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Russland | Experte: "Streng genommen braucht es ein Totalembargo"


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EU-Sanktionen gegen Russland
"Die Folgen für die russische Wirtschaft sind massiv"

InterviewVon Nele Behrens

Aktualisiert am 19.05.2022Lesedauer: 7 Min.
Steht auf keiner Liste: Obwohl die westlichen Sanktionen Putin unter Druck setzen sollen, ist der russische Präsident selbst bisher nicht sanktioniert.Vergrößern des Bildes
Steht auf keiner Liste: Obwohl die westlichen Sanktionen Putin unter Druck setzen sollen, ist der russische Präsident selbst bisher nicht sanktioniert. (Quelle: Morris MacMatzen/getty-images-bilder)

Beim Ölembargo gibt es Risiken, die der EU noch zum Verhängnis werden könnten, warnt der anerkannte Sanktionsexperte Viktor Winkler. Im Interview erklärt er, warum eigentlich Putin selbst bestraft werden müsste.

Beim Ringen um ein Ölembargo bereitet vor allem Ungarn der EU Probleme: Premierminister Viktor Orbán will nicht auf russisches Öl verzichten und zögert die Entscheidung heraus.

Tatsächlich aber gibt es noch ein viel größeres Risiko, warnt jetzt der Sanktionsexperte und Rechtsanwalt Viktor Winkler. Im Gespräch mit t-online erläutert er, warum es eigentlich kein Öl- ohne ein Gasembargo geben könnte – und wie lange deutsche Unternehmen wie Rittersport voraussichtlich noch in Russland Geschäfte machen können.

t-online: Viele deutsche Politiker haben die EU-Sanktionen vorab eine Atombombe genannt, etwa den Ausschluss einiger russischer Banken aus dem Finanzsystem Swift. Wo bleibt der große Knall?

Viktor Winkler: Von solchen martialischen Metaphern halte ich persönlich nichts – gerade auch in Anbetracht der echten Bedrohung, der wir gegenüberstehen. Unabhängig davon steht fest: Das ist das größte und vor allem komplexeste Sanktionspaket in der Geschichte.

Viele fordern trotzdem mehr. Bürger, Politiker, sogar manche Ökonomen vermissen noch die messbaren Auswirkungen der Sanktionen.

Viele denken, man könne die dramatischen Effekte sofort sehen. Dem ist nicht so. Dennoch halte ich es für eine Legende, dass Russland und insbesondere Putin die Sanktionen gar nicht spüren würden. Die Folgen der Sanktionen sind für die russische Wirtschaft massiv. Mich stört es sehr, welche Erwartungen an Sanktionen gekoppelt werden. Wenn sie nicht sofort wirken, erklären wir sie schnell für unnütz. Das finde ich als Jurist langsam unerträglich.

Aber ist der Sinn von Sanktionen nicht, dass sie schnell wirken?

Sanktionen sind eine juristische Maßnahme. Dennoch behandeln wir sie nicht wie anderes Recht. Wenn wir das Morden unter Strafe stellen und die Mordrate nicht sofort sinkt, hinterfragen wir doch auch nicht das Gesetz, das den Mord verbietet. Mit Recht sagen wir als Gesellschaft: Eine Tat, etwa Mord, ist etwas Furchtbares – wir wollen das Unrecht durch Recht korrigieren, ausgleichen. Wenn wir uns also fragen, ob die Sanktionen hart genug sind, müssen wir uns fragen: Haben wir unsere Ablehnung gegen Putins Krieg durch das Mittel der Sanktionen hart genug zum Ausdruck gebracht?

Das heißt, wir können gar nicht sagen, wie sehr die Sanktionen Putin dazu drängen, sein Verhalten zu ändern?

Wie gesagt, das Ziel von Gesetzen ist es, aus Unrecht wieder Recht zu machen. Das gilt auch für Sanktionen: Wir zeigen damit deutlich, dass wir das Verhalten nicht akzeptieren. Dass der Sanktionierte dann das Unrecht auch einsieht, ist natürlich enorm wichtig, aber es entwertet nicht die Sanktionen, wenn er es nicht tut.

Das klingt erst einmal ernüchternd.

Sanktionen sind Recht, und Recht ist naturgemäß nüchtern. Niemand konnte ernsthaft denken, dass Putin von einem Tag auf den anderen durch die Sanktionen gezwungen sein würde, die Invasion rückgängig zu machen, was ja unser primäres Ziel ist. Vielmehr können wir viele Auswirkungen der Sanktionen – auch für deutsche Unternehmen – noch gar nicht vorhersagen.

Schaden wir uns mit den Sanktionen also womöglich selbst?

Die Wirtschaft war und ist ja ausdrücklich bereit, diesen Preis zu zahlen. Ich wäre nur vorsichtig damit, bereits Entwarnung zu geben, wie es manche öffentlich schon tun. Klar, wenn man mit dem Untergang des Abendlandes gerechnet hat, ist das nicht eingetreten. Aus eigener Erfahrung aus den vergangenen Wochen kann ich aber sagen: Das Stresslevel der Topmanager ist sehr hoch. Für Unternehmen war es noch nie so schwer, die Folgen der Sanktionen für das eigene Geschäft zu verstehen und einzuordnen.

Noch komplizierter wird es, wenn ein Unternehmen in Russland noch Geschäfte macht. Manche große Marken wie Rittersport, Ehrmann oder Bayer haben sich noch immer nicht zurückgezogen. Wie lange bleibt es für diese Marken noch möglich, an ihrem Geschäftsmodell festzuhalten?

Ich denke: Wer jetzt noch drin ist, der wird bleiben. Aktuell kann ein europäisches Unternehmen noch in bestimmten Bereichen legal in Russland arbeiten, es gibt kein Totalembargo. Sollten sich die Sanktionen allerdings noch um ein deutliches Stück verschärfen, dann werden die regulatorischen Lücken so klein, dass man als Anwalt sagen muss: Ihr müsst das komplett einstellen.

Härtere Sanktionen sind ja bereits in Arbeit, aktuell ringt die EU um ein Ölembargo. Einige Staaten wie Ungarn mauern allerdings. Wird das Embargo also scheitern?

Nein, ich gehe mit sehr großer Wahrscheinlichkeit davon aus, dass das Ölembargo bald kommt. Ich stelle mich für meine Arbeit jedenfalls darauf ein. Ich fürchte aber, dass ein Gasembargo nicht kommen wird. Obwohl es das rein rechtlich müsste.

Das müssen Sie erklären.

Politisch steht die Antwort auf einem anderen Blatt, aber juristisch kann ich nur sagen: Da kommt ein ganz großes Problem auf uns zu. Rein rechtlich gilt: Ein Ölembargo ohne Gasembargo ist rechtlich auf ganz dünnem Eis. Der Knackpunkt ist in diesem Fall bereits der Gleichbehandlungsgrundsatz. Wir können sanktionsrechtlich eigentlich nicht sagen: Öl ja, Gas nein.

Viktor Winkler ist Rechtsanwalt und Sanktionsexperte. In der aktuellen Krise sprach er unter anderem als Sachverständiger vor dem Deutschen Bundestag zum sogenannten Sanktionsdurchsetzungsgesetz und berät deutsche Unternehmen zu den Konsequenzen der Sanktionen für die deutsche Wirtschaft.

Wieso nicht? In der Politik scheint es daran ja keinen Zweifel zu geben.

Ich sehe nicht, dass die EU rechtlich in der Lage wäre, den Unterschied zwischen Öl und Gas vor einem EU-Gericht darzulegen. Natürlich darf man beim Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zwischen Äpfeln und Birnen vergleichen, aber ich habe gewisse Zweifel, dass die EU darlegen könnte, dass russisches Öl und russisches Gas – beides russische Energieträger – grundsätzlich verschieden wären und auch so rechtlich behandelt werden können. Aber diesen Fehler machen wir bei den Sanktionen in vielen Aspekten, ich nenne das das "Abramowitsch-Problem".

Sie meinen den Oligarchen Roman Abramowitsch, der lange Zeit auch nicht sanktioniert wurde?

Exakt. Abramowitsch war – rechtlich betrachtet – viel zu lange nicht sanktioniert. Sie können nicht Hunderte von "Oligarchen" sanktionieren und ausgerechnet denjenigen unbehelligt lassen, der zum Ziel der Sanktionen – Druck auszuüben auf einen Putin nahestehenden Kreis von besonders mächtigen und auch international vernetzten Profiteuren – am meisten passt. Und doch geschah dies sehr lange. Zum Glück hat kein Oligarch geklagt, denn juristisch war das bis zur Sanktionierung von Abramowitsch ein massives Problem. In der Konsequenz bedeutet das auch: Eigentlich müssten wir Putin direkt sanktionieren.

Sie wollen den russischen Präsidenten direkt auf die Sanktionsliste setzen?

Ich rede nicht von wollen, sondern von den rechtlichen Grundlagen. Politisch kann ich die Gründe natürlich nachvollziehen und unterstütze sie nachdrücklich. Aber es bleibt rechtlich ein gewaltiges Problem der sanktionsrechtlichen Konsequenz und Gleichbehandlung. Wir sanktionieren inzwischen knapp 1.000 russische Staatsangehörige, aber ausgerechnet die Person, die es unbestritten am meisten in der Hand hat, diesen Angriffskrieg sofort einzustellen, sanktionieren wir nicht. Auch wenn es viele nicht hören wollen: Es ist hoch legal und sinnvoll den engen Kreis von Putin zu sanktionieren und das bedeutet eben auch: Putin und auch seine Freundin auf die Liste der Sanktionen zu setzen.

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Was würde passieren, wenn die EU Putin sanktioniert?

Es macht keinen Unterschied, ob wir Putin oder den Direktor von Rosneft sanktionieren. Die Rechtsgrundlage ist exakt dieselbe und als Folge werden insbesondere alle Vermögenswerte eingefroren. Aber auch ein Sanktionierter kann weiterhin Brötchen kaufen und hat etwa Anspruch auf rechtliche Beratung.

Aber könnte Putin das nicht als direkte Provokation verstehen?

Da muss ich schmunzeln. Die Sorge, dass Putin sich nicht mehr mit dem Westen an einen Tisch setzt, wenn man ihn sanktioniert, ist bizarr. Wir entwickeln das komplexeste und weitreichendste Sanktionspaket der Geschichte gegen Putin, aber sorgen uns, dass es keine Friedensverhandlungen gibt, wenn wir ihn direkt sanktionieren? Als Jurist kann ich diese Angst nicht nachvollziehen. Zumal wir doch gerade das mit den Sanktionen bezwecken: vehementen Druck auf Putin auszuüben.

Direkte Sanktionen gegen Putin und seine engsten Vertraute, kein Öl- ohne ein Gasembargo: Dafür, dass Sie den historischen Umfang des Sanktionspakets betonen, fordern Sie ganz schön harte Nachschärfungen.

Ich spreche nur aus der rechtlichen Perspektive. Und da geht es nicht um Nachschärfungen, sondern um Konsequenz und so wenig juristische Angriffsfläche wie nötig. Streng genommen braucht es daher irgendwann auch ein Totalembargo gegen Russland.

Also das komplette Verbot aller Handelsbeziehungen?

Genau.

Spätestens jetzt läuft Ihnen doch die Wirtschaft Sturm.

Im Gegenteil: Gerade wenn wir ein Ölembargo ohne ein Gasembargo verabschieden, könnte die Klagewelle beginnen. Viele Unternehmen haben bereits in den vergangenen Wochen Lieferungen nicht erfüllt – aus purer Ungewissheit, wo die Sanktionen anfangen und wo sie enden.

Nicht einfach als Protest gegen den Krieg?

Nicht alle Unternehmen handeln aktuell aus ethischen oder Reputations-Erwägungen. Viele sind einfach nur verunsichert. Das hat ein historisches Ausmaß erreicht. Ich freue mich als Rechtsanwalt, hier helfen zu können, aber das ist keine dauerhafte Lösung für unsere Wirtschaft, für große wie kleine Unternehmen. Der Druck ist groß. Und wenn das Ölembargo kommt, dann könnte der Burgfrieden in der Wirtschaft Risse kriegen, denn von so einem Embargo wären viele Unternehmen hart getroffen. Spätestens dann sollten die Sanktionen rechtlich wasserdicht sein. Und dazu gehört eben, als EU keine Unterscheidungen zu treffen, die rechtlich angreifbar sein können.

Wäre es also besser, wir würden kein Embargo abschließen?

Im Gegenteil. Diese Wochen sind die einmalige Gelegenheit für uns alle, um Sanktionen als ein zentrales Mittel der Politik endlich anzunehmen. Das Sanktionsrecht lebte lange im Schatten. Und politisch schafft ein Embargo Rechtssicherheit. Freiwillig werden die Branchen einzelner Länder jedenfalls nicht auf russisches Öl verzichten.

Manche Unternehmen sind auch mit langjährigen Verträgen an Russland gebunden.

Richtig, auch hier gibt ein Embargo Sicherheit Denn: Jeder Vertrag und jede Verpflichtung aus einem Vertrag, die unmittelbar gegen Sanktionsrecht verstößt, ist nichtig. Das bedeutet, man muss kein russisches Öl oder Gas mehr annehmen – auch wenn man vertraglich dazu eigentlich verpflichtet wäre.

Herr Winkler, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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