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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Um Einzelhandel zu retten Immobilienweiser fordert verkaufsoffene Sonntage
Corona macht die Innenstädte dicht – für manche Städte womöglich für immer. Vor dem Sterben der Fußgängerzone warnten die Immobilienweisen und forderten: Lasst die Läden auch am Sonntag öffnen.
Der Appel der Immobilienweisen ist deutlich: Der deutsche Einzelhandel und damit die Innenstädte sind trotz Lockerungen in Gefahr. Michael Gerling, Immobilienweiser und Geschäftsführer des EHI Retail-Instituts, fordert daher, Schluss zu machen mit einem Tabu. "Wir schließen am Sonntag die Städte ab – das ist für mich unverständlich. Öffnungen sind eine der einfachsten Maßnahmen", sagte er am Dienstag bei der Vorstellung des Frühjahresgutachten des Immobilienverbandes ZIA.
Auch der ZIA-Präsident, Andreas Mattner, verwies auf die schweren Einschnitte für den Einzelhandel und warnte vor den Folgen für die Innenstädte – wenn die Politik nicht nachsteuere: "Sechs Monate Lockdown für diese Bereiche ist ein intensiver staatlicher Eingriff – und das erfordert Hilfe für die Mieter. In vielen Bereichen schießt die Bazooka noch daneben."
Der Rat der Immobilienweisen besteht aktuell aus fünf Experten aus der Immobilienwirtschaft und fertigt im Auftrag des Branchenverbandes ZIA seit 2002 die Frühjahresprognose an. Der Bericht zeigt die wirtschaftliche Lage der Immobilienbranche auf und gibt einen Ausblick auf die kommende Entwicklung.
Auch wenn die Lockerungen zum Greifen nahe sind: Für viele Händler kann es mittlerweile zu spät sein – selbst wenn sie nun im Frühjahr wieder ihre Türen öffnen. Laut einer Umfrage des Handelsverbandes Deutschland (HDE) im April gaben 54 Prozent der Ladenbesitzer in der Textilbranche an, ihr Geschäft im zweiten Halbjahr voraussichtlich schließen zu müssen – wenn sie keine zusätzlichen Hilfen vom Staat erhalten. 11 Prozent rechnen sogar damit, dass sie das erste Halbjahr nicht überstehen werden. In der Spielzeugbranche schauen 45 Prozent ebenso skeptisch ins zweite Halbjahr 2021.
Öffnungen für Geimpfte: "Wir sollten etwas mutiger sein"
Forderungen nach schnellen und pragmatischen Lösungen kommen daher auch vom renommierten Ökonomen Lars Feld. Der ehemalige Wirtschaftsweise ist ebenfalls an dem Frühjahresgutachten des ZIA beteiligt. Sein Vorschlag, um dem Einzelhandel schnell wieder Schwung zu geben: Öffnungen für Geimpfte. "Dann haben wir eine schnelle Erholung in den Dienstleistungsbranchen", prognostizierte Feld.
Gegenüber Kritikern und den möglichen Risiken dieser Sonderrolle der Geimpften erwiderte der Ökonom: "Wenn wir mit den nächsten Mutanten rechnen müssen, dann eher im Herbst. Von daher sollten wir etwas mutiger sein."
Worte, die einige Einzelhändler wohl dringend hören möchten. Denn laut Gerling ist die Lage je nach Branche deutlich dramatischer als die reinen Zahlen vermuten lassen. Zwar verzeichnete der stationäre Handel ein Plus von 3,9 Prozent – die Kluft zwischen den Branchen sei aber riesig. Supermärkte steigerten ihren Umsatz teilweise im zweistelligen Prozentbereich, während die Textilbranche 23 Prozent Verlust machte.
Handel laut Mattner ein sicherer Ort
Dazu käme, dass der Onlinehandel der Filialhändler wie zum Beispiel Mediamarkt in die Umsätze des stationären Handels eingerechnet würde. "Das verzerrt die Statistik: Die Probleme sind viel schlimmer als wir bisher glaubten", sagte Gerling.
ZIA-Präsident Mattner äußerte daher sein Unverständnis für die anhaltenden Einschränkungen. "Handel und Hotel sind sichere Orte – sie müssen daher so schnell wie möglich wieder geöffnet werden", sagte er.
- Eigene Recherche
- Pressekonferenz ZIA
- Frühjahrsgutachten ZIA
- Umfrage des HDE