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Zum journalistischen Leitbild von t-online.DIHK-Präsident warnt "Wir befinden uns in einer gefährlichen Situation"
Der Ukraine-Krieg treibt die Energiekosten in die Höhe. Für einige deutsche Unternehmen könnte das in der Pleite enden, warnt DIHK-Präsident Peter Adrian.
Der Krieg in der Ukraine ist längst an deutschen Tanksäulen und Supermarktkassen angekommen. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian, geht davon aus, dass die Preise noch weiter steigen. Denn bei vielen Unternehmen machten sich die hohen Energiepreise erst mit Verzögerung bemerkbar.
t-online hat mit ihm darüber gesprochen, ob die deutsche Wirtschaft das verkraften kann, welche Branchen von einem Gasembargo besonders betroffen wären und welche Fehler die Bundesregierung bei der Priorisierung macht.
t-online: Lieferkrise, Inflation, geringes Wachstum – Herr Adrian, stehen wir schon am Rande einer neuen Weltwirtschaftskrise?
Peter Adrian: Wir befinden uns auf jeden Fall in einer gefährlichen Situation. Wir hatten bis Corona ein Jahrzehnt guter wirtschaftlicher Entwicklung hinter uns und erleben nun erstmals wieder Mangelwirtschaft. Dadurch steigen die Kosten, vor allem für Energie und Rohstoffe. Hinzu kommt der Fachkräftemangel. Die Gefahr eines weltweiten Abschwungs wächst.
Bedeutet das auch, dass wir ärmer werden, dass der Höhepunkt des Wohlstands hinter uns liegt?
Wenn wir nicht richtig und zügig gegensteuern, liegen sehr magere Jahre oder sogar Jahrzehnte vor uns. Doch so weit muss es nicht kommen. Wenn wir etwa aufgrund des Energiemangels schneller und technologieoffen wirksame Alternativen zu den fossilen Brennstoffen entwickeln, kann eine neue Wohlstandsepoche folgen. Dann könnten wir zum Beispiel Technologieführer bei den regenerativen Energien werden. Neben den Risiken gibt es also auch Chancen.
Und was davon überwiegt?
Ich bin eigentlich immer Optimist, auch jetzt. Denn mein Eindruck ist, dass die Politik in Deutschland erkannt hat, in welch kritischer Lage wir uns befinden. Der neue parteiübergreifende Pragmatismus ist eine gute Grundlage dafür, die Probleme in den Griff zu bekommen.
Trotz allem Optimismus geben derzeit vier von fünf Unternehmen an, dass sie von den wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs betroffen sind. Hat sich die deutsche Wirtschaft bei der Globalisierung verzockt – sind wir zu abhängig vom Rest der Welt?
Ich würde nicht sagen, dass wir uns verzockt haben. Unser ganzes Land hat viele Jahre von der Globalisierung profitiert und die Erträge geerntet. Klar ist aber: Der Krieg hat die Wirtschaft genauso unerwartet getroffen wie die Politik. Jetzt müssen wir möglichst schnell die richtigen Konsequenzen ziehen.
Was genau meinen Sie damit?
Wir müssen unsere Lieferketten grundsätzlich an die neue Welt anpassen. Dabei geht es nicht nur um Öl und Gas, sondern um ganz viele andere Dinge.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel Titan, ein Rohstoff, den vor allem die Luftfahrtindustrie benötigt. Bislang kauften viele deutsche Firmen ihr Titan in Russland. Wegen der Sanktionen geht das nun nicht mehr. Die Unternehmen müssen da jetzt neue Lieferketten aufbauen, um die Ausfälle zu ersetzen. Und so sieht es bei vielen anderen Rohstoffen auch aus: Wir müssen also Alternativen in anderen Ländern finden.
Peter Adrian, Jahrgang 1957, ist seit März 2021 Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. Der gebürtige Kölner absolvierte eine Ausbildung zum Bankkaufmann und studierte dann an der Universität Trier Volkswirtschaftslehre. 1989 gründete er in Trier die Triwo AG, die mittlerweile 34 Tochtergesellschaften in den Bereichen Industrie- und Gewerbeparks, Kfz-Testcenter und Sonderflughäfen umfasst. Vor seiner Wahl zum Präsidenten engagierte er sich bei der IHK Trier und im DIHK-Vorstand.
Wird uns das leicht gelingen?
Das ist nicht leicht, aber möglich. Wir werden das nur schaffen, wenn wir in der Welt als Deutsche oder Europäer partnerschaftlich und mit Respekt auftreten – und nicht als Oberlehrer oder Besserwisser. Die Unternehmen brauchen dabei den Rückenwind der deutschen und europäischen Politik, etwa für mehr Handelsabkommen. Bis wir so weit sind, wird es in der Wirtschaft aber weiter knirschen. Es wird Produktionsstörungen geben, Wachstums- und Wohlstandsverluste sowie damit verbundene Preissteigerungen.
Die Inflation setzt den Firmen schon jetzt sehr zu, die Erzeugerpreise sind so stark gestiegen wie nie zuvor. Wie lange hält die deutsche Wirtschaft das noch aus?
Wir haben Bereiche, gerade bei kleineren und mittleren Unternehmen, die von hohen Energiepreisen erheblich betroffen sind und denen die Inflation die wirtschaftliche Grundlage nimmt. Hier muss der Staat helfen, in diesen Fällen erwarte ich mehr Unterstützung aus der Politik.
Droht uns ohne die staatliche Unterstützung sonst eine Pleitewelle?
Die Gefahr von Unternehmenspleiten ist real. Das gilt insbesondere in den Branchen, wo die Energiekosten von großer Bedeutung sind. Gas ist aktuell fünfmal so teuer wie noch vor einem Jahr. Wenn der Gaseinkauf ein wesentlicher Faktor der Betriebskosten ist, geht die Rechnung irgendwann nicht mehr auf. Das gilt umso mehr, wenn die Firmen die Preissteigerungen durch vertragliche Bindungen nicht weitergeben können.
Welche Wirtschaftszweige meinen Sie, abseits der bekannten Chemieindustrie?
Wir haben in Deutschland viele Unternehmen, die energieintensiv arbeiten. Da geht es etwa um Zinkereien, Gießereien, um die Keramik- und die Glasindustrie, aber auch um Automobilzulieferer, die viel Energie benötigen. Dabei dürfen wir nicht vergessen: Viele dieser Firmen stehen im internationalen Wettbewerb, etwa mit Unternehmen aus den USA. Dort aber ist Energie weiterhin viel günstiger als in Deutschland. Auch im benachbarten Frankreich ist der Strom für Industriebetriebe erheblich günstiger als bei uns. Das setzt einer ganzen Reihe von deutschen Unternehmen im Wettbewerb aktuell so stark zu, dass ihnen nur noch die Schließung oder die Verlagerung ihrer Produktionsstandorte bleibt.
Heißt also: Wenn der Staat nicht will, dass Arbeitsplätze ins Ausland verschwinden, muss er den Unternehmen stärker unter die Arme greifen. Wie könnte das aussehen?
Es geht im Kern nicht um Staatshilfe für Unternehmen. Die wollen und müssen ihr Geld schon selbst erwirtschaften. Wir müssen aber für die ganze Breite der Wirtschaft alle zusätzlichen Belastungen vermeiden. Dann können sich die meisten Unternehmen selbst erfolgreich gegen die Krise stemmen und in ihre Zukunft investieren. Das nutzt uns allen. Für akute Härtefälle, die schlagartig und unverschuldet in Not geraten sind, denke ich bei kurzfristiger Krisenhilfe an Instrumente, die sich auch in der Corona-Krise bewährt haben: Kurzarbeitergeld, Kredit- und Finanzierungshilfen, Bürgschaftsprogramme, bis hin zu direkten Zuschüssen.
Letzteres plant die Bundesregierung bereits: Energieintensive Industrien sollen Zuschüsse bekommen.
Ja, das ist ein guter Schritt, reicht aber nicht aus. Es gibt viele Unternehmen, die wie die große Industrie betroffen sind, aber nicht berücksichtigt werden. Dabei geht es oft um Betriebe, die in Planspielen übersehen werden, aber im wirklichen Leben sehr relevant sind. Auch für sie müssen die Preise abgedämpft werden. Wir plädieren anstelle einer Branchenliste dafür, einen bestimmten Anteil der Energiekosten an der Wertschöpfung zur Bedingung für Hilfen zu machen. Liegt der Energieanteil darüber, dann soll ein Unternehmen bei explodierenden Gas- und Strompreisen bezuschusst werden können.
Auch das hilft nur kurzfristig. Was, wenn Energie langfristig teuer bleibt?
Ich gehe davon aus, dass die Energiepreise in den kommenden zwei bis drei Jahren wieder sinken. Ob sie sich aber wieder auf das Niveau von vor Corona einpendeln, kann natürlich niemand sagen. Sicherlich sind die hohen Preise auch ein Treiber dafür, dass Unternehmen nochmal – wenn irgendwie möglich – mehr beim Thema Energieeffizienz machen. Aber für die meisten sind Möglichkeiten begrenzt.
Gut dran sind jene Unternehmen, die höhere Preise an ihre Kunden weitergeben können. Worauf müssen sich Verbraucher in den nächsten Monaten einstellen?
Unsere aktuelle IHK-Konjunkturumfrage unter 25.000 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen zeigt: Vier von zehn Unternehmen haben Preissteigerungen zumindest teilweise bereits an ihre Kunden weitergegeben. Rund ein Drittel will das bald tun. Verbraucher müssen mit weiter steigenden Preisen rechnen. Für etliche Unternehmen kommt der akute Energiepreis-Schock noch.
Warum?
Weil in den kommenden Monaten die ersten langfristigen Gaslieferverträge mit Preisbindung auslaufen. Spätestens wenn dann die Energiekosten für die Firmen sprunghaft steigen, werden viele die Preise für ihre Produkte deutlich anheben müssen. Die Inflation wird auch im kommenden Jahr noch sehr hoch bleiben.
Kommen wir noch einmal zurück zum Gas. Für den Fall eines Lieferstopps greift ein Notfallplan der Regierung, der vor allem Privathaushalte vor Rationierungen schützt. Der Industrie dagegen würde mit als Erstes der Hahn zugedreht. Ist das die richtige Reihenfolge?
Ich finde die deutsche Verteilungsdebatte schwierig. Denn die Privilegierung der Privathaushalte hängt an einer EU-Verordnung. Das heißt, alleine könnte Deutschland die Reihenfolge nicht ändern. Wir sollten keinen Verteilungskampf zwischen Wirtschaft und privaten Haushalten führen. Klar ist aber auch: Fehlt das Gas, können viele Betriebe nicht mehr produzieren und schnell würde auch die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern leiden. Viele Arbeitsplätze könnten zudem für immer wegfallen. Daher ist es sicherlich im gemeinsamen Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft, dass die Wohnungen im Krisenfall angemessen warm sind, Krankenhäuser weiterarbeiten und die Industrie auf einem gewissen Niveau weiterproduzieren kann. Wir haben alle ein Interesse daran, dass diese Gaskrise nicht eintritt.
An der EU hängen auch die Strafmaßnahmen gegen Russland. Sollten die Sanktionen noch härter ausfallen?
Die Sanktionen wirken. Wenn große Unternehmen wie aktuell McDonald’s sich aus Russland zurückziehen, dann spürt das auch die russische Bevölkerung. Viele Sanktionen haben zudem eine Langzeitwirkung: Nehmen Sie zum Beispiel die Strominfrastruktur in Moskau: Die wird mit deutscher Technologie gesteuert. Das heißt, sobald da etwas ausfällt und keine Ersatzteile ankommen, geht das Licht aus. Auch in den Handelszahlen zeigt sich: Die russische Volkswirtschaft leidet.
Neben den aktuellen Krisen haben deutsche Unternehmen auch mit einem anderen Problem zu kämpfen: dem Fachkräftemangel. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will mit einer Ausbildungsgarantie allen Jugendlichen eine Lehrstelle vermitteln. Aus der Wirtschaft hagelt es Kritik, auch von Ihnen. Warum eigentlich?
Der Vorschlag von Herrn Heil wird wenig nutzen, wie ähnliche Vorstöße etwa in Österreich gezeigt haben. Der Mangel ist ja auch genau umgekehrt: In Deutschland gibt es nicht zu wenige Ausbildungsplätze, sondern zu wenige Auszubildende. Aktuell gibt es allein bei der Bundesagentur einen Stellenüberhang von mehr als 100.000 Ausbildungsplätzen, nämlich rund 290.000 unbesetzte Stellen und mehr als 180.000 noch unvermittelte Bewerber.
Scheint, als sei die duale Ausbildung unattraktiv.
Nein, das würde ich so nicht sagen.
Sondern?
Zum einen sind das demografische Aspekte, zum anderen hat die Corona-Zeit die Berufsorientierung erschwert. Viele Unternehmen konnten wegen der Lockdown-Auflagen keine Praktika anbieten. Insgesamt ist die Nachfrage in dieser Zeit um zehn Prozent zurückgegangen. Umso stärker wollen wir für die Ausbildung werben, denn die hat einiges zu bieten. Es gibt gute Aufstiegschancen in der beruflichen Bildung selbst und wer möchte, kann danach auch ohne Abitur ein Studium anschließen. Ich kann deshalb eine duale Ausbildung nur wärmstens empfehlen. Immerhin habe ich ja auch selbst eine – wie übrigens viele erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer hierzulande.
Herr Adrian, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
- Gespräch mit Peter Adrian