Trend oder Zukunftsmusik Die Designerbabys kommen
Den Krebs ausrotten – wer würde das nicht wollen? Ein Ziel, dem wir mit einer neuen Technologie einen entscheidenden Schritt näher gekommen sind. Denn jetzt ist es möglich, DNA an frei wählbaren Punkten mit höchster Präzision zu manipulieren.
Das neue medizinische Verfahren mit dem komplizierten Kürzel CRISPR/Cas9-Technologie steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats. Sie ermöglicht, Gensequenzen punktgenau zu ersetzen, zu verändern oder zu entfernen. Schnell, äußerst präzise, preisgünstig und ohne großen Aufwand. Mithilfe der Entdeckung zweier Forscherinnen, Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, könnten wir Erbkrankheiten sozusagen aussterben lassen. Doch die Frage ist, wer definiert, was ein genetischer Defekt ist? Gelten irgendwann Locken oder Sommersprossen als korrekturbedürftig? Und landen wir da nicht ganz schnell beim perfekten Baby, maßgeschneidert und designt nach den Wünschen der Eltern? Oder, noch schlimmer, den Wünschen anderer?
Während die einen diskutieren, forschen die anderen schon fleißig weiter und produzieren genmanipulierte Embryonen in Reagenzgläsern. Was zunächst noch eine hohe Fehlerquote aufwies, scheint jetzt perfektioniert.
Doch mit welchen Folgen? t-online.de hat sich darüber mit Dr. Lars Jaeger unterhalten. Der Autor des gerade erschienenen Buches „Supermacht Wissenschaft“ ist Naturwissenschaftler und Philosoph zugleich und warnt vor Blauäugigkeit.
Herr Jaeger, kann man mit einfachen Worten erklären, wie CRISPR/Cas9 funktioniert?
CRISPR ist eine Technologie zum Editieren von Genen. Sie basiert auf der Entdeckung eines Abwehrsystems von Bakterien gegen Viren. Diese speichern Viren-DNA, indem sie sie in ihr Genom integrieren und nutzen sie dann dazu, ein erneutes Eindringen des Virus zu erkennen und abzuwehren. Kombiniert man das mit anderen Molekülen – Enzymen – entsteht die Möglichkeit, bestimmte Genabschnitte auch auf der menschlichen DNA zu identifizieren und zu verändern. Und genau das war das Missing Link. Denn der Gesamtkomplex CRISPR/Cas9 lässt sich auch außerhalb der Zelle herstellen und in die Zelle einfügen, wo er dann aktiv wird. Sozusagen wie eine Schere, an die zugleich eine Ersatz-DNA angehängt werden kann. Das bietet eine unglaubliche Palette von Möglichkeiten. Das Neue daran ist nicht, dass DNA zerschnitten wird und sich dann entweder selbst wieder zusammenfügt oder Ersatzteile einfügt. Das Neue ist, dass man mit CRISPR so genau arbeiten kann. Man könnte so sagen: Früher wurde mit der Schrotflinte auf die DNA geschossen, heute mit dem Präzisionsgewehr.
So präzise und leicht wie mit keiner anderen Methode… bedeutet das eventuell auch, dass kaum Zeit bleibt, einen solchen Fortschritt richtig zu hinterfragen?
Das stimmt, das nimmt dramatische Dimensionen an. Denn zuletzt könnte man mit dieser Methode Menschenzucht betreiben. Die Entwicklung geht so schnell, dass keine Zeit bleibt, richtig darüber nachzudenken. Doch auch jenseits von Gen-Editierung verläuft der technische Fortschritt heute so schnell, dass die philosophische, ethische, soziale Diskussion nicht mehr hinterherkommt. Wir haben sozusagen die Zukunft bereits eingeholt.
Die CRISPR-Technologie ist revolutionär. Und dass die Entdeckerinnen Anwärterinnen auf den Nobelpreis sind, finde ich absolut angemessen. Aber es gibt eben auch noch eine andere Seite. Mit solchen Patenten sind Milliarden und sogar Billionen zu machen – was sich auch am Krieg zweier Universitäten und daran angehängter Unternehmen zeigt, die das Patent für sich beanspruchen.
Ist die Technologie denn bereits ausgereift?
Als in China vor zwei Jahren erste Versuche an menschlichen Embryonen stattfanden, waren diese noch sehr fehlerhaft. In Amerika wurde im Juli bekannt, dass es gelungen ist, diese Kinderkrankheiten von CRISPR zu heilen und die Technologie nahezu fehlerlos auch an menschlichen Embryonen einzusetzen. Und dadurch, dass jetzt die Möglichkeit besteht, das Erbgut zu beeinflussen, bleiben nur noch wenige Jahre, bis wir hier nicht mehr nur vom Beseitigen von Erbkrankheiten sprechen. Wir kennen noch nicht alle Gene oder Genkombinationen für Intelligenz und Attraktivität, wenn es diese überhaupt gibt, aber die Augenfarbe zum Beispiel könnte das erste Spielfeld sein.
Bereits jetzt greift der Mensch in die Evolution ein, verändert zum Beispiel Lebensmittel gentechnisch. Verändert man die DNA eines Menschen, dann betrifft das auch spätere Generationen. Kann man denn überhaupt annähernd vorhersehen, was das langfristig zu bedeuten hat?
Das ist eine der großen Sorgen, dass von Generation zu Generation unbeabsichtigte Veränderungen weitergegeben werden könnten. Denn erst nach der Geburt, vielleicht auch erst nach der Geburt der zweiten Generation könnten die Auswirkungen einer solchen genetischen Manipulation zu sehen sein. Und die sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen sind noch kaum absehbar. „Brave New World“ von Aldous Huxley kommt einem da in den Sinn.
Trotzdem: Kaputte Gene raus, heile Gene rein. Erbkrankheit beseitigt. Klingt nachvollziehbar, dass zum Beispiel Paare, die Träger solcher Krankheiten sind, mit einer Methode wie CRISPR liebäugeln, oder?
Man könnte sogar fragen, ob es nicht ethisch verpflichtend wäre, unsere Möglichkeiten zu nutzen. Da steckt enormes medizinisches Potenzial dahinter. Mit CRISPR und verwandten Technologien könnte man viele Krankheiten bereits pränatal ausschließen, auch genetische Erkrankungen, die sich erst später im Leben zeigen. Durch die nun möglich werdenden Methoden könnte sogar Krebs heilbar werden. Der Mensch greift hier gezielt und äußerst präzise in die Natur ein. Bei Krankheiten mag das vielleicht sogar geboten sein.
Das Problem aber ist, dass es dabei nicht bleiben wird …
Ganz klar, wir sind da ganz schnell bei Themen wie Intelligenz und Aussehen. Und beim CIA hat man sogar schon von einer Massenvernichtungswaffe gesprochen. Denn wenn man an der genetischen Basis des Menschen herumspielt, dann kann man zum Beispiel auch Waffen herstellen, die auf bestimmte Genträger wirken. Letztendlich ist es als dramatische Warnung gemeint: Wir bekommen hier Dinge in die Hand, die wir nicht mehr so leicht kontrollieren können. Bei der Atomspaltung haben die Physiker auch nicht direkt an die Atombombe gedacht. Die Weitsicht, die wir hier walten lassen müssen, betrifft nur wenige Jahre.
Bei uns sind den Versuchen durch das Embryonenschutzgesetz klare Riegel vorgeschoben. Obwohl auch hier die Stimmen immer lauter werden, die sich fragen, was mehr Sinn macht, „überflüssige“ Embryonen wegzuwerfen oder für die Forschung zu nutzen. In anderen Ländern ist das Forschen erlaubt. Ist in Amerika das Einpflanzen aber noch verboten, so könnte man in China schon einen Schritt weiter sein. Müssen wir also damit rechnen, dass schon irgendwo die „perfekten Kinder“ auf ihre Austragung warten?
Ich halte es durchaus für möglich, dass die Chinesen in Betracht ziehen, ihre Bevölkerung zu verbessern. Es gibt hier schon klare kulturelle Unterschiede zu uns, wenn es um Fragen wie diese geht. Und die gesetzlichen Möglichkeiten sind da. Aber natürlich gibt es auch dort Bedenken. Doch es gibt noch mehr Länder, die die Möglichkeit hätten: Argentinien zum Beispiel, Japan oder Indien. Man muss das genau beobachten und möglichst einen internationalen Diskurs und am besten einen globalen Konsens erreichen. Das kann man nicht so einfach laufen lassen. Die Politiker haben die Gefahr meiner Meinung nach noch gar nicht erkannt. Und mal ehrlich: Frau Merkel ist Physikerin und hat Fukushima gebraucht, um zu verstehen, dass Atomkraftwerke gefährlich sind.
Das heißt, wir steuern unweigerlich auf eine Auslese zu?
Die Gefahr besteht. Den technologischen Fortschritt können wir natürlich nicht aufhalten. Und dessen sind sich auch die Wissenschaftler bewusst. Es gibt bereits globale Ethikkonferenzen unter Genforschern, schließlich haben die Wissenschaftler hier eine enorme Verantwortung. Und die Ergebnisse fließen auch international in die Gesetzgebungen ein. Ich denke nur, dass ein Thema wie dieses nicht nur von Experten entschieden werden sollte, irgendwo hinter verschlossenen Türen. Die Gesellschaft muss sich an einer Entscheidung wie dieser beteiligen, ohne dass kommerzielle Interessen im Hintergrund wirken. Das fordert schon das moderne Demokratieverständnis. Schließlich ist es nur noch ein kleiner Schritt von passiv zu aktiv, von Präimplantationsdiagnostik zum Kreieren von neuem genetischen Material und damit von Designerbabys.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.