Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nachfolge für Bundesbank-Chef Diese Personalie bietet Sprengstoff für FDP und Grüne
Die Spekulationen um einen Nachfolger für den scheidenden Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann zeigen die Gräben zwischen den Ampel-Parteien auf. t-online erklärt, wer Chancen auf das Amt hat.
Jens Weidmann hat in seiner Amtszeit so manche Krise ausgestanden, der kommenden wollte er sich aber offensichtlich nicht mehr stellen: Am Mittwoch gab der Bundesbank-Chef seinen Rückzug bekannt. Nach zehn Jahren wird für ihn Ende 2021 Schluss sein.
Er wählt damit einen brisanten Zeitpunkt, um seine Kündigung einzureichen. Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP haben erst begonnen, da wirft der Rückzug Weidmanns schon ein großes Schlaglicht auf eine ihrer größten Differenzen: In der Geldpolitik gehen die Meinungen der möglichen neuen Regierungsparteien weit auseinander.
Das verbergen die kleineren Koalitionspartner auch gar nicht: Beide denken bereits an die Zukunft der Bundesbank – und wünschen sich dabei sehr konträre Richtungen. So sprechen sich die Grünen für einen Aufbruch aus, die FDP will dagegen die Konstante. "Für die Zukunft braucht es eine Bundesbank, die auf der Höhe der Herausforderungen der Zeit agiert", sagte Grünen-Chef Habeck am Donnerstag der Süddeutschen Zeitung. "Die Deutsche Bundesbank muss weiter Anwältin einer stabilitätsorientierten Geldpolitik in Europa bleiben", unterstrich dagegen FDP-Chef Christian Lindner.
Diese Ökonomen haben Chancen
Fest steht: Schon jetzt kursieren in Berlin und Frankfurt Namen potenzieller Nachfolger – und sie sind durchaus so bunt wie die unterschiedlichen Wünsche der möglichen Koalitionspartner. Besonders oft genannt wird in Politik- und Bundesbankkreisen Isabel Schnabel, die derzeit als deutsche Vertreterin im EZB-Direktorium sitzt. Nicht nur qua aktuellem Amt gilt sie als ausgewiesene Expertin im Notenbankwesen und dadurch als für den Job geeignet.
Jedoch zählt sie zu den Verfechtern des lockeren geldpolitischen Kurses der EZB und hat diesen immer wieder verteidigt. Bekäme Schnabel den Posten, würde sich der Wind also drehen und die Bundesbank ihren bisherigen Kurs unter Weidmann aufgeben.
Was unabhängig davon gegen Schnabel spricht: Ein vorzeitiger Abzug aus dem wichtigen EZB-Direktorium wäre ungewöhnlich. Für sie spricht dagegen, dass aus Sicht der Politik diese Option durchaus Charme hätte, da die künftige Ampelkoalition dann gleich noch Schnabels aktuellen Posten im EZB-Direktorium neu besetzen könnte.
Vize-Präsidentin Buch könnte an die Spitze rücken
Sollte die Position intern besetzt werden, könnte auch hier eine Frau die Spitze der Bundesbank erklimmen. Weidmanns Stellvertreterin Claudia Buch hätte für den neuen Posten nur einen kurzen Weg. Für die aktuelle Vize-Präsidentin spricht, dass sie bereits in der Vergangenheit Weidmann bei Ratssitzungen der EZB oder anderen internationalen Gremien vertreten hat.
Sie gilt zudem als Expertin der Finanzmarktregulierung und verantwortet bisher den Bereich Finanzstabilität, Statistik und Revision bei der Bundesbank. Mit ihr würde kein Kurswechsel stattfinden. Ihre bisherigen öffentlichen Äußerungen lassen darauf schließen, dass sie die Strategie Weidmanns mehr oder minder fortsetzen würden.
Die Bundesbank hat bereits mehrfach den Präsidentenposten aus eigenen Reihen neu besetzt, so folgte etwa 1991 Helmut Schlesinger auf Karl Otto Pöhl und auch Schlesingers Nachfolger kam aus der Institution selbst. Doch: Öffentlich ist die Vize-Präsidentin Buch bisher kaum aufgetreten – auch das ist ein Aufgabenfeld des neuen Bundesbank-Chefs.
Auch zwei SPD-nahe Ökonomen im Rennen
Neben Schnabel und Buch werden nach t-online-Informationen auch die Namen mehrerer Männer für Weidmanns Posten gehandelt: Häufig ist – nicht zuletzt ob seiner EZB-Vergangenheit – von DIW-Präsident Marcel Fratzscher die Rede sowie vom aktuellen Finanzstaatssekretär Jörg Kukies. Beide gelten als SPD-nah und würden wie Schnabel voraussichtlich andere Töne anschlagen als Weidmann.
Für Kontinuität im Sinne der bisherigen Linie der Bundesbank stünde derweil der Ökonom Volker Wieland, ein weiterer Kandidat, dem gute Chancen zugerechnet werden. Wieland, Professor für Geldpolitik an der Uni Frankfurt, ist einer der aktuell vier Wirtschaftsweisen und vertritt wie Weidmann eher konservative geldpolitische Positionen. Er könnte ein Gegengewicht zur künftigen Regierung darstellen, in der SPD und Grüne gemeinsam ein stärkeres Gewicht haben könnten als die FDP.
Er wäre nicht der erste Wirtschaftsweise, der zum Präsidenten der Bundesbank aufsteigt. Bereits 2004 übernahm der Ökonom Axel Weber 2004 das Amt in Frankfurt. Genau dieser ist auch ein Beispiel dafür, dass Grüne und SPD durchaus über Parteigrenzen und -ziele bei der Nachfolgerregelung hinwegsehen könnten.
Rot-Grün überraschte schon einmal
Es war die erste rot-grüne Regierung unter Schröder, die den konservativen Geldpolitiker Weber 2004 in sein Amt hob. Die FDP hätte hier also durchaus einen Präzedenzfall, auf die sie ihre Verhandlungspartner während der Koalitionsbildung verweisen könnte.
Am Ende dürfte die Nachfolge bei der Bundesbank davon abhängen, wie die Ampelkoalitionäre die Ministerien verteilen. Die Weidmann-Nachfolge wird daher voraussichtlich Teil des großen Personalpakets werden, über das SPD, Grüne und FDP erst gegen Ende der Koalitionsverhandlungen entscheiden wollen. Für alle anderen bedeutet das also erst einmal: Geduld bewahren.
- Eigene Recherche
- Gespräche mit Insidern
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- Deutsche Bundesbank: Präsidentengalerie
- Spiegel.de: Wer nun Chancen auf die Nachfolge von Jens Weidmann hat