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Lindner-Berater Lars Feld: "Die Schulden werden Deutschland einschränken"


Interview
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Kritik am Kanzler
"Diese Menschen drohen, durchs Raster zu fallen"


Aktualisiert am 29.08.2022Lesedauer: 7 Min.
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Bundeskanzler Olaf Scholz: Ökonom Lars Feld findet das Verhalten des Kanzlers in der Krise falsch. (Quelle: IMAGO/Janine Schmitz/photothek.de)
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Die Entlastungen für Bürger und Firmen kosten den Staat Milliarden. Der Ökonom Lars Feld warnt dennoch davor, die Schuldenbremse noch einmal auszusetzen.

Noch ist es zu warm zum Zittern, doch die Nachrichten und der Ausblick auf den Winter jagen vielen Deutschen bereits Angst ein: Die Energiepreise erreichen neue Höchstwerte, Russland plant erneut, die Gaslieferungen zu unterbrechen, und die Inflationsrate könnte zum ersten Mal seit mehr als 70 Jahren zweistellig werden.

Die Ampelparteien streiten derzeit darüber, wie sie die Bürger unterstützen können. Besonders nah dran ist dabei der Ökonom Lars Feld. Der frühere Wirtschaftsweise ist heute unabhängiger Berater von Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Im Interview mit t-online erklärt er, warum er sowohl Tankrabatt als auch 9-Euro-Ticket für falsch hielt, wie sich die Wirtschaft im Winter entwickelt – und warum Deutschland beim Schuldenmachen aufpassen sollte.

t-online: Herr Feld, 9-Euro-Ticket, Tankrabatt, Steuersenkungen für alle – die Ampelregierung gibt das Geld mit beiden Händen aus. Können wir uns das leisten?

Lars Feld: Was heißt schon leisten? Klar, die Schulden, die der Staat dieses Jahr neu aufnimmt, werden die Handlungsspielräume zukünftiger Regierungen einschränken. Wenn Sie aber fragen, ob wir dadurch die Tragfähigkeit der deutschen Finanzen aufs Spiel setzen, lautet die Antwort: Nein. Und zwar mit drei Ausrufezeichen.

Was macht Sie da so sicher?

Nach der Finanzkrise hatte Deutschland einen Schuldenstand von 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Jetzt sind wir bei etwa 70 Prozent. Aus der Corona-Krise sind wir also mit einer niedrigeren Schuldenquote herausgekommen, die Schuldenlast ist heute leichter als früher.

Woran liegt das?

Zum einen hängt das damit zusammen, dass die Wirtschaft trotz Corona nicht so stark eingebrochen ist, wie manch einer vermutete. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sind die Schulden also nicht so hoch. Zum anderen liegt das daran, dass Bund und Länder manche Hilfen zwar mit großen Beträgen angekündigt haben, viele Firmen diese dann aber gar nicht im vollen Umfang abgerufen haben. Große Summen für Entlastungen und Hilfen sind deshalb nicht automatisch finanzwirksam.

Rechnen Sie jetzt mit einer ähnlichen Situation?

Ja, zumindest in Teilen sehen wir das auch jetzt – zum Beispiel bei den Hilfen für energieintensive Unternehmen. Dennoch gibt es auch in diesem Jahr einige Ausgaben, die einen direkten Effekt auf die öffentlichen Finanzen haben, etwa den Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket. Auch wenn die Staatsfinanzen nicht in Gefahr sind und jetzt ohnehin die Ausnahmeregel der Schuldenbremse gilt: Die Schulden werden Deutschland, also die künftigen Regierungen, einschränken.

Lars Feld

Lars Feld, geboren 1966 in Saarbrücken, ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Leiter des dortigen Walter-Eucken-Instituts. Von 2011 bis 2021 war er Mitglied der Wirtschaftsweisen und zuletzt auch deren Vorsitzender. Im Februar 2022 schuf Bundesfinanzminister Christian Lindner für Feld die Beraterrolle des "Persönlichen Beauftragten des Bundesministers der Finanzen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung". Feld vertritt ordoliberale Positionen und gilt unter anderem als Verfechter der Schuldenbremse.

Welche der Anti-Inflations-Entlastungen war die schlechteste?

Nichts davon war gut – zumindest aus rein ökonomischer Perspektive.

Warum?

Weil die Hilfen für den Einzelnen kurzfristig zwar rechnerisch von der Inflation entlasten, aber durch ihre Effekte auf der Nachfrageseite den weiteren Inflationsdruck ja eher befördern. Zudem haben wir einige unschöne Nebeneffekte gesehen.

Die wären?

Das 9-Euro-Ticket hat nach allem, was wir bisher wissen, zusätzlichen Reiseverkehr verursacht und kaum Autofahrer von der Straße geholt. Der Personennahverkehr war in der Folge überlastet, es gab mehr Verspätungen. Platt gesagt: teure Maßnahme, extrem viel Ärger.

Und der viel kritisierte Tankrabatt? Immerhin eine Idee von Finanzminister Christian Lindner, den Sie beraten.

Der Tankrabatt wurde, das haben Studien gezeigt, von den Mineralölkonzernen weitergereicht. Er hat also durchaus gewirkt.

Womöglich sogar so gut, dass die Menschen kaum Benzin sparen, obwohl das angesichts der Energieknappheit nötig wäre. Oder?

Das würde ich nicht unbedingt sagen. Die Benzinpreise steigen ohnehin, das merken die Menschen. Ob mit oder ohne Tankrabatt, die Verbraucher werden schon sparen. Langfristig hat der Tankrabatt deshalb kaum negative Auswirkungen – außer, dass jetzt, wo er wieder entfällt, die Inflationsrate einen deutlichen Sprung machen wird, weil die Preise schlagartig steigen werden.

Bleiben die 300 Euro Energiegeld. Was halten Sie davon?

Das bringt den Leuten tatsächlich eine gewisse Entlastung, das war wahrscheinlich die beste Maßnahme: Sie erreicht alle Arbeitnehmer, die Steuern zahlen – und bringt durch die Progression im Steuersystem ärmeren Haushalten mehr als jenen mit höheren Einkommen. Das ist richtig und sinnvoll.

Man könnte auch sagen: Der Staat vermittelt den Eindruck, als gebe es gar keine Krise, als finge er alles auf. Ist das angesichts des Krieges wirklich der richtige Weg?

Für mich liegt das Problem eher in der Vielstimmigkeit der Politik. Einerseits warnen Herr Lindner und Herr Habeck regelmäßig vor den wirtschaftlichen Folgen des Krieges. Andererseits verspricht der Kanzler: "You‘ll never walk alone". Das finde ich unpassend. Herr Scholz redet zwar sehr sachlich und wenig emotional – inhaltlich jedoch vermittelt er, niemand müsse sich Sorgen machen. Ich finde: Das geht in dieser Krise nicht. Die Politik kann die Menschen nicht vor dem Wohlstandsverlust aus Energiekrise und Inflation bewahren. Da wünsche ich mir mehr Ehrlichkeit.

Wie wenig die Regierung am selben Strang zieht, zeigt sich auch beim Hin und Her um die Gasumlage. Nach der Absenkung der Mehrwertsteuer für Gas kritisieren viele, dass der Sparanreiz der Umlage gänzlich verpufft. Stimmt das?

Ganz verpufft er nicht. Dennoch stört mich die Absenkung. Es hätte auch schonendere Varianten für den Staatshaushalt gegeben.

Wie sähen die aus?

Eine gute Maßnahme wäre es gewesen, die Mehrwertsteuer auf die Gasumlage bei 19 Prozent zu belassen und die daraus erzielten Zusatzeinnahmen zu nutzen, um die Umlage insgesamt wieder zu senken. Oder, noch besser, das gewonnene Geld gezielt an jene Menschen umzuverteilen, welche die Inflation und die hohen Gaspreise besonders treffen. Denn eines ist klar: Der Winter dürfte für viele Deutsche hart werden.


Quotation Mark

Die kalte Progression zurückzugeben ist immer gerecht


Lars Feld, Ökonom und Berater von Finanzminister Christian Lindner


Die Bundesbank geht mittlerweile von einer Inflation von mehr als 10 Prozent und einer einsetzenden Rezession im Winter aus. Sie auch?

Die Bundesbank dürfte richtig liegen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal stagnieren wird. Ab dem vierten Quartal rechne ich damit, dass die Wirtschaftsleistung schrumpft. Das könnte uns auch bis ins Frühjahr begleiten, sodass wir technisch von einer Rezession sprechen können. Wie sehr sich das jedoch auf den Arbeitsmarkt auswirkt, ist noch offen. Ebenso unklar ist meiner Meinung nach, wie stark die Inflation ansteigt. Zweistellige Inflationsraten sind in diesem Jahr aber durchaus wahrscheinlich.

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Welche Folgen hätte das?

Wenn die Inflationsrate zweistellig wird, beginnt sich die Lohn-Preis-Spirale so richtig zu drehen. Dann werden die Tarifabschlüsse deutlich steigen und dafür sorgen, dass die Unternehmen ihre Preise noch einmal stärker anheben müssen. Dann droht sich die Inflation zu verselbstständigen. Solche Zweitrundeneffekte sehen wir vermutlich aber erst 2023.

Vorab dürfte die Ampel noch weitere Entlastungen beschließen. Wie sollte das aussehen?

Die Entlastungsmaßnahmen, die jetzt diskutiert werden, gehen in die richtige Richtung: Wir sollten die kalte Progression nicht zulassen. Auch die geplanten Reformen der Grundsicherung und des Wohngelds dürften helfen.

Kalte Progression

Die "kalte Progression" bezeichnet den Umstand, dass Arbeitnehmer sich trotz einer Gehaltserhöhung weniger leisten können. Dazu kommt es aus zwei Gründen: Zum einen gilt in Deutschland die Steuerprogression, was bedeutet, dass höhere Gehälter zu einem höheren Satz versteuert werden. Zum anderen sorgt die Inflation – aktuell besonders stark – dafür, dass die Preise für Waren und Dienstleistungen steigen. Rutscht ein Arbeitnehmer also durch eine Gehaltserhöhung in einen höhere Steuersatz, kann es sein, dass er sich vom leicht höheren Netto trotzdem weniger leisten kann als vorher.

Reicht das denn aus?

Fürs Erste ja. Allerdings sehe ich weiter Probleme dabei, die Menschen zu erreichen, deren Einkommen knapp unter und knapp über dem steuerlichen Grundfreibetrag liegen, gleichzeitig aber keine Transferleistungen empfangen. Sie drohen, durchs Raster zu fallen. Hier wird die Ampelregierung noch einmal nachlegen müssen.

Den Kampf gegen die kalte Progression haben Sie schon erwähnt. Wie gerecht ist es, dass Lindners Steuerpläne Reichere stärker entlasten als Ärmere?

Die kalte Progression zurückzugeben, ist immer gerecht.

In absoluten Beträgen profitieren Menschen mit ohnehin höheren Einkommen aber mehr als Steuerzahler, die weniger verdienen.

Das stimmt, liegt aber in der Natur der Sache: In einem Steuersystem, in dem Bezieher höherer Einkommen prozentual mehr bezahlen, werden sie durch eine Steuerentlastung für alle in absoluten Zahlen automatisch mehr berücksichtigt. Relativ gesehen profitieren dafür Einkommensschwache mehr. Zentral für die Antwort auf Ihre Frage ist aber doch etwas anderes.

Nämlich?

Der Kampf gegen die kalte Progression ist aus demokratischer Sicht geboten. Der Staat darf nicht einfach so von den nominal höheren Löhnen seiner Bürger profitieren. Will er mehr Steuern einnehmen, muss das Parlament das beschließen. Alles andere lässt sich nicht vermitteln.

Umgekehrt heißt das jetzt: Dem Staat steht weniger Geld zur Verfügung. Auch deshalb fordert die SPD einen Nachtragshaushalt, um weitere Entlastungen zu finanzieren. Was halten Sie davon?

Wer von einem Nachtragshaushalt spricht, will vor allem neue Schulden. Damit zeigt sich einmal mehr: Die SPD will die Schuldenbremse am liebsten dauerhaft aussetzen. Ich halte davon überhaupt nichts. Nach dem gegenwärtigen Stand kann die Schuldenbremse im nächsten Jahr eingehalten werden. Alle Prognosen, die vorliegen, liefern keine Begründung für eine weitere Ausnahme.

Trotz der Kosten für die anstehenden Entlastungen?

Ja, die sind bereits einkalkuliert. Dafür stehen 10 Milliarden Euro als Mindereinnahmen im Haushaltsentwurf, auch Zusatzausgaben für die Sozialpolitik sind vermerkt. Und selbst wenn die Ampel ein weiteres Energiegeld beschließt, würde das noch dieses Jahr zu Buche schlagen, wenn die Ausnahme von der Schuldenbremse noch gilt. Daher rate ich dazu, erst einmal abzuwarten, was der Herbst überhaupt bringt. Eine übereilte Lockerung der Schuldenbremse wäre problematisch.

Die Schuldenbremse

Die Schuldenbremse bezeichnet eine verfassungsrechtliche Regelung, um die Staatsverschuldung zu begrenzen. Diese Regelung wurde 2009 von der Föderalismuskommission beschlossen und macht Bund und Ländern seit 2011 verbindliche Vorgaben zur strukturellen Neuverschuldung. Diese ist für den Bund auf maximal 0,35 Prozent de Bruttoinlandsproduktes beschränkt. Ausnahmen, etwa für Wirtschaftskrisen, sind aber möglich. Durch die Coronakrise bedingt, ist die Schuldenbremse seit 2020 ausgesetzt, soll aber nach aktueller Planung der Bundesregierung ab 2023 wieder gelten.

Weil sich das auch auf Deutschlands Kredit-Rating auswirken könnte?

Nein, dieses Risiko sehe ich im Moment nicht. Verfassungsrechtliche Gründe sprechen dagegen. Und es wäre ein falsches Signal an die übrigen EU-Staaten, wenn sich Deutschland vom Ziel begrenzter Schulden verabschiedet. Dann dürfte sich manch einer im Süden des Kontinents bestätigt fühlen und noch leichtfertiger mit dem Geld des Staates umgehen.

Sie meinen Italien.

Ja, genau. Es könnte sein, dass die rechte Partei Fratelli d’Italia nach den Wahlen Ende September die Premierministerin stellt und diese das Land stark gegen die EU positioniert. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dann wichtige Reformen unterlassen werden.

Was würde das für Deutschland bedeuten?

Wir müssten dann auf europäischer Ebene eine harte Linie fahren. Dann sind wir wieder der Buhmann. Das geht sehr schnell und stellt die Währungsunion vor eine Zerreißprobe.

Herr Feld, wir bedanken uns für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Lars Feld
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