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Netzagentur-Chef Müller: "Das werden mindestens zwei anstrengende Winter"


Interview
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Netzagentur-Chef Müller
"Der Gasmarkt ist außer Rand und Band"

  • Florian Schmidt
InterviewVon Florian Schmidt

Aktualisiert am 18.08.2022Lesedauer: 8 Min.
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Energiesparen wird oberste Bürgerpflicht, denn die Gasspeicher in Deutschland sind noch nicht vollständig aufgefüllt. (Quelle: IMAGO/Oliver Zimmermann)
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Angesichts drohenden Gasmangels warnt der Chef der Netzagentur, Klaus Müller: Dieser Winter wird hart. Doch der folgende könnte noch härter werden.

Verdorrte Grünflächen, gleißendes Sonnenlicht, die Luft flirrt: Wenn Klaus Müller im 13. Stock des grauen Hochhauskastens aus dem Fenster blickt, springt ihn der Hitzesommer förmlich an.

Doch obwohl sich die Wärme auch in seinem Büro staut, ist der Präsident der Bundesnetzagentur gedanklich längst im Winter angekommen. Spätestens dann kommt es auf ihn und seine Behörde an. Dreht Putin uns das Gas vollständig ab? Welche Fabrik bekommt in einer Mangellage wie viel Gas? Und was blüht uns eigentlich erst im nächsten Jahr? Fragen wie diese beschäftigen Müller und seine Kollegen seit nun fast einem halben Jahr.

t-online hat Deutschlands obersten Gas-Wächter in seinem Bonner Amtssitz getroffen. Im Interview erklärt er, unter welchen Bedingungen wir doch noch halbwegs unbeschadet durch die nächsten Monate kommen, warum die Deutschen mindestens zwei harte Winter erwarten – und wie jeder jetzt Energie sparen kann.

t-online: Herr Müller, die Gasumlage steht. War's das jetzt, oder müssen sich die Deutschen auf immer weiter steigende Gasrechnungen einstellen?

Klaus Müller: Das lässt sich seriös kaum beantworten. Der Gasmarkt ist außer Rand und Band. Prognosen über künftige Preisentwicklungen bleiben äußerst schwierig – Spekulationen verbieten sich. Fakt ist: Bislang hat jede Drosselung der russischen Lieferungen zu höheren Preisen geführt. Und Fakt ist auch, dass viele Versorger diese jüngsten Preissprünge erst in den nächsten Wochen in Form regulärer Preiserhöhungen an ihre Kunden weiterreichen werden. Das wird viele Haushalte deutlich stärker treffen als die Gasumlage selbst.

Mit den 2,4 Cent je Kilowattstunde sollen Gasimporteure wie Uniper gerettet werden. Wie gerecht ist das?

Das ist eine politische Frage. Was ich sagen kann: Wir retten nicht nur Uniper, wir retten mit der Umlage Hunderte Stadtwerke in ganz Deutschland. Es geht um nicht weniger als eine Stabilisierung unserer Gasversorgung. Es muss allen Menschen klar sein, wie zugespitzt die Situation ist. Mit den enorm hohen Preisen bekommen auch wir zu spüren, wie aggressiv Putin handelt.

Die Behörde

Die Bundesnetzagentur (BNetzA) mit Sitz in Bonn überwacht den Wettbewerb in sogenannten Netzmärkten. Gemeint sind damit unter anderem der Strommarkt, das Post- und Telekommunikationswesen und das Schienennetz. Auch um die Auktion von Mobilfunkfrequenzen kümmert sich die BNetzA. Im Fokus steht die Behörde mit ihren rund 2.800 Mitarbeitern derzeit aber vor allem wegen der Gaskrise: Im Falle eines Gasmangels bestimmt die Netzagentur, wer wie viel Gas zugeteilt bekommt.

Klettern Weltmarktpreise fürs Gas weiter, müsste auch die Umlage noch einmal steigen. Rechnen Sie kurzfristig damit?

Die Unternehmen, die die Gasumlage nutzen wollen, haben jeweils für sich eine Preisvorschau vorgenommen. Das heißt, sie haben eine ganze Reihe von Annahmen getroffen darüber, zu welchen Preisen sie auch künftig Gas einkaufen können. Ob die ausreichen, oder ob die Umlage im Januar angehoben werden muss, hängt maßgeblich von Russland ab – und von den Verbräuchen und damit auch vom Wetter.

Sinken könnte die Umlage aber auch, oder?

Richtig. Mittelfristig, ab Sommer 2023, erwarten wir eine weltweite Ausweitung des Angebots für Flüssiggas. Bestenfalls könnte das die Preise am Weltmarkt drücken. Dann würde auch die Gasumlage nach unten korrigiert werden. Die Höhe der Umlage ist aber nur ein Faktor.

Worauf kommt es noch an?

Wir müssen den Gasverbrauch reduzieren und dafür ist der Zeitpunkt der Umlagen-Einführung wichtig. Die Umlage beginnt ab dem 1. Oktober, zu Beginn der Heizperiode, und es ist wichtig, jetzt schon darüber zu reden. Denn jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um Einsparmaßnahmen zu treffen. Im Winter ist es dafür etwas spät. Natürlich bedarf es auch einer sozialen Flankierung, das ist keine Frage.

Wozu raten Sie konkret?

Erstens: Überlegen Sie sich, in welchen Zimmern Sie wie viel heizen wollen. Im Herabdrehen der Heizkörper liegt der größte Energiespar-Hebel. Zweitens: Kümmern Sie sich um den hydraulischen Abgleich der Heizung, also einen Wasserdruck-Check für die Heizung. Das kann vielleicht schon ein guter Hausmeister, sonst braucht man dafür einen Heizungsmonteur. Drittens: Lassen Sie die Heizungsanlage optimal einstellen. Damit lassen sich häufig bis zu 15 Prozent Energie sparen. Auch Mieter sollten sich dazu mit dem Hauseigentümer in Verbindung setzen.

Der Präsident

Klaus Müller, Jahrgang 1971, leitet die Bundesnetzagentur seit März 2022. Zuvor war er lange im Verbraucherschutz tätig, zuletzt acht Jahre als Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV). Müller ist langjähriges Mitglied bei den Grünen. Für sie war er von 2000 bis 2005 als Umwelt- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein Mitglied im rot-grünen Kabinett von Heide Simonis.

Glauben Sie, dass genügend Leute all diese Dinge machen, damit auch die Privathaushalte die nötigen 20 Prozent Gas einsparen?

Ich bin zwar Optimist, trotzdem bin ich da vorsichtig. Die meisten Menschen reagieren erst dann, wenn es finanziell spürbar wird, also dann, wenn sie die höheren Kosten schwarz auf weiß vor sich sehen. Meine Bitte deshalb: Die Versorger, die ihre Kunden jetzt über die Gasumlage und weitere Preiserhöhungen informieren, sollten eine Art "Beipackzettel" mitschicken. In diesem Brief sollten sie kurz erläutern, wie die Menschen kurzfristig Energie sparen können. Die bittere Nachricht der hohen Rechnung wäre dann gepaart mit der wichtigen Botschaft, wie sich die Kosten wenigstens drücken lassen.

Vielen Menschen dürfte bei solchen Tipps das Lachen im Halse stecken bleiben. Sie sind sauer und verzweifelt, weil sie nicht wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Wie groß ist Ihre Angst vor Protesten im Winter?

Ich kann die Sorgen der Menschen absolut nachvollziehen. Umso wichtiger ist es deshalb, dass die Bundesregierung für gezielte Entlastungen sorgt. Gleichzeitig hat uns die Corona-Krise aber gelehrt: Es gibt sicherlich Proteste und Demonstrationen. Die allermeisten Menschen aber, davon bin ich fest überzeugt, wollen Probleme – die Reduzierung des Gasverbrauches und ihrer -rechnung – lösen. Weil sie die Überzeugung teilen: Wir können etwas tun. Wir können eine Gasmangellage abwenden. Aber eben nur alle gemeinsam.

Große Worte – die angesichts der Füllstände unserer Gasspeicher fast etwas übertrieben wirken. Das erste Speicherziel mit 75 Prozent haben wir vergangenes Wochenende bereits 17 Tage vor der Frist erreicht. Schüren Sie manchmal etwas zu viel Panik?

Nein. Hätten wir nicht so viel gemahnt und gewarnt, hätte die Bundesregierung nicht die 15 Milliarden Euro für die zusätzlichen Gaseinkäufe bereitgestellt sowie Uniper gerettet und die Speicherziele verschärft, dann wäre der Speicher-Turbo nicht angesprungen. Außerdem sollten wir uns in dem früh erreichten Speicherziel nicht täuschen. Die nächsten Etappen werden deutlich schwerer.

Warum?

Stellen Sie sich einen leeren Fahrradreifen vor. Wenn ich den Schlauch aufpumpe, gehen die ersten 30 Pumpstöße ziemlich leicht. Die letzten 20 aber sind deutlich schwerer.

Weil der Schlauch dann schon fast voll ist …

Exakt. Ungefähr so ist es auch bei den größten Gasspeichern in Deutschland, etwa dem im niedersächsischen Rehden, den früher Gazprom kontrolliert hat. Das ist ein sogenannter Porenspeicher. Das heißt, das Gas wird unterirdisch in Milliarden kleiner Poren im Gestein gespeichert. Am Anfang kann ich die schnell mit Gas voll pumpen. Am Ende aber geht es nur noch langsamer, unter großem Druck.

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Können wir die weiteren Speicherziele dann überhaupt erreichen?

Ich rechne nicht damit, dass wir die nächsten Speicherziele ähnlich schnell schaffen werden wie das erste. Das Erreichen der 85 Prozent ist zwar nicht unmöglich, aber schon sehr ambitioniert, vor allem bis zum 1. Oktober, wenn vorher schon geheizt werden sollte. Einen durchschnittlichen Füllstand von 95 Prozent zum 1. November verfehlen wir in all unseren Szenarien. Das werden wir kaum hinkriegen, weil einzelne Speicher von einem sehr niedrigen Füllstand gestartet sind.

Was bedeutet das? Laufen wir dann automatisch in die Gasmangellage hinein?

Nein, nicht automatisch. In unserem Basisszenario – es fließt weiter so viel Gas wie jetzt aus Russland, wir alle sparen mindestens 20 Prozent beim Verbrauch – kämen wir auch dann halbwegs gut durch den ersten Winter. Eine bundesweite Gasmangellage muss nicht zwingend eintreten ...

Aber?

Regional könnte es durchaus Gasmangellagen geben. Vermutlich wären die Einschränkungen erst einmal temporär und können auch wieder enden oder mehrfach auftreten. Wir müssen in diesem Fall dafür sorgen, dass wir das Gas gut durchs Land transportiert bekommen.

Für wie wahrscheinlich halten Sie dieses Basisszenario?

Für wahrscheinlich. Womöglich aber läuft es sogar etwas besser.

Was müsste dafür passieren?

Dafür müsste gewährleistet sein, dass die Gasimporte nächstes Jahr größer ausfallen – zum Beispiel, weil die zwei zusätzlichen privaten Flüssiggasterminals so früh wie möglich fertig wären oder wir zusätzliches Gas aus Frankreich bekommen. Dann könnten wir davon ausgehen, dass wir unsere Speicher nächsten Sommer wieder schneller füllen können.

Diese Gewissheit haben wir aber nicht. Nicht einmal Ihr Basisszenario ist garantiert, weil uns Kreml-Herrscher Wladimir Putin jeden Tag das Gas komplett abdrehen könnte. Können Sie trotzdem versprechen, dass die Wohnungen der Deutschen warm bleiben?

Ich kann zusagen, dass sich die Bundesnetzagentur an europäisches Recht halten wird. Das heißt konkret: In einer Situation, in der es zu wenig Gas gibt, werden wir zuerst bei der Industrie sparen müssen. Die Privathaushalte bekommen prioritär Gas. Und übrigens nicht nur die. Zu den geschützten Gruppen gehören unter anderem auch die Wärmekraftwerke sowie zum Beispiel Krankenhäuser, Polizeistationen, Pflegeheime, Schulen.

Wenn es die Industrie trifft: Was würde als Erstes in den Supermarktregalen fehlen?

Das kann keiner genau vorhersagen, weil manche Firmen ja auch füreinander bei der Produktion einspringen dürften. Aber natürlich ist auch die Versorgung mit lebenswichtigen Lebensmitteln von besonderer Bedeutung.

Auf das Attribut "systemrelevant" pochen derzeit viele Branchen. Wie viele Briefe von Unternehmen und Verbänden bekommen Sie pro Woche?

15 bis 20, mindestens. Die allermeisten aber kamen schon im Frühjahr. Seitdem hat sich einiges geändert. Viele Branchen machen nun selbst Vorschläge, wo sie Gas sparen können. Man könnte sagen: Große Teile der Industrie haben verstanden, um was es geht. Und das ist auch gut so, denn sonst bekämen wir spätestens im Winter 2023/2024 große Probleme.

Wie meinen Sie das?

Es kann in den kommenden Monaten Momente geben, in denen wir die Gasspeicher stärker anzapfen müssen. Das kann schnell Auswirkungen auf das nächste Jahr haben. Umso wichtiger ist es, dass alle verstehen: Es geht nicht nur um einen Winter, sondern um mindestens zwei. Und der folgende Winter könnte noch einmal härter werden.

Warum?

Weil unsere Speicher, je nachdem wie diese Heizperiode ausgeht, im Frühjahr leerer sein könnten als dieses Jahr. Wir müssen deshalb mindestens noch ein weiteres Jahr viel Gas sparen. Um es ganz klar zu sagen: Das werden mindestens zwei anstrengende Winter.

Halten wir das durch?

Ich hoffe es! Natürlich wird es Ermüdungseffekte geben. Im zweiten Winter wird es uns alle sehr anstrengen, noch einmal Gas und Energie zu sparen. Gleichzeitig haben wir mit all dem, was wir jetzt einmalig investieren, auch gute Voraussetzungen: Innovative Prozesse zum Gassparen in den Fabriken, der Einbau Tausender Wärmepumpen bei den Privathaushalten, etc. – das wird uns in den nächsten Wintern auch helfen.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Sie haben die Bundesnetzagentur fünf Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine übernommen – und dürften kaum damit gerechnet haben, einmal so sehr wie jetzt im Fokus zu stehen. Wie fühlt es sich an, Deutschlands oberster Gas-Wächter zu sein?

Schwer. Mit jedem Brief von betroffenen Verbrauchern, mit jedem Gespräch mit Unternehmen oder Betriebsräten spüren wir hier die Last auf den Schultern der Bundesnetzagentur noch einmal etwas mehr. Mir und uns allen hier ist bewusst: Eine Gasmangellage hätte extreme Konsequenzen, für den Einzelnen, für ganze Firmen und ihre Angestellten, für das Land. Das ist nicht leicht. Ich habe einmal Volkswirtschaftslehre studiert, weil ich der festen Überzeugung bin, dass der Markt Waren und Güter am besten zuteilt – und nicht eine Behörde. Darin sehe ich mich hier jede Woche bestätigt. Wir können hier keine guten Entscheidungen treffen. Wir können nur die am wenigsten schlechten fällen und alles dafür tun, eine Mangellage zu vermeiden.

Herr Müller, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller in Bonn
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