Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Umstrittene Entscheidung Kohle-Projekt: Siemens hat eine Chance verpasst
Trotz Protesten hält Siemens an Zulieferungen für den Bau eines umstrittenen Kohlebergwerks in Australien fest. Konzernchef Joe Kaeser handelt nachvollziehbar
Der Coup ist ausgeblieben: Siemens bleibt vertragstreu. Deutschlands führender Technologiekonzern wird wie geplant die Zugsignalanlage für den Bau eines umstrittenen Kohlebergwerks in Australien zuliefern – jüngsten Protesten von Klimaaktivsten und Wissenschaftlern zum Trotz.
In einem ungewöhnlich langen persönlichen Statement begründete Konzernchef Joe Kaeser am späten Sonntagabend seine Entscheidung: Das australische Volk, die Bevölkerung vor Ort, spreche sich klar für das Projekt aus; ein Ausstieg verhindere das Projekt nicht; außerdem bestünden keine rechtlichen Möglichkeiten, den Vertrag aufzulösen, ohne dass Siemens seine Pflichten verletze.
Kaeser hat recht. Besonders der letzte Punkt wiegt schwer: Siemens‘ Ansehen als verlässlicher Geschäftspartner, der sich an geschlossene Verträge hält, bekäme weit mehr als nur eine Schramme. Weltweit könnte das Vertrauen der Kunden in Siemens sinken, ließe sich der Konzern von Umweltschützern treiben. Zudem gliche eine Vertragsauflösung einer Grundsatzentscheidung: Siemens müsste weitere Projekte auf den Prüfstand stellen – Projekte, bei denen es um viel mehr Geld geht als das relativ geringe Auftragsvolumen von 20 Millionen Euro wie im aktuellen Fall. Wirtschaftlich betrachtet ist die Entscheidung deshalb vernünftig und nachvollziehbar.
Angebot an Luisa Neubauer ein missglückter PR-Gag
Zugleich vergibt Siemens aber eine Chance. Kaeser hätte ein Zeichen setzen können. Er hätte unter Beweis gestellt, dass er es ernst meint mit seinem Ziel, den Konzern bis 2030 klimaneutral zu machen. Der Konzern hätte ein positives Beispiel sein und Nachahmer zu einem moralischen Handeln animieren können. Doch diese Möglichkeit hat Kaeser für den Moment verspielt.
Umso mehr wirkt seine Ankündigung, ein Nachhaltigkeitskomitee mit externen Umweltexperten und jungen Menschen einzurichten, wie das sprichwörtliche Feigenblatt. Es ist fraglich, welcher Umweltschützer jetzt gewillt sein wird, Projekte für Siemens im Rahmen eines solchen Gremiums zu überwachen. Auch Kaesers jüngstes Angebot an Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer, sie zum Aufsichtsrat in der Konzerntochter Siemens Energy zu machen, entpuppt sich im aktuellen Kontext einmal mehr als das, was es von Anfang an war – ein missglückter PR-Gag.
Glaubwürdigkeit spielt zunehmend eine Rolle
In der Welt der Unternehmen entscheidet zunehmend Glaubwürdigkeit über Erfolg. Gerade in Siemens‘ Heimatmarkt Deutschland schielen Investoren längst nicht mehr allein auf den Shareholder-Value, sondern auch auf die Öko-Bilanz. Im Kampf um Talente auf dem Arbeitsmarkt spielen weiche Faktoren wie die Umweltverantwortung eine wachsende Rolle.
All das weiß ein Konzernlenker wie Joe Kaeser. Dass er und der Unternehmensvorstand sich die Entscheidung nicht leicht gemacht haben, beweist allein die Länge seiner Ausführungen. Sätze wie „mir ist bewusst, dass die meisten von Ihnen auf mehr gehofft hatten“ und „wir hätten im Vorhinein weiser mit diesem Projekt umgehen sollen“ wirken ehrlich. Die klare Botschaft: Wir haben verstanden, hier ist etwas schiefgelaufen, noch einmal darf, noch einmal wird uns das nicht passieren.
Daran muss sich Siemens messen lassen. Der Konzern muss jetzt zeigen, dass er wirtschaftliche und umweltpolitische Interessen nicht nur abwägt – sondern sich bei ähnlichen Anlässen von vornherein gegen Geschäfte entscheidet, die dem Klima schaden. Wenn Kaeser wirklich auf Nachhaltigkeit setzen will, muss er seinen Worten Taten folgen lassen. Nur dann erlangt Siemens seine Glaubwürdigkeit zurück.
- Eigene Recherche