Krieg in Taiwan? "Das käme einem Öl-Schock gleich"
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Flächenmäßig ist Taiwan kaum größer als Baden-Württemberg. Wirtschaftlich ist die Bedeutung der Insel aber groß. Das gilt auch für Deutschland.
Der diplomatische Konflikt schwelt seit Jahrzehnten, jetzt aber droht daraus ein Krieg zu werden: Nach Angaben von US-Geheimdiensten ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis China Taiwan überfällt, um den Inselstaat vollständig ins eigene Land zu integrieren.
Ein solcher Krieg hätte dabei nicht nur Auswirkungen auf die Region und die Menschen vor Ort. Die gesamte Weltwirtschaft und nicht zuletzt Deutschlands Unternehmen würden erheblich in Mitleidenschaft gezogen, wie Wirtschaftsexperten eindringlich warnen.
"Ein Krieg in Taiwan würde der Weltwirtschaft einen schweren Schlag versetzen", sagt Jürgen Gern, Konjunkturchef am Institut für Weltwirtschaft, t-online. "Das käme einem Öl-Schock gleich."
Weltweite Halbleiter-Engpässe befürchtet
Grund für dieses scharfe Urteil ist, dass Taiwan zu den weltweit wichtigsten Produzenten für Halbleiter zählt. Nach Intel und Samsung stammt mit der Taiwan Semiconductors Manufacturing Company (TSMC) der drittgrößte Chiphersteller der Welt aus Taiwan.
"Wenn die 14 TSMC-Fabriken im Land wegen eines Kriegs nicht mehr produzieren können, oder die Halbleiter nicht mehr außer Landes gelangen, bekommen Unternehmen auf der ganzen Welt riesige Probleme", so Gern. "Auch Deutschland wäre dann stark getroffen, auch wenn das auf den ersten Blick gar nicht so aussehen mag."
Was Gern damit meint: Auf dem Papier ist die Bedeutung Taiwans für Deutschland vergleichsweise gering. Nach den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes belief sich der Wert aller Waren und Dienstleistungen, die Deutschland und Taiwan ausgetauscht haben, auf zuletzt 21,5 Milliarden Euro. Im Vergleich zu China als wichtigstem Handelspartner Deutschlands entspricht das zwar gerade einmal einem Zehntel der Summe. Hier stehen rund 254,9 Milliarden Euro in der Statistik.
"TSMC ist systemrelevant"
Im Umsatz-Ranking des deutschen Außenhandels rangiert Taiwan aber dennoch auf Rang 25. Auffällig dabei: Deutschland importiert deutlich mehr aus Taiwan, als es in das Fernost-Land exportiert. Der Wert aller Ausfuhren summierte sich 2021 auf 9,3 Milliarden Euro. Die Einfuhren hatten einen Gesamtwert von 12,2 Milliarden Euro.
Ein großer Teil dieser Summe dürfte dabei auf die Bezahlung besagter Mikrochips entfallen. Berichten zufolge setzen unter anderem deutsche Autohersteller wie Audi oder Opel auf Halbleiter made in Taiwan ein. TSMC ist jedoch auch der größte Auftragshersteller der Welt. So liefert die Firma unter anderem Chips für den iPhone-Produzenten Apple sowie für die Computerprozessor- und Grafikkartenhersteller AMD und Nvidia.
Gern: "TSMC ist systemrelevant. Fallen die Produktionsstätten aus, würde das den ohnehin großen Chipmangel deutlich verschärfen. Dann stehen auf der ganzen Welt die Bänder still."
Mikrochip-Produktion in Europa schwierig aufzubauen
Die möglichen Folgen: weitere Lieferengpässe für Elektronik und noch schneller steigende Preise. Eine einfache und vor allem schnelle Lösung ist laut Gern kaum in Sicht. "Die Lieferketten lassen sich nicht so leicht zurückdrehen", sagt er. Selbst wenn es gelänge, mehr Chips in Deutschland und Europa zu produzieren, würde es dauern, bis der Mikrochip-Kosmos drumherum entsteht:
"In Taiwan werden die Halbleiter nicht nur hergestellt, sondern auch getestet und weiterverarbeitet", so Gern, "und bei manchen Vorprodukten ist der Weltmarktanteil Taiwans bisweilen sogar noch höher als für die Chips selbst." Dieses Know-how in Europa aufzubauen, sei eine sehr langfristig angelegte Aufgabe – für die es letztlich Fachkräfte brauche, die jetzt schon in der Wirtschaft fehlten.
TSMC hatte zuletzt übrigens überlegt, eine Fabrik in Europa aufzubauen. Auch Deutschland war dafür im Gespräch. Ob es angesichts der geopolitischen Spannungen in Fernost jetzt noch dazu kommt, dürfte allerdings fraglich sein.
- Gespräch mit Klaus-Jürgen Gern, Institut für Weltwirtschaft Kiel
- Bundesamt für Statistik: Außenhandelsbilanz