Ökonomen uneins Zoff um Steuersenkung: Wie viel bringt die geringere Mehrwertsteuer?
Seit Juli soll die abgesenkte Mehrwertsteuer die Konjunktur in der Corona-Krise ankurbeln. Knapp zwei Monate später streiten führende Ökonomen nun darüber, ob die Maßnahme tatsächlich wirkt.
Sie war die größte Überraschung im Corona-Konjunkturpaket, das die Bundesregierung Anfang Juni vorgestellt hatte: die Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf nunmehr 16 Prozent ab Juli. Die Idee der Politik: Geben die Händler die Steuerersparnis an die Kunden weiter, fallen die Preise – was wiederum für Kauflaune sorgen und damit die Wirtschaft antreiben soll.
Doch wie viel bringt das Ganze wirklich? Kaufen die Deutschen tatsächlich mehr ein, hat das Verringern der Steuer einen echten Effekt auf die Konjunktur? Über diese Fragen ist nun – rund zwei Monate nach der Umsetzung der Absenkung – ein Streit unter Deutschlands führenden Ökonomen entbrannt.
Volkswirte kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen
Am Montag teilte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit: "Die Mehrwertsteuersenkung wirkt". Es berief sich dabei auf den Zuwachs von Passanten in Deutschlands großen Einkaufsstraßen im Juli.
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kommt dagegen zu dem Schluss, dass die Steuersenkung dem privaten Konsum und der Konjunktur "nur einen relativ überschaubaren Impuls" gebe und zitiert aus einer Umfrage unter 6.300 Erwerbstätigen.
Umgekehrt erklärte das IW, die Mehrwertsteuersenkung habe dazu geführt, dass im Juli in ausgewählten Einkaufsstraßen rund 1,7 Millionen mehr Passanten unterwegs waren als im Juni. Das zeigten Daten der Firma Hystreet, die mittels Lasertechnik die Passanten in 41 besonders belebten Straßenabschnitten in 21 deutschen Städten zählt.
Mehr Passanten in den Einkausstraßen
Demnach waren im Juli 27,2 Millionen Passanten unterwegs, das waren 4,2 Millionen mehr als im Juni. Davon waren 1,7 Millionen aufgrund der Steuersenkung shoppen, wie das IW erklärte. Faktoren wie Wetter oder regional unterschiedliche Maßnahmen herausgerechnet, legten die Ergebnisse nahe, dass rund 40 Prozent der zusätzlichen Passanten auf die Mehrwertsteuersenkung zurückzuführen seien. "Die Mehrwertsteuersenkung wirkt und hilft vor allem dem Einzelhandel dabei, die Krise zu überwinden", heißt es seitens des IW.
Dennoch bleibe abzuwarten, ob dies dem Einzelhandel auch langfristig helfe, die Corona-Krise zu überwinden – und ob der Trend in den kommenden Monaten anhalte. "Wichtig ist bei konjunkturpolitischen Maßnahmen, dass sie zur rechten Zeit an der passenden Stelle ansetzen und befristet sind", betonte IW-Direktor Hüther. "Das ist hier der Fall."
Umfrage: Keine Änderung im Konsumverhalten
Das IMK dagegen erklärte, in der Erwerbstätigen-Umfrage hätten knapp drei Viertel Ende Juni angegeben, sie wollten ihr Konsumverhalten im zweiten Halbjahr trotz der Steuersenkung nicht verändern. Fast vier von fünf Befragten sagten dagegen, sie würden bei einer Einmalzahlung wie dem Kinderbonus ihren Konsum erhöhen. Erwerbstätige, die ohne Aufstockung des Kurzarbeitergeldes in Kurzarbeit sind, reduzierten der Umfrage zufolge demnach ihre Ausgaben "signifikant häufiger" als andere Befragte.
Die IMK-Studienautoren Sebastian Dullien und Jan Behringer erklärten daher: "Eine andere Gewichtung der Maßnahmen im Konjunkturpaket – etwa ein höherer Kinderbonus oder eine großzügigere Aufstockung des Kurzarbeitergeldes – hätte nach diesen Ergebnissen zu einem größeren konjunkturellen Impuls geführt." Sie raten dazu, im Falle weiterer Pakete zur Konjunkturstützung entsprechend anders zu gewichten.
Dass Ökonomen unterschiedliche Standpunkte vertreten ist nicht ungewöhnlich. Grund dafür ist, dass es in Volkswirtschaftslehre entgegen der allgemeinen Auffassung stark darauf ankommt, auf welche Zahlen und Statistiken sich die Wirtschaftswissenschaftler in ihren Studien berufen. Durch die Absenkung der Mehrwertsteuersenkung nimmt der Fiskus laut Bundesregierung in diesem Jahr rund 20 Milliarden Euro weniger ein als geplant.
- Eigene Recherche
- Nachrichtengenaguteren AFP und Reuters