis aller Veränderungen im Genom – dabei sei es oft gar nicht möglich, Veränderungen durch Crispr von natürlichen Mutationen zu unterscheiden. Pro Generation verändere sich das Erbgut einer Pflanze natürlicherweise an 150 bis 200 Stellen, erklärt Hensel.
Christoph Then, langjähriger Greenpeace-Mitarbeiter und Direktor des Instituts Testbiotech hält dagegen: "Wir können nicht einfach den Gentechnik-Herstellern vertrauen, dass die Produkte unbedenklich sind." Das müsse unabhängig untersucht werden, fordert er. Es gebe Forschungsergebnisse, die zeigten, dass Crispr gar nicht so zielgenau funktioniert wie Befürworter sagen.
Welche Auswirkungen könnte das Urteil haben?
Sollte der EuGH entscheiden, dass alle mittels Crispr hergestellten Produkte unter die EU-Verordnung fallen, könnten sich erneut nur große Saatguthersteller wie Monsanto die Entwicklung leisten. "Dabei gibt es die Technologie her, dass sich auch die kleinen Züchter wieder an der Entwicklung neuer Sorten beteiligen können", argumentiert Hensel.
Auch Klages von Bayer hält nichts von strengeren Regeln: "Überregulierung und damit verbundene Kosten und Verzögerungen könnten die Entwicklung und den Einsatz dieser innovativen und präzisen Züchtungsmethoden in Europa verhindern."
Insgesamt werde die Diskussion um die neuen Methoden in Deutschland "sehr unbalanciert" geführt, kritisiert Hensel. Die Gegner seien gut vernetzt und sehr laut. "Wissenschaftler müssen sich gegen unhaltbare Behauptungen verteidigen", beklagt der Forscher. Es sei schwer, sich mit sachlichen Argumenten Gehör zu verschaffen. "Sobald es ums Essen geht, werden die Menschen komisch."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- AFP
- Eigene Recherche